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Daumen hoch! Thomas Müller hat es in seiner ersten Saison in Nordamerika gleich ins Finale geschafft.

© Getty Images via AFP/KEVORK DJANSEZIAN

Thomas Müller im Finale der MLS: Elf kuriose Geschichten aus dem Fußball in Nordamerika

An diesem Samstag trifft Thomas Müller im Finale der Major League Soccer auf Lionel Messi. Ein guter Anlass, auf die Vergangenheit des Fußballs in Nordamerika zurückzublicken.

Stand:

Für die einen ist es das Spiel zwischen Inter Miami und den Vancouver Whitecaps. Für die anderen das Duell zwischen Lionel Messi und Thomas Müller. Wenn an diesem Samstag in Fort Lauderdale das Finale um die Meisterschaft in der Major League Soccer ausgetragen wird (20.30 Uhr MEZ, Apple-TV), dann ist dies auch das Aufeinandertreffen der beiden Alt-Stars des internationalen Fußballs.

Aus diesem Anlass blicken wir noch einmal zurück auf Kuriositäten und Besonderheiten des nordamerikanischen Fußballs.

1  Rent a Team

Nachdem es in den USA lange Zeit überhaupt keine professionelle Fußballliga gegeben hat, werden 1967 gleich zwei gegründet: die United Soccer Association (USA) und die National Professional Soccer League (NPSL). Offiziell anerkannt wird vom Weltverband Fifa nur eine der beiden Ligen. Überraschenderweise ist es die United Soccer Association.

Überraschend, weil in der USA ausschließlich Mannschaften aus Europa und Südamerika spielen, die lediglich unter amerikanischen Namen antreten. Die Klubbesitzer in den Vereinigten Staaten haben sich für den Sommer einfach ein Team aus dem Ausland gemietet.

3
Mal gewann Franz Beckenbauer mit Cosmos New York den Meistertitel

So tritt Cagliari Calcio als Chicago Mustangs an, Dundee United spielt als Dallas Tornado, und hinter den San Francisco Golden Gate Gales verbirgt sich ADO Den Haag aus den Niederlanden.

Den ersten Meistertitel sicheren sich die Los Angeles Wolves, die das Finale vor 17.842 Zuschauern mit 6:5 nach Verlängerung gegen die Washington Whips gewinnen. In Wirklichkeit handelt es sich beim neuen, von der Fifa anerkannten US-Meister um die Wolverhampton Wanderers aus England.

2 Mit ein bisschen Hilfe aus Übersee

Weil zwei Ligen eine zu viel sind, vereinigen sich USA und NPSL 1968 zur North American Soccer League (NASL). Aber auch die neue Liga hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Nach nur einem Jahr steht sie schon wieder vor dem Aus. Sind in der Premierensaison noch siebzehn Teams an den Start gegangen, so sind es 1969 nur noch fünf. Die Rettung für den Fußball in den USA muss erneut aus dem Ausland importiert werden.

Franz Beckenbauer ist mit drei Meistertiteln der erfolgreichste Deutsche im nordamerikanischen Fußball.

© imago/WEREK

Um den Spielplan ein wenig aufzublähen, heuern die NASL-Franchises diesmal Klubs aus England und Schottland an, die vor der regulären Saison den sogenannten International Cup ausspielen. Sieger dieses Wettbewerbs wird Kansas City FC alias Wolverhampton Wanderers (schon wieder). Mit seiner eigentlichen Mannschaft sichert sich Kansas anschließend auch den Meistertitel der North American Soccer League.

3 Der erste deutsche Meister

Gleich vier Spieler des neuen nordamerikanischen Fußballmeisters werden nach der Saison in das All-Star-Team der NASL gewählt, darunter auch Manfred Seissler, der erste Deutsche, der in den USA den Titel gewonnen hat.

Vor seinem Wechsel in die USA hat Seissler in Deutschland für Hessen Kassel, den 1. FC Pforzheim und Eintracht Trier gespielt. Später nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und bestreitet 1973 sogar ein Länderspiel für die US-Nationalmannschaft.

Da es 1969 noch kein Finale um die Meisterschaft gegeben hat, ist Manfred Schellscheidt der erste Deutsche, der in einem Endspiel zum Einsatz kommt und 1973 den Titel in der NASL gewinnt. Beim 2:0-Erfolg der Philadelphia Atoms gegen Dallas Tornado wird er in der 68. Minute für Charles Duccili eingewechselt.

