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Tim Borowski

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Tim Borowski: „Ich will besser werden als Ballack“

Tim Borowski über seinen Wechsel von Bremen nach München, Träume im Fußball – und Geometrie

Herr Borowski, waren Sie in der Schule eigentlich gut in Geometrie?

Geometrie? Ich glaube, das lag mir ganz gut. Ja, doch. Überdurchschnittlich auf jeden Fall.

Dann erklären Sie uns doch mal, was ein geometrischer Spieler ist.

Ah, darauf wollen Sie hinaus. Oliver Bierhoff hat während der Weltmeisterschaft diese Bezeichnung für mich gewählt. Einen geometrischen Mittelfeldspieler zeichnet aus, dass er das Spiel lesen kann und dann so intelligente Pässe in die richtigen Räume spielt, dass die Defensive des Gegners auseinander gerissen wird. Oft sind das vertikale Pässe.

Dass Sie das können, sieht man im Nutella-Werbespot. Da treffen Sie genau ein Loch in der Fensterscheibe. Wie oft haben Sie das probiert?

Beim vierten Mal hätte es geklappt. Aber da lief die Kamera nicht. Zum Glück hatten wir eine Ballmaschine. Die kann man über Luftdruck so einstellen, dass man genau ins Ziel trifft.

Geometrisch hört sich ein bisschen nach Reißbrettfußball an. Haben Sie keinen Schreck bekommen?

Nein, für meinen Geschmack klang das nicht schlecht. Ich glaube, dass das eine Auszeichnung sein sollte. Aber ehrlich gesagt kannte ich den Begriff auch nicht. Ich habe das erstmal nachlesen müssen. Zum Glück gibt es Internet.

Hat diese Kategorisierung Einfluss auf Ihr Spiel gehabt?

Um Gottes Willen, nein. Ich versuche nicht, einer Bezeichnung zu genügen. Ich habe immer versucht, die Dinge, die mir gegeben sind, auszuspielen. Sonst geht die Authentizität verloren. Es ist auch für den Fan schöner, wenn er einen Spieler einschätzen kann, wenn er weiß: Okay, der Borowski kann ordentlich Fußball spielen, der ist auch aggressiv am gegnerischen Mann, der zeigt sich, kann aber auch ein liebenswerter Mensch sein.

Diese Art hat Ihnen den Ruf eingebracht, ein zweiter Michael Ballack zu sein, ein Mini-Ballack oder ein Ballack in Blond.

Michael Ballack war und ist zweifelsfrei ein außerordentlicher Mittelfeldspieler, aber speziell vor und während der WM wurde der Vergleich stark in mein Leben gedrängt. Bestimmte Ähnlichkeiten lassen sich nicht leugnen, trotzdem sind wir unterschiedliche Typen. Ich bin wohl etwas ruhiger und zurückhaltender.

Schmeichelt Ihnen der Vergleich nicht?

Als ich vor vier Jahren zum ersten Mal mit Michael Ballack verglichen wurde, hatte ich gerade den Durchbruch bei Werder geschafft. Damals hat mir das Power gegeben. Ein junger Spieler darf sich davon geschmeichelt fühlen, aber er sollte sich nicht in dieser Umschmeichelung einrichten. Mein Ziel ist es, besser zu werden als Michael Ballack.

Wann wird das der Fall sein?

Da müssten wir erst definieren, woran man das Bessersein festmachen will. Für mich ist wichtig, dass ich jetzt mit dem Wechsel zum FC Bayern den nächsten Schritt mache. Ich will den Schwung aufnehmen, damit es mich nach oben puscht. Ich versuche so an mir zu arbeiten, bis mein Potenzial ausgeschöpft ist. Wann das ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen.

Bisher war das Alter ein Vorteil Ballacks. Er ist fast vier Jahre älter und Ihnen damit voraus. Jetzt aber kommen Sie ins beste Fußballeralter.

Das haben Sie schön gesagt. Aber das Alter steht bei qualitativ hochwertigen Spielern nicht so im Vordergrund.

Glauben Sie, dass Ihnen auch der Vergleich mit Ballack das Interesse der Bayern eingebracht hat?

Nicht der Vergleich, sondern der Grund dafür – meine Qualität. Das Interesse der Bayern ist ja viel älter. Schon vor drei Jahren gab es ein Angebot, aber damals fühlte ich mich nicht so weit. Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Gerade in den letzten Jahren konnte ich noch mal einen Sprung machen.

Trotzdem konnten Sie Ballacks Verletzung nicht nutzen, um in der Nationalmannschaft Ihren Wert nachzuweisen – weil Sie selbst verletzt waren …

Aber es gab auch Spiele, in denen Michael und ich zusammen gespielt haben. Wir stehen uns mit unseren Qualitäten nicht im Wege. Es geht nebeneinander.

Mit Ihrem Wechsel zu den Bayern wandeln Sie weiter auf Ballacks Spuren.

Ich finde seine Karriere beeindruckend. Dass er zum FC Chelsea gewechselt ist, ist eine Riesennummer. Aber ich will seinen Weg nicht imitieren.

Warum haben Sie einen Wechsel ins Ausland gescheut?

Ich hätte den Schritt schon gewagt, aber dazu hätte ein wirklich großer Verein kommen müssen. Ich will an der Spitze spielen, das können einem nur wenige Klubs garantieren. Die Bayern können das. Ich bin sehr froh, dass ich den Schritt wage. Der Entschluss ist gut durchdacht.

Welcher Schritt ist gewagter: mit 16 von Neubrandenburg nach Bremen zu gehen oder mit 28 von Bremen nach München?

