zum Hauptinhalt
boll

© dpa

Timo Boll: Schüchtern und sexy

Timo Boll ist in der Tischtennisnation China ein Star. Um dort Gold zu gewinnen, trainiert er mit den Besten Europas.

Wie gewinnt man eine olympische Medaille? Mit Talent, Glück – und vor allem Training. Wir haben einige der besten deutschen Sportler vor den Olympischen Spielen bei ihren Vorbereitungen besucht. Heute, zum Abschluss, Folge 5: Tischtennisspieler Timo Boll.

Gleich könnten sie hier den Europameister ausspielen, die Besten des Kontinents sind alle da. Der Weißrusse Vladimir Samsonow, der Belgier Jean-Michel Saive, der Tscheche Petr Korbel und vorne an der ersten Platte spielt Timo Boll mit dem Kroaten Zoran Primorac. Sie wollen für die nächsten vier Tage ganz fest zusammenhalten beim Training in der hessischen Sportschule in Frankfurt am Main. Damit sie eine größere Chance haben gegen die Asiaten, vor allem gegen die mächtigen Chinesen, die bei den Olympischen Spielen im eigenen Land alles abzuräumen drohen. Und wenn einer aus Europa die Chinesen besiegen kann, dann als erster Timo Boll.

Boll sieht auch schon aus wie im Wettkampf. Er trägt kein schlabbriges Trainingsshirt, sondern ein Trikot mit seinem Namen auf dem Rücken, er hat es sich ordentlich in die Hose gestopft. Es ist die zweite Einheit an diesem Tag. Um 15.30 Uhr hat Boll sie begonnen, zunächst mit einem halbstündigen Aufwärmprogramm, mit Laufübungen und einem „Power Warm-Up“, einer aktiven Form des Dehnens mit Ausfallschritten. „Da geht man in die extremen Bewegungen rein“, sagt Bundestrainer Richard Prause. Dann steht Boll am Tisch.

Das Ziel, auf das sich Boll vorbereitet, ist das größte, das ein Tischtennisspieler erreichen kann: Im Tischtennisland China Olympiasieger zu werden. Dreimal hat er schon bei Olympia mitgespielt, in Athen stand er im Viertelfinale. „Ich bin jetzt 27 Jahre und im besten Tischtennisalter“, sagt er.

Die Trainingsphase in Frankfurt ist die dritte und letzte: wettkampforientiertes Training. Was Boll jetzt übt, ist ganz nah an dem, was sich bei Olympia abspielen wird. Die erste Übung: Falkenberg heißt sie, benannt nach einen schwedischen Klub, weil die Schweden sie sich ausgedacht haben, die Ende der Achtzigerjahre die Chinesen für ein paar Jahre als Weltmacht im Tischtennis abgelöst hatten. Nach einem Schlag mit der Rückhand springt Boll um und spielt mit der Vorhand auf der Rückhandseite weiter. Das bedeutet: Er steht ganz links am Tisch und hat die rechte Seite sperrangelweit offen. Er muss nun schnell rennen, um den nächsten Ball dort noch zu bekommen.

Die Beine sind beim Tischtennis immer wichtiger geworden, weil das Spiel schneller wird, deshalb muss diese Übung sein. Bolls Beine wirken flink. Gebräunt sind sie auch von einem neuntätigen Aktivurlaub in Ägypten. Boll macht in diesem Jahr einiges anders. Er hat seinen Körper noch einmal ganz neu aufbauen wollen. Lange war er Verletzungen im Knie und im Rücken nicht losgeworden. Für diesen Neuaufbau ließ er sogar die Olympia-Generalprobe aus, die Mannschafts-WM Ende Februar im chinesischen Guangzhou. „Durch die Verletzung habe ich einiges aufzuholen“, sagt Boll. Das ist sein Nachteil. Sein Vorteil: Hinter ihm liegt keine so anstrengende Saison. Vielleicht ist er im entscheidenden Moment frischer als die anderen.

In der Sporthalle in Frankfurt stehen acht Tische für die Herren-Nationalmannschaft und ihre europäischen Gäste. Es sind die Tische der Serie, die auch in Peking zum Einsatz kommen werden, ebenso die Bälle und der rote Boden. An manches wird sich Boll dagegen gar nicht gewöhnen müssen: An 8000 größtenteils chinesische, lärmende Zuschauer. „Das gibt einem manchmal noch einen kleinen Kick zusätzlich“, sagt Boll.