Schellscheidt, in Solingen geboren, hat in Deutschland für Union Solingen und Fortuna Köln gespielt. Nach seiner Karriere bleibt er in den USA, trainiert 1975 unter anderem die US-Nationalmannschaft und wird 1990 in die Hall of Fame des US-Fußballs aufgenommen.

4 Aus Berlin in die neue Welt

Drei Jahre nach Manfred Schellscheidt gewinnt Wolfgang „Sprotte“ Sühnholz den Titel in Nordamerika. Im Soccer Bowl, wie das NASL-Finale seit 1975 in Anlehnung an den Super Bowl der American Footballer genannt wird, setzt er sich im August 1976 mit den Toronto Metros-Croatia 3:0 gegen die Minnesota Kicks durch. Anders als Schellscheidt mit Philadelphia steht Sühnholz – an der Seite des Portugiesen Eusebio – von Anfang an auf dem Platz. Und er wird sogar zum Most Valuable Player des Endspiels gewählt.

Der gebürtige Berliner, der aus der Jugend von Hertha Zehlendorf hervorgegangen ist, ist nach Stationen bei Rot-Weiß Oberhausen, Bayern München und Grasshoppers Zürich 1975 vom Bundesligaaufsteiger Tennis Borussia in die NASL gewechselt.

In seiner Meistersaison kommt Sühnholz für gleich drei Klubs zum Einsatz. Zwölf Spiele bestreitet er für die Boston Minutemen, zwei für die Vancouver Whitecaps, den heutigen Klub von Thomas Müller, und acht für Toronto.

5 Eine kaiserliche Bilanz

Wiedersehen im Finale. 1980 standen sich Franz Beckenbauer und Gerd Müller im Soccer Bowl gegenüber.

© imago/Sven Simon

Ehre, wem Ehre gebührt: Kein Deutscher hat in Nordamerika so oft den Titel gewonnen wie ... der Kaiser. Franz Beckenbauer sicherte sich in der NASL gleich dreimal die Meisterschaft. Zum ersten Mal 1977, gleich in seiner Premierensaison bei Cosmos New York und an der Seite des Brasilianers Pelés. Für ihn ist der Soccer Bowl gegen die Seattle Sounders (2:1) zugleich das letzte Pflichtspiel seiner Karriere.

Im Jahr darauf verteidigt Cosmos durch einen 3:1-Sieg gegen die Tampa Bay Rowdies als erstes Team in der NASL erfolgreich seinen Titel. Seine dritte Meisterschaft gewinnt Beckenbauer 1980, kurz vor seiner Rückkehr in die Bundesliga. Im Finale kommt es zu einem Wiedersehen mit einem guten alten Bekannten. Gerd Müller spielt für die Fort Lauderdale Strikers, kann den deutlichen 3:0-Erfolg der New Yorker allerdings auch nicht verhindern.

Julian Gressel hat in der MLS zweimal den Meistertitel geholt und noch Anfang des Jahres mit Lionel Messi (rechts) zusammen in Miami gespielt.

© IMAGO/Sam Navarro

In der Major League Soccer ist Julian Gressel der Deutsche mit den meisten Meisterschaften. Er hat den Titel bisher zweimal gewonnen: 2018 mit Atlanta United und 2023 mit Columbus Crew. Zu Beginn der laufenden Saison stand Gressel, der inzwischen amerikanischer Staatsbürger ist, noch beim jetzigen Finalisiten Inter Miami unter Vertrag. Seit April aber spielt der 31-Jährige aus Neustadt an der Aisch für Minnesota United.

6 Meistertrainer aus Deutschland

Vier Meistertitel und drei Pokalsiege mit Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln, dazu der Erfolg im Uefa-Cup mit den Gladbachern: Hennes Weisweiler ist, als er Anfang 1980 zu Cosmos nach New York wechselt, nicht nur einer der erfolgreichsten deutschen Trainer der Siebzigerjahre. Er ist auch der erste deutsche Coach, der in der NASL den Titel holt.

Hennes Weisweiler (links, mit dem NASL-Rekordtorschützen Giorgio Chinaglia) gewann 1980 mit Cosmos den Soccer Bowl und erreichte 1981 das Finale.

