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Harmonisches Miteinander. Timo Boll und Ma Long wollen den Titel im Doppel.

© doa

Tischtennis: Wie Timo Boll in China endlich Weltmeister werden will

In China ist Timo Boll ein gefeierter Star – gemeinsam mit dem Chinesen Ma Long will er sich dort endlich seinen Traum erfüllen und Tischtennis-Weltmeister werden.

Allein hat er es nicht geschafft, sich seinen Traum zu erfüllen und einmal Weltmeister im Tischtennis zu werden. Timo Boll gilt als Angstgegner der herrschenden Chinesen, aber immer, wenn er einen von ihnen besiegt hatte, stellte sich ihm der nächste in den Weg. Doch jetzt, im Spätherbst seiner Karriere, unternimmt Boll einen neuen Anlauf, einen besonders aussichtsreichen. Um den Titel zu gewinnen, muss der 34-Jährige auch diesmal wieder gegen Chinesen gewinnen. Dafür bekommt er jedoch Verstärkung, die beste, die er haben kann. Bei der WM, die an diesem Sonntag in Suzhou beginnt, im Osten Chinas nicht weit von Schanghai, spielt Boll im Doppel an der Seite von Ma Long. Der steht in der Weltrangliste auf Platz eins. Weltmeister mit China gegen China? „Wenn das so kommen würde, wäre das schon eine schöne Geschichte“, sagt Boll, und weil er zu Untertreibungen neigt, heißt das eher: Es wäre ganz großartig.

Zehn Jahre ist es her, dass Timo Boll so nah an einem WM-Titel war wie vorher und nachher nicht. Auch damals fand die WM in China statt, in Schanghai, und Boll scheiterte im Doppel mit Christian Süß erst im Finale. Dafür verließ er Schanghai mit einer besonderen Auszeichnung. Im Achtelfinale des Einzelwettbewerbs hatte er gegen den Chinesen Liu Guozheng Matchball. Liu Guozheng schien den letzten Ball verschlagen zu haben, alle hielten Boll für den Sieger, doch der zeigte an, dass der Ball seine Tischhälfte noch gestreift hatte. Boll verlor das Spiel und schied aus. Für seine Fairness erhielt er einen Preis des internationalen Verbandes. Vor allem aber hat sein Verhalten neben den Erfolgen seine Popularität in China begründet.

„Bor“ rufen sie ihn in China, sie erkennen ihn auf der Straße. Als er einmal einen innerchinesischen Flug nahm, hörte er, wie in den ersten Reihen sein Name geraunt wurde. „Bor?“ „Noch bevor ich an meinem Platz ganz hinten angekommen war, hatte sich das Bor schon seinen Weg durch die Reihen gebahnt und war vor mir da – Bor! Bor! Bor!“, erzählt er. Weibliche Fans vergucken sich schon mal in ihn. In einem Hotel in Peking klopfte eine junge Dame mitten in der Nacht an seine Tür und bot ihm eine Massage an.

Oft hält sich Timo Boll mehrere Wochen im Jahr in China auf

China hat Boll auf jeden Fall gefordert und gefördert. Oft hält er sich mehrere Wochen im Jahr dort auf, um mit den Besten zu trainieren und in der Superliga zu spielen. Zu Hause im Odenwald führt er ein beschauliches Leben, China lockt andere Seiten in ihm hervor, Neugier und Offenheit. „China hat mich geprägt, verändert, erzogen“, sagt er.

Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Es ist auch schon vorgekommen, dass Boll in China im Spiel gegen einen Chinesen von Chinesen angefeuert wurde. In Suzhou müssen sich die Zuschauer nicht entscheiden. Sie können „Bor, jiayou“ rufen, „Auf geht’s, Boll“, genauso wie „Ma Long, jiayou.“ Das Doppel könnte die Hauptattraktion dieser WM werden, es spielt in China ohnehin eine größere Rolle als in Europa. „Das Doppel ist sehr groß in den Medien. Diesmal wird im Doppel ein bisschen mehr los sein als sonst“, sagt Boll.

Das Zusammenspiel von Boll und Ma Long ist auch eine Werbemaßnahme fürs Tischtennis. Denn dem Rest der Welt wird Tischtennis allmählich etwas langweilig, weil die Chinesen immer alle Titel abräumen. Tischtennis braucht dringend mehr Abwechslung. Das sehen die Chinesen genauso. Von ihnen stammt daher auch die Idee der binationalen Doppel. Chinas Cheftrainer Liu Guoliang fragte Boll, ob er nicht Lust habe, mit Ma Long Doppel zu spielen. „Den hätte ich mir auch ausgesucht“, sagt Boll. So gut kennt er die Chinesen und so gut kennen sie ihn.

Boll und Long ergänzen sich ideal

Die beiden ergänzen sich bestens. „Unsere Spielanlagen passen sehr gut zueinander“, sagt Boll, „ich operiere mehr mit Spin, er ist ein echter Killer mit dem wohl größten Zug in der Tischtennis-Welt. Bei den China Open 2013 gab es auch ein paar Bälle, von denen ich dachte, da kommt Ma Long jetzt nicht mehr ran. Und dann schaffte er es trotzdem.“ Die China Open vor zwei Jahren waren eine erfolgreiche Generalprobe. „Bei unserem Sieg bei den China Open haben wir bewiesen, dass wir gut zusammenspielen können“, sagt auch Ma Long. „Timo kann gut die Bälle für mich vorbereiten und sehr gut platzieren. Das hilft sehr.“

Die Spielweise ist nicht das Einzige, was beide zu einem guten Doppel macht. „Unser Charakter ist sehr ähnlich“, findet Ma Long. Beide sind eher ruhig und flippen an der Tischtennisplatte nicht aus. „Ma Long ist sehr anständig, er wird alles geben.“ Olympiasieger Zhang Jike wäre Boll als Partner nicht so recht gewesen. „Bei ihm hätte ich die Sorge, dass er es nicht ganz so ernst nimmt. Er nimmt manchmal nicht mal sein eigenes Einzel ernst.“ Zhang Jike hat schließlich schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Ma Long dagegen hat genau wie Boll noch etwas offen. Sechs WM-Titel, aber noch kein Einzelgold bei WM oder Olympia. „Dieser Stachel sitzt tief bei ihm“, sagt Boll.

Auch Boll würde zu gerne ganz oben auf dem Siegerpodest stehen. Das ist ihm bei den weltweit wichtigsten Turnieren nur zweimal beim World Cup gelungen, jeweils mit Siegen gegen die besten Chinesen, aber eben noch nicht bei WM und Olympia. „Ich weiß, wie gut Timo Doppel spielt und welche Wertschätzung er in China genießt. Die Anfrage hat ihn noch mehr motiviert, für ihn ist es eine tolle Herausforderung“, sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf. Wer das deutsch-chinesische Doppel in den Satzpausen betreut, ob ein deutscher oder ein chinesischer Coach oder gleich beide, darüber hat sich Boll noch gar keine Gedanken gemacht. „Das Taktische wird nicht unser Problem werden“, sagt er. Es wird eher der Druck sein, diese vielleicht einmalige Chance zu nutzen: Die Chinesen zu besiegen und einer von ihnen zu sein.

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