Das kann man nicht vergleichen. Ich bin in Neubrandenburg gut behütet aufgewachsen, kannte da alles, hatte meinen Freundeskreis. Dann ist der Schritt schon enorm, plötzlich alles abzubrechen und in eine Großstadt zu ziehen. Das erste halbe Jahr in Bremen ist mir sehr schwer gefallen. Sportlich hatte ich keine Probleme, aber menschlich. Da habe ich sogar überlegt, ob ich nicht wieder zurückgehe.

Was ist für einen Neubrandenburger der Kindheitstraum? Mal beim FC Bayern zu spielen?

Nee, beim FC Hansa Rostock. Ich bin zu DDR-Zeiten aufgewachsen. Die KJS, die Kinder- und Jugendsportschule, war damals in Rostock, und jeder, der mit Ambitionen Fußball spielte, wollte da hin. Noch heute drücke ich den Rostockern die Daumen, dass sie in der Liga bleiben.

Empfinden Sie nach all den Jahren in Bremen so etwas wie Dankbarkeit für Werder?

Ich glaube, es gibt eine gegenseitige Dankbarkeit. Im Sommer geht ein langer Weg für mich zu Ende, speziell mit Thomas Schaaf. Er hat mich damals quasi verpflichtet. Schaaf hat mich als Amateur- Cheftrainer aus Neubrandenburg zum Probetraining geholt und mir die Frage gestellt: Hast du Lust und Interesse, für Werder Bremen zu spielen? Seitdem kennen wir uns, da war ich 14 oder 15. Aber ich habe dem Verein auch viel gegeben. Ich bin aus der eigenen Jugend gekommen, habe mich hochgearbeitet, Schritt für Schritt, so wie es die Philosophie des Vereins ist. Wir haben das Double geholt und spielen jetzt das vierte Jahr hintereinander in der Champions League.

Woran haben Sie gemerkt, dass der FC Bayern wirklich an Ihnen interessiert war und nicht nur Werder ärgern wollte?

Die Gespräche waren einfach gut. Ich hatte das Gefühl, dass es um mich geht, um meine Persönlichkeit, meinen Charakter und mein fußballerisches Vermögen.

Als Sie sich für die Bayern entschieden haben, stand noch nicht fest, dass Jürgen Klinsmann Nachfolger von Ottmar Hitzfeld wird. Ist es nicht seltsam, zu einem Verein zu gehen, ohne dass man weiß, von wem man künftig trainiert wird?

Natürlich war das ein komisches Gefühl. Da werden tausend Namen ins Spiel gebracht. Man macht sich seine Gedanken, schlägt jeden Tag die Zeitungen auf, durchsucht den Videotext. Klar, das ist mit einem gewissen Risiko behaftet. Aber wenn man ein bisschen von sich überzeugt ist, trifft man die Entscheidung unabhängig davon. Und dass es Jürgen Klinsmann geworden ist, ist natürlich toll.

Nicht alle, die Bremen verlassen haben, sind in München glücklich geworden.

Das interessiert mich nicht. Jeder ist doch selbst dafür verantwortlich, was mit ihm passiert. Es gibt positive wie negative Beispiele. Claudio Pizarro und Mario Basler haben in München einiges erreicht. Pizarro hat da voll eingeschlagen, ist in München zu einem der besten Stürmer in Deutschland geworden und hat nicht umsonst den Schritt nach London gewagt. Chelsea wird sich ja nicht irgendeine Knusperflocke geholt haben.

Torsten Frings hat es bei den Bayern überhaupt nicht gefallen.

Torsten hatte kein Problem mit München, sein Problem war, dass er nicht das beste Verhältnis zu seinem Trainer hatte.

Zu Felix Magath, mit dem er schon in Bremen nicht klargekommen ist.

Aber eins muss man auch sagen: Ich weiß nicht, wie viele Titel Torsten in seiner Karriere gewonnen hat, aber die Titel, die er gewonnen hat, hat er in München gewonnen.

Er ist nicht zu Ihnen gekommen und hat Sie bedauert?

Dass nach einer solchen Entscheidung auch ein paar Sprüche kommen, ist klar. Aber die Kollegen haben mir alle gratuliert. Dass das in der Masse so war, hat mich schon sehr gefreut. Viele haben auch gesagt: Hut ab, dass du so ehrlich und so offen bist.

Es hätte auch ein Risiko sein können.

Das Risiko ist schwer kalkulierbar. Du kannst auch voll in den Misthaufen greifen und bekommst nur Druck von außen. Natürlich gibt es Leute, die mich partout nicht verstehen. Aber ich muss definitiv kein schlechtes Gewissen haben. Ich bin mit den Menschen und auch den Fans ehrlich umgegangen. Das hat man nicht mehr so oft im Fußballgeschäft.

Und Sie sind davon überzeugt, dass es die Pfiffe der Bremer Fans gegen Tim Borowski erst in der nächsten Saison geben wird?

Wenn überhaupt.

Wäre es für Sie persönlich wichtig, heute mit Bremen den FC Bayern zu schlagen?

Noch bin ich Werder-Spieler. Wir haben einiges vor, auch wenn wir vor einer Woche gegen Bochum verloren haben. Für uns wäre es enorm wichtig, in München zu punkten. Das Zeug dazu haben wir.

Sie glauben immer noch, dass Sie als Meister von Bremen zu den Bayern wechseln?

Sich mit einem Titel von seinem alten Verein zu verabschieden ist doch das Beste und das Schönste, das es gibt.

Und für Ihren Status bei den Bayern …

… ist es auf jeden Fall nicht von Nachteil.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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