© imago/WEREK/imago sportfotodienst

Als Weisweiler im Jahr darauf zum zweiten Mal im Soccer Bowl steht, kommt es sogar zu einem Duell mit einem Landsmann. Der Finalgegner Chicago Sting wird von Willy Roy trainiert. Roy ist im Februar 1943 in Ostpreußen geboren worden, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Düren im Rheinland aufgewachsen und Mitte der Fünfziger mit seiner Familie nach Chicago ausgewandert.

Chicagos Trainer schaut bewundernd zu Weisweiler auf. Er schätzt den erfahrenen Kollegen vor allem für den Offensivfußball, den dieser mit der Gladbacher Fohlenelf zu Beginn der Siebziger hat spielen lassen. „Als ich schon in Amerika war, war das meine Lieblingsmannschaft“, sagt er.

Das hält Roy aber nicht davon ab, sein Vorbild zu besiegen. Im Soccer Bowl in Toronto setzen sich die Sting nach 120 torlosen Minuten im Penaltyschießen gegen Cosmos durch. Es ist Weisweilers letztes Spiel als Trainer der New Yorker.

7 Ein deprimierendes Ende

Willy Roy hingegen schafft es drei Jahre später mit Chicago erneut ins Finale, das 1984 allerdings zum ersten Mal nicht auf neutralem Platz ausgetragen wird, sondern in einer Best-of-Three-Serie. Die NASL, deren Agonie bereits dramatische Züge angenommen hat, erhofft sich einen besseren Zuschauerzuspruch, wenn die beiden Finalisten – die Chicago Sting und die Toronto Blizzard – mindestens einmal im eigenen Stadion antreten.

Doch diese Hoffnung erfüllt sich nur bedingt. Beim Auftakt der Serie verlieren sich gerade mal 8352 Zuschauer auf den Rängen des Comiskey Parks in Chicago. In Toronto ist das Varsity Stadium mit 16.842 Menschen am 3. Oktober 1984 zumindest fast ausverkauft.

Mit zwei Siegen (2:1 und 3:2) in den ersten beiden Spielen sichern sich die Chicago Sting zum zweiten Mal den Titel. Sie sind damit neben dem NASL-Rekordmeister Comos (fünf Titel) das einzige Team, das mehr als nur einmal die Meisterschaft gewonnen hat.

Nach dem Abpfiff in Toronto stürmen frustrierte Blizard-Fans den Platz. Einige versuchen sogar, den Meisterpokal zu entwenden; die geplante Siegerehrung muss daher ausfallen. Ligachef Howard Samuels übergibt den Pokal später in der Kabine an Sting-Trainer Roy. Alle rufen einmal: Hey! Damit endet nach 17 Spielzeiten die Geschichte der North American Soccer League.

8 Eine historische Chance für Vancouver

Eine nationale Profiliga in Nordamerika gibt es erst seit 1996 wieder. Mit ihrer Vorgängerin aber, der NASL, will die Major League Soccer am liebsten nichts zu tun haben. Die Ablehnung geht so weit, dass es Peter Bridgwater von der Liga sogar explizit untersagt wurde, seine Franchise San Jose Earthquakes zu nennen, wie den Klub also, den er bereits zu NASL-Zeiten besessen hat.

So spielt sein Team zunächst unter dem Namen San Jose Clash in der MLS, ehe es 1999 schließlich doch noch in San Jose Earthquakes umbenannt wird – weil die Fans des Teams es so wollen.

Neben den Quakes gibt es in der Major League Soccer noch drei weitere Klubs (von derzeit dreißig), die einen Namen aus der NASL-Zeit tragen: die Seattle Sounders, die Portland Timbers und die Vancouver Whitecaps.

Müller hat nach dem Einzug ins MLS-Finale gesagt: „Das ist für die Whitecaps der größte Erfolg der Vereinsgeschichte.“ Ganz korrekt ist es allerdings nicht. Denn Vancouver hat sogar schon einmal den Titel gewonnen – zu NASL-Zeiten nämlich. Am 8. September 1979 bezwangen die Whitecaps im Soccer Bowl die Tampa Bay Rowdies mit 2:1.

Die Vancouver Whitecaps sind (mit Trevor Whymark) 1979 schon einmal nordamerikanischer Fußballmeister geworden.

