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Die Katze ist geschlagen. Klaus Toppmöller (links) hat geköpft, Sepp Maier muss das zweite Tor des 1. FC Kaiserslautern hinnehmen.

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Toppmöllers Erinnerungen: Als Lautern die Bayern 7:4 schlug

Heute empfängt Kaiserslautern wieder die Bayern. 1973 verloren Beckenbauer, Müller, Maier und Co. nach 4:1-Führung noch 4:7 auf dem Betzenberg. Klaus Toppmöller, damals für Lautern dabei, erinnert sich.

Bei uns in Rivenich, meinem kleinen Heimatort an der Mosel, war es ganz einfach: Diejenigen, die unsportlich waren, traten der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Gesangsverein bei. Alle anderen spielten Fußball. Und wissen Sie was: Aus allen Fußballern ist etwas geworden! Die anderen singen teils heute noch.

Ich bin in einer Generation groß geworden, die den ganzen Tag draußen war und Fußball gespielt hat. Die ganzen Ablenkungen wie Computer oder Fernsehen gab es für uns gar nicht. Die Cleverness und Torgeilheit, die mich dann später auszeichnete und die ein guter Stürmer einfach haben muss, lernte ich so schon als Kind. Die Erfahrungswerte sind entscheidend. Wenn ich eine Chance vergab, machte ich mir immer Gedanken, wie ich es beim nächsten Mal besser machen könnte. Auf der Straße kann man da genauso viel lernen wie in einem Bundesligastadion.

Als Mittelstürmer lebt man natürlich auch von seinen Mitspielern. Ich hatte das Glück, mit Seppl Pirrung links und Roland Sandberg rechts zwei tolle Zuarbeiter zu haben, später kam noch Hannes Bongartz dazu, der Meister des Übersteigers, für dessen Wechsel ich mich vehement eingesetzt hatte. Als ich 1972 zum FCK kam, war das noch ein bisschen anders. Wir waren damals alles andere als eine Spitzenmannschaft. Wir hatten, salopp gesagt, ein Überangebot an Zerstörern im Team, standen folgerichtig meist im unteren Drittel der Tabelle, vor allem, weil wir auswärts fast nie gewannen. Auf fremdem Platz lauerten wir praktisch nur auf Konter. Spielten wir bei einer starken Mannschaft, bin ich in 90 Minuten vielleicht zwei, drei Mal im gegnerischen Sechzehner aufgetaucht. Aber wenn ich meine Chancen bekam, dann wurde es brandgefährlich. Viel ließ ich mir da nicht entgehen.

Die Tore gegen die Bayern waren zweifellos die schönsten. Sobald der Spielplan bekannt wurde, machte ich im Kalender zwei fette rote Kreuze. In der Regel schenkte die Presse dem kleinen Kaiserslautern kaum Beachtung, aber wenn es gegen die großen Bayern ging, dann schaute ganz Deutschland auf uns. Der FC Bayern lag mir als Gegner: Bis heute bin ich nach Manni Burgsmüller der erfolgreichste Torschütze gegen die Münchner. Beim 2:1-Heimsieg 1975 machte ich beide Tore, zu unserem 4:3 in München nach 1:3-Rückstand ein Jahr später steuerte ich drei Treffer bei, beim 5:0 ein paar Jahre später traf ich ebenfalls drei Mal. Das waren großartige Spiele damals. Auf dem Betzenberg habe ich mit dem FCK nicht einmal gegen die Bayern verloren in all den Jahren.

Aus allen Spielen gegen Beckenbauer und sein Team ragt das 7:4 von 1973 natürlich heraus. Es ist im Grunde unerklärlich, wie so ein Spiel kippen kann. Schon nach zwölf Minuten führten die Bayern durch zwei Treffer von Bernd Gersdorff 2:0, sie hatten uns richtig kalt erwischt. Zehn Minuten vor der Pause machte Gerd Müller dann auch noch das dritte Tor. Totenstille im Stadion.

Für immer ein Roter. Klaus Toppmöller spielte zwischen 1972 und 1980 für Kaiserslautern und schoss dabei in 204 Spielen 108 Tore.
Für immer ein Roter. Klaus Toppmöller spielte zwischen 1972 und 1980 für Kaiserslautern und schoss dabei in 204 Spielen 108 Tore.

© ddp

Immerhin schafften wir durch Pirrung vor dem Halbzeitpfiff noch das 1:3. In der Kabine sagten wir uns: „Jetzt probieren wir es noch mal, vielleicht geht noch was!“ Stattdessen machte Müller nach dem Wiederanpfiff sein zweites Tor. 1:4! Wir konnten sehen, wie die ersten Zuschauer die Ränge verließen. Eine absolute Demütigung bahnte sich an.

