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Läuft nicht. Kiels Trainer Gislason hofft auf eine schnelle Trendumkehr. Foto: Heimken/dpa

© dpa

THW Kiel: Der Rekordmeister in der Krise

Der deutsche Handball-Rekordmeister THW durchlebt die vielleicht größte Krise seiner jüngeren Vereinsgeschichte. Hoffnung macht nun Kapitän Duvnjak.

Markus Baur versuchte zunächst, das Thema charmant zu umgehen. „Wie das zu meiner Zeit war, interessiert doch eh keinen mehr“ sagte der Handball-Trainer des TVB Stuttgart nach dem Punktspiel bei den Füchsen Berlin – und erntete zahlreiche Lacher. „Ist doch schon Ewigkeiten her das Ganze.“ Tatsächlich waren Baurs Worte interessant; der 46-Jährige, Kapitän der deutschen Weltmeistermannschaft von 2007, führte aus, wie es in der Bundesliga zuging, als er noch selbst auf dem Feld stand und nicht daneben. „Früher sind wir in gewisse Hallen gefahren und haben geschaut, dass wir nicht zu hoch verlieren“, erzählte Baur, „weil von vornherein klar war, dass da ohnehin nichts zu holen ist.“ Die Arenen in Kiel, Flensburg oder Magdeburg etwa waren über Jahre uneinnehmbare Festungen für Auswärtsteams. „Das ist jetzt vorbei“, sagte Baur, „es gibt kein Fallobst mehr in der Bundesliga.“

Diese Erfahrung macht nun auch der THW Kiel. Deutschlands Handball-Rekordmeister durchlebt im Moment die vielleicht größte Krise seiner jüngeren Vereinsgeschichte. Am Sonntag, beim Champions-League-Spiel im polnischen Kielce, kassierten die Schleswig-Holsteiner ihre fünfte Niederlage im achten Pflichtspiel der Saison, obendrein war es eine ziemliche Abreibung (21:32). So stehen die Kieler an diesem Mittwoch, wenn es gegen Dänemarks Meister Aalborg geht (18.30 Uhr, live bei Sky), unter besonderer Beobachtung und großem Druck. Andererseits müsste es schon mit dem Teufel zugehen, damit der THW die Vorrunde in der Champions League nicht übersteht; schließlich genügt dazu Rang sechs in der mit acht Teams besetzten Gruppe. Eine machbare Aufgabe.

In der heimischen Liga sieht die Gemengelage ganz anders aus. Wer vor der Saison auf ein Tabellenbild wie das aktuelle gewettet hätte, wäre sechs Wochen später ein ziemlich gemachter Mann: Abgesehen von den Berlinern (8:0 Punkte) haben bereits alle Spitzenmannschaften geschwächelt und Punkte liegen gelassen, Titelverteidiger Rhein-Neckar Löwen (8:2) ebenso wie Flensburg-Handewitt (8:4) und die hochgehandelten Verfolger aus Melsungen (7:5) und Magdeburg (6:6). Und der THW? Holte sich überraschende Niederlagen in Wetzlar, Melsungen und daheim gegen Hannover ab. Das Ziel, nach zweijähriger Abstinenz wieder um den nationalen Titel mitzuspielen, können sie getrost abhaken an der Ostsee, sofern nicht noch ein Wunder geschieht. „Der Zug ist wohl abgefahren“, sagte Ex-Nationalspieler Christian Zeitz den „Kieler Nachrichten“. Jetzt ginge es darum, „die Ehre des Vereins zu retten.“

„Ich habe eine gewisse Resignation gesehen"

Selbst Trainer Alfred Gislason, für gewöhnlich ein Muster an Selbstbewusstsein und Klarheit, wirkte zuletzt angeschlagen und ratlos. „Ich habe eine gewisse Resignation in meiner Mannschaft gesehen, darüber bin ich enttäuscht“, sagte der Isländer. Es wisse auch nicht, warum die Spieler nicht an sich glauben, klar sei aber: „Ich muss mich fragen, was dazu geführt hat, dass die Mannschaft so verunsichert ist. Das geht garantiert auf meine Kappe.“

In den sozialen Netzwerken und einschlägigen Internetforen muss sich Gislason ganz schön was anhören vom erfolgsverwöhnten Kieler Anhang, dafür gibt es Rückendeckung aus dem Verein. „Wir stehen alle hinter Alfred Gislason“, sagt Manager Thorsten Storm, „weil wir alle wissen, was er für diesen Verein geleistet hat.“ Seit 2009 gewann Gislason mit den Kielern sechsmal die Deutsche Meisterschaft, fünfmal den DHB-Pokal sowie zweimal die Champions League. Zuletzt bejubelten die Kieler im April den Sieg im DHB-Pokal.

Spätestens mit diesem Titel und einem extrem starken und leidenschaftlichen Auftritt beim Final-Wochenende in Hamburg wähnten sie die Zeit des Neuaufbaus und der sportlichen Konsolidierung im Verein eigentlich für beendet. In den zurückliegenden zwei Jahren hatte der THW seinen Kader auf fast allen Positionen umgebaut und dabei vermehrt auf junge, entwicklungsfähige Spieler gesetzt. Mit dieser Vorgehensweise begründeten und entschuldigten die Verantwortlichen im Verein auch den Umstand, dass der THW zuletzt zweimal in Folge nicht die Meisterschaft gewann – das hatte es zuletzt in den Jahren 2003 (TBV Lemgo) und 2004 (Flensburg) gegeben. Nun steht den Kielern das Wasser schon wieder bis zum Hals.

Immerhin gibt es Hoffnung: So soll Domagoj Duvnjak, der beste Kieler Feldspieler und Kapitän, nach seiner Knie-OP bald wieder eingreifen können, die Rede ist von Oktober. Die Frage ist nur, ob Duvnjak jemals wieder sein altes Niveau wird erreichen können – und ob seine Rückkehr für die Kieler nicht schon viel zu spät kommt.

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