Dienstreisen nach China sind für Boll mindestens so selbstverständlich wie der jährliche Besuch eines Buchhändlers auf der Frankfurter und der Leipziger Buchmesse. Vor zwölf Jahren hat Boll seine erste Chinareise unternommen, „seitdem war ich vielleicht 30 bis 40 mal da“. Er weiß, dass ihn etwas anderes erwartet als bei Olympia vor vier Jahren. „In Athen kannte uns gar keiner. In China können wir uns nicht so frei bewegen.“ In China kennen Millionen die besten europäischen Tischtennisspieler und vor allem Timo Boll. „Da brauchen wir meistens Polizeischutz, wenn wir rausgehen aus der Halle, da strömen Massen auf einen zu“, sagt Boll. Seine Popularität in China scheint in Deutschland schwer vorstellbar. Boll ist ein eher schüchterner junger Mann, der vor jeder Antwort erst einmal schwer ausatmet, als ob Reden körperliche Arbeit bedeute.

Aber Boll hat sich weiterentwickelt. Als ihn eine Journalistin des Hessischen Rundfunks fragt, warum ihn wohl die Leserinnen einer chinesischen Frauenzeitschrift zum „Sexiest European“ gewählt hätten, entgegnet er: „Das müssten Sie als Frau doch viel besser wissen.“

Die zweite von vier Übungen. Boll macht einen kurzen Aufschlag, Primorac spielt mit Unterschnitt kurz zurück, dann muss Boll das Spiel eröffnen. Wer gefährliche Aufschläge präsentiert und dazu noch überraschende Rückschläge, der bringt es weit beim Tischtennis. Es sieht auf den ersten Blick immer gleich aus, wie sich die beiden den Ball zuspielen. Doch sie variieren ständig, mal ist mehr Rotation im Ball, mal weniger, mal platzieren sie ihn weiter rechts, mal weiter links. So entstehen ständig neue Spielsituationen. „Sehr gut Timo, bravo!“, ruft Bundestrainer Prause aus einer Ecke, nachdem Boll Primorac mit vier platzierten Schlägen ausgespielt hat. Boll selbst verzieht keine Miene.

Nach der zweiten Übung wechselt Boll sein Trikot, sammelt ein paar Bälle auf und legt sie in den blauen Kasten neben seiner Platte. Dann erklärt er Primorac auf Englisch die nächste Übung. Bei der dritten Übung halten beide den Ball mehrmals mit kurz platzierten Schlägen im Spiel, bis einer von beiden dann mit einem Angriffsschlag die Entscheidung sucht. „Aufpassen“ ermahnt sich Boll selbst, als er zwei Aufschläge hintereinander ins Netz spielt.

Sonst unterlaufen ihm wenig leichte Fehler. „Wenn ich in Form bin, kann kommen wer will“, wird er nach dem Training sagen. Auch die Chinesen. Boll hat sie schon alle besiegt, er ist als erster Deutscher die Nummer eines in der Weltrangliste geworden, 2003 war das. Dann ist er zurückgefallen, aber nicht herausgefallen aus dem Kreis derer, die Olympiasieger werden können. Die Chinesen haben immer noch Respekt vor ihm. Mit taktischem Geschick will er sie in Peking besiegen. „Es gibt jede Menge Vergleiche zwischen ihnen und mir, ich habe noch viele Erinnerungen daran.“

Bei der vierten Übung muss Boll nun den Ball auf einen von zwei festgelegten Punkten spielen, weiß aber selbst nicht, wohin er den Ball gespielt bekommt. „Es geht darum, unter Druck eine bestimmte, erzwungene Platzierung zu spielen“, sagt Trainer Prause. Als Boll seinen Partner an der Platte herumscheucht und dann den Ball in die freie Ecke knallt, schreit er „Jossa!“. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Boll ein Gefühl nach außen lässt. Prause ruft anerkennend „Timo!“. „Ich gebe in erster Linie Lob“, sagt der Bundestrainer, „die anderen Sachen bespreche ich vor oder nach dem Training.“

Während Mannschaftskollege Christian Süß in einer Ecke schon mit dem Seil springt, stehen Boll und Primorac nun gut drei Meter hinter dem Tisch und spielen sich zum Abschluss diagonal feste Topspins zu. Fünfzehn, zwanzig Mal fliegt der Ball übers Netz. „So“, sagt Boll nach dem letzten Ballwechsel, bevor er zur abschließenden Massage geht. Es ist ein „So“, in dem so viel Entschlossenheit steckt wie in einem harten Schmetterschlag.

In unserer Serie „Training mit ...“ sind bereits erschienen: Diskuswerferin Franka Dietzsch (20.7.), Sportschütze Ralf Schumann (22.7.), Turmspringerin Annett Gamm (24.7.), die Kanuten Tomasz Wylenzek und Christian Gille (26.7.).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false