Doch fast im Gegenzug gelang mir ein Superkopfballtor. Aus gut fünfzehn Metern wuchtete ich den Ball über Sepp Maier ins Netz. Auf einmal war das Publikum wieder da, wir rannten mehr, versuchten noch einmal alles. Und ab dann war im Prinzip jeder Schuss ein Treffer. Die großen Bayern waren plötzlich verunsichert, Sepp Maier leitete das 3:4 durch einen verunglückten Abstoß ein, später musste Gersdorff auch noch mit Rot vom Feld.

Noch lagen wir aber hinten. Der Ausgleich fiel nach einer besonderen Freistoßvariante, die ich bei den Brasilianern gesehen hatte. Das Leder anlupfen und volley aufs Tor – was schwierig aussieht, hatte erstaunlich oft Erfolg. So konnte man den Ball wunderbar mit dem Vollspann über die Mauer heben. Das hatten wir oft trainiert. Und genau solch eine Szene ging dem 4:4 voraus: Der Freistoß knallte gegen den Pfosten und wiederum Pirrung vollendete per Nachschuss aus spitzem Winkel.

Dann erzielte ich das 5:4, wieder durch einen Kopfball. Neben dem Tor hatten sich schon vorher Dutzende Fans versammelt, ich tauchte komplett in der Menge unter. Als ich wieder hervorkam, folgte die Ernüchterung: Der Schiedsrichter deutete an, dass er ein Foulspiel gesehen hätte. Das Tor zählte nicht! Es stand weiter unentschieden. Wenig später war es dann soweit, unser Kapitän Ernst Diehl erzielte den überfälligen Führungstreffer. Nun gelang uns alles.

Durch die zwei wunderschönen Treffer von Herbert Laumen wurde die Schmach für die Bayern perfekt. 7:4 nach 1:4! „Hi, ha, ho, Bayern ist k.o.!“, schmetterten die 35.000 Fans. Mittlerweile waren auch alle diejenigen wieder da, die sich vorher schon auf den Heimweg gemacht hatten, zurückgelockt von den Torschreien der Verbliebenen. Es herrschte absolute Festtagsstimmung auf dem Betzenberg!

Einige Zeit später versuchten die Bayern mich abzuwerben, wahrscheinlich hatten sie genug von den ganzen Toppi-Toren. Aber ich war immer schon ein sehr heimatverbundener Mensch. Meine Eltern lebten damals noch, und ihnen nahe zu sein war mir wichtiger als das große Geld. Ich wollte einfach nicht von zu Hause weg. Und schließlich ist die Moselregion, wo ich herkomme, die schönste Gegend in Deutschland.

Den 1. FC Kaiserslautern hatte ich außerdem schon von Kindesbeinen an ins Herz geschlossen. Als ich sechs Jahre alt war, hockte mich mein Vater auf sein Motorrad und wir fuhren nach Trier, wo die Eintracht gegen den FCK spielte. Auf den Schultern meines Vaters sitzend sah ich Fritz Walter und die anderen Lauterer Weltmeister spielen. Als ich Fritz dann Jahre später zum ersten Mal begegnete, war ich voller Ehrfurcht. Später wurde unser Verhältnis immer enger.

Ähnlich wie Fritz habe ich nie vergessen, wo ich herkam. Als kleiner Bub schwärmte ich von Heinz Vollmar, einem Nationalspieler vom 1. FC Saarbrücken. Mein größter Traum war, ihn einmal zu berühren – er war ja so etwas wie ein Gott für mich! Als ich das nach einem Spiel auch schaffte, war ich überglücklich. Das habe ich mir bewahrt. Deshalb hätte ich später nie jemandem einen Autogrammwunsch abschlagen können. Immer, wenn mir ein kleiner Junge mit hoffnungsvollem Blick gegenüber stand, dachte ich: Das könnte irgendwann dein Nachfolger sein – der Kleine könnte eines Tages auch mal die Bayern vom Betzenberg schießen.

Der Text wurde aufgezeichnet von Johannes Ehrmann und ist ein Vorabdruck aus Ehrmanns Buch „Wenn der Betze bebt. 20 legendäre Spiele des 1. FC Kaiserslautern“. Es erscheint Mitte September im Verlag Die Werkstatt (19,90 Euro; weitere Infos auf www.fck-buch.de).

Klaus Toppmöller

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