© imago sportfotodienst

Sollten sie an diesem Samstag auch Messis Miami bezwingen, würden sie tatsächlich Geschichte schreiben: Dann wären die Vancouver Whitecaps der erste Klub, der sowohl in den Siegerlisten der NASL als auch der MLS zu finden wäre.

9 Eine besondere Bilanz

Zwölf Jahre liegen zwischen dem Ende der NASL und dem Start der MLS – nahezu eine komplette Fußballergeneration also. Deshalb gibt es nicht nur bei den Klubs und bei den Meistern eine geringe bis gar keine Überschneidung, sondern auch bei den Spielern. Nur zwei Fußballer haben sowohl in der North American Soccer League als auch in der Major League Soccer gespielt.

Roy Wegerle ist in der letzten Spielzeit der NASL 21-mal für die Tampa Bay Rowdies zum Einsatz gekommen und hat in der MLS zwischen 1996 und 1998 noch 72 Spiele für die Colorado Rapids, für D.C. United und Tampa Bay Mutiny bestritten.

Hugo Sanchez (hier bei der WM 1986 im Spiel gegen die deutsche Nationalmannschaft und ihren Torhüter Toni Schumacher) ist einer von zwei Spielern, die sowohl in der NASL als auch in der MSL zum Einsatz gekommen sind.

© imago/Sven Simon

Der zweite Spieler mit Einsätzen sowohl in der NASL als auch in der MLS ist Hugo Sanchez, der in den Achtzigern vor allem als Stürmer von Real Madrid bekannt geworden ist. Der Mexikaner hat 1979 und 1980 für die San Diego Sockers gespielt und 1996, der Premierensaison der Major League Soccer, für Dallas Burn.

10 Davon träumt Thomas Müller

Sollte sich Thomas Müller am Samstag im Finale gegen Miami und Lionel Messi durchsetzen, dann wäre er der fünfte Spieler aus Deutschland, der in der MLS den Titel holt. Sein prominentester Vorgänger ist Marco Reus, der vor einem Jahr, in seiner ersten Spielzeit bei LA Galaxy, die Meisterschaft gewonnen hat.

Müllers prominenter Vorgänger. Marco Reus (rechts) hat vor einem Jahr mit LA Galaxy den Meistertitel gewonnen.

© IMAGO/Kiyoshi Mio

Die anderen drei Meister aus Deutschland heißen Kevin Kratz, Julian Gressel und Gordon Wild. Sie holten alle drei 2018 mit Atlanta United den Titel – wobei nur Gressel im Finale gegen Portland auf dem Feld stand. Kratz saß auf der Ersatzbank, Wild stand nicht einmal im Kader.

11 US-Meister, made by Germany

Drei Deutsche im Kader: Darüber hätten die Chicago Sting nur lachen können. Als sie sich 1981 im Soccer Bowl gegen Cosmos New York durchsetzen, stehen in der Startelf des deutschstämmigen Trainers Willy Roy fünf Spieler aus Deutschland: Dieter Ferner im Tor, Paul Hahn als Libero, Ingo Peter, der sogar Kapitän des Teams ist, sowie die beiden Angreifer Arno Steffenhagen und Karl-Heinz Granitza, die beide früher für Hertha BSC gespielt haben.

„US-Meister, made by Germany“, titelt der „Kicker“ wenige Tage nach dem Endspiel. In Chicago wird der Klub wegen des starken deutschen Einflusses sogar „Der Sting“ genannt, und Trainer Roy sagt nach dem Finalsieg gegen Cosmos, die alles dominierende Mannschaft der NASL: „Diese Wachablösung im USA-Fußball ist nur möglich geworden, weil sich unsere typische deutsche Spielweise durchgesetzt hat.“

Zum MVP des Soccer Bowls ist Chicagos Vorstopper Frantz Mathieu gewählt worden, der New Yorks Mittelstürmer Giorgio Chianglia, den besten Torschützen der NASL, zur Wirkungslosigkeit degradiert hat. Mathieu ist zwar kein Deutscher (sondern Haitianer), aber er spricht zumindest fast perfekt Deutsch. Bevor er 1980 zu den Sting wechselte, hat er für den FC St. Pauli in der Zweiten Liga gespielt.

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