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Rosskopf

© dpa

Tischtennis: Im Sitzen gewinnen

Jörg Roßkopfs Karriere war schon beendet – bei der Mannschafts-WM ist er noch einmal als Stütze dabei.

Seinen Platz in der deutschen Tischtennis-Nationalmannschaft hat Jörg Roßkopf wieder schnell gefunden, es ist ein Stuhl an der Spielbox. Von dort klatscht er seinen Kollegen bei den beiden Auftaktspielen der Mannschafts-Weltmeisterschaft in Guangzhou eifrig zu – als Anerkennung nach einem Punktgewinn oder als Aufmunterung vor dem nächsten Ballwechsel. Dabei zu sein, obwohl er selbst nicht mitspielt, das ist eine Stärke Roßkopfs, und bei den Siegen gegen Russland (3:1) und Serbien (3:1) hat er sie wieder gezeigt.

In der Ära vor Timo Boll war der 38 Jahre alte Roßkopf noch uneingeschränkte Leitfigur im deutschen Tischtennis. Da gab es kein Länderspiel, in dem der Linkshänder nicht selbst an der Platte stand. In Südchina, bei seiner bislang 16. Weltmeisterschaft, hat Roßkopf eine andere Rolle: „Ich versuche, der jungen Mannschaft Selbstvertrauen zu geben“, sagt der Vater von drei Kindern. In den ersten zwei Spielen hat er nur angefeuert, der Trainer behält sich aber vor, ihn noch einzusetzen, wenn es hart auf hart kommt.

Seine Teilnahme hat Roßkopf der Patellasehne im Knie von Deutschlands Spitzenspieler Timo Boll zu verdanken. Die entzündete sich nämlich beim Europe Top 12 vor drei Wochen und zwang den dreifachen Europameister von 2007 zu pausieren. So rutschte Roßkopf, der in Absprache mit den Bundestrainern für Guangzhou eigentlich nicht nominiert war, doch noch ins Team. Für Roßkopf kam Bolls Absage allerdings nicht überraschend. „Ich habe mir schon davor Gedanken gemacht, dass ich sehr gern spielen will.“

Stellt sich die Frage, was das Team ohne seinen Star Boll wert ist. Mit dem Weltranglisten-Fünften wären die Deutschen nach Bronze 2006 und Silber 2004 erneut ein ernsthafter Medaillenanwärter. Aber ohne die Nummer eins? „Vieles ist möglich“, sagt Roßkopf, „auch nach hinten“. Mit Dimitrij Owtscharow, Bastian Steger, Christian Süß, Patrick Baum und Roßkopf ist Europameister Deutschland ausgeglichen besetzt. Spielen die Deutschen allerdings nur etwas unter Normalform, könnten sie auch früh ausscheiden.

Daher verteidigt der Bundestrainer auch lieber nach vorn. „Ich glaube, dass wenige Teams gerne gegen uns spielen“, mutmaßt Richard Prause. „Wir haben eine begeisterungsfähige Mannschaft.“ Bei dem der erst 19-jährige Mannschafts-WM-Debütant Owtscharow als 15. der Weltrangliste die Position des Spitzenspielers einnehmen muss. Mit jeweils zwei Punkten im Einzel gegen Russland und Serbien wurde er seiner Stellung als Boll-Ersatz bisher vollauf gerecht.

Um eine Medaille zu gewinnen, sollten die Deutschen allerdings realistisch gesehen am besten Erster in ihrer Gruppe werden. Dann qualifizieren sie sich direkt für das Viertelfinale (die jeweils Zweiten und Dritten müssen noch ein Achtelfinale bestreiten) und würden erst im möglichen Halbfinale auf einen der drei anderen Gruppenersten treffen. Das sind voraussichtlich: Weltmeister China, WM-Zweiter Korea oder WM-Dritter Hongkong beziehungsweise Singapur.

Für Jörg Roßkopf wird diese WM wohl wirklich die letzte sein. Zwar will er noch ein weiteres Jahr in der Bundesliga oder im Ausland spielen, aber seinen großen Traum, die Karriere als Fahnenträger bei seinen sechsten Olympischen Spielen in Peking zu beenden, wird sich nicht erfüllen. Hinter Boll und Owtscharow wird Christian Süß spielen. Roßkopf unternimmt in dieser Zeit mit seiner Familie eine Reise in die USA. Eine Reiserückversicherung besitzt er nicht. Sollten gleich ein paar Spieler ausfallen, würde er trotzdem nach China kommen. „Das zahle ich so. Sehr gerne.“

Jörg Petrasch

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