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Sport: Tor in Goa!

Ein Skandal erschüttert Indiens Fußball: Zwei Aufstiegsspiele endeten 55:1 und 61:1

Tor, Tor, Tooor! So soll es sein im Fußball. Aber gleich 50, 60 Stück in einem Spiel? Das klingt wie ein Märchen. Doch es ist passiert in der wahren Welt des Sports – in dieser Woche, und nicht nur einmal. Die Sensation geschah in Goa, der fußballverrücktesten Provinz des neuerdings so fußballbegeisterten Indien.

Der nationale Verband hatte sich schon im Vorfeld Sorgen gemacht. Denn die Ausgangslage sah so aus: Zwei Vereine aus dem gleichen Städtchen, seit Generationen verfeindet, standen am letzten Spieltag der Saison punktgleich an der Spitze und kämpften um einen Aufstiegsplatz für die Regionalliga, die höchste Amateurklasse in Indien. Sollten beide Teams siegen, musste das Torverhältnis entscheiden.

Beide Vereine gewannen ihre Spiele. Die Ergebnisse lauteten: 55:1 und 61:1. Doch aufsteigen darf niemand nach der weltweit wohl einmaligen Fußballfarce. Der Verband hat alle vier beteiligten Teams für ein Jahr vom Spielbetrieb suspendiert und die mitwirkenden Spieler und Funktionäre mit drakonischen Strafen belegt. 5000 Rupien muss jeder zahlen, das sind etwa 90 Euro. Dazu kommt eine Sperre für alle Ligaspiele, lebenslang.

Bis zur Halbzeit war die Fußballwelt in Goa noch in Ordnung. Da stand es 2:0 auf dem einen und 6:0 auf dem anderen Platz. Doch dann traten die lokalen Politiker und die Bosse der sponsernden Unternehmen – zwei rivalisierende Bergwerksgesellschaften – in Aktion und setzten ihre offenbar am Vorabend an Biertischen ausgeheckten Strategien um. Das Wettschießen begann. Jedem Tor auf dem einen Platz – das Ergebnis wurde sofort per Handy übermittelt – folgte ein Tor auf dem anderen Platz. Die Gegner der beiden Aufstiegskandidaten stellten jeden Widerstand ein, ein Torwart verließ beim Stand von 34:1 entnervt das Feld. Andere Spieler provozierten Platzverweise, um sich der peinlichen Show und den drohenden Folgen zu entziehen.

„Das war ein unwürdiges Schauspiel“, schimpft Savio Messias, Präsident des Fußballverbandes in Goa. Aus seiner Sicht haben kriminelle Machenschaften und illegale Absprachen zu dem Skandal geführt. Messias sagt: „Es ist schwer zu glauben, dass ein Team, das in der ersten Halbzeit ein gleichwertiger Gegner ist, in der zweiten Hälfte 50 Gegentore und mehr zulässt, ohne dass Geld im Spiel ist.“

Auch die Fans sind empört. Gerade jetzt, da Fußball in Indien populär wird, fürchten sie um das Image des Sports, der früher nur in Kalkutta und der ehemaligen portugiesischen Kolonie Goa beliebt war. Inzwischen hat Soccer in ganz Indien die traditionellen Sportspiele Cricket und Hockey verdrängt. Es gibt eine Profiliga mit Gastarbeitern aus Europa und Südamerika. Und es gibt immer mehr Freizeitfußballer in Schulen und auf der Straße. Im Fernsehen laufen Übertragungen aus der englischen Premier League und der europäischen Champions League, zuweilen wird ein Spiel der Bundesliga gezeigt. Selbst Namen wie Ballack und Kahn sind den Fans geläufig; Trikots der deutschen Fußballer gibt es im Handel.

Indiens Fußball will nun an die Spitze in Asien. Funktionäre haben bereits beim deutschen und beim portugiesischen Verband um Rat und Entwicklungshilfe für den Aufstieg gebeten. Doch plötzlich steht alles in Frage – wegen 118 Toren in zwei Spielen.

Einer, der am meisten traf, steht im Fokus der Kritik: Marcelinho Diaz. Der 18 Jahre alte Stürmer ist eines der größten Nachwuchstalente im indischen Fußball. Als er den Sprung in die Nationalmannschaft schaffte, legte er sich einen sportlichen Künstlernamen zu, den er von seinem großen Vorbild entlieh: Marcelinho von Hertha BSC. Marcelinho Diaz machte sich bereits Hoffnungen darauf, in zwei Jahren vor deutschem Publikum um die Weltmeisterschaft mitspielen zu können.

In dieser Woche schaffte die indische Nationalmannschaft bereits den ersten Schritt zur WM-Endrunde 2006. Sie gewann ihr erstes Qualifikationsspiel gegen Singapur 1:0. Die Partie fand in Goa statt – allerdings ohne Marcelinho Diaz. Der wurde wegen der Affäre ausgeschlossen und steht vor dem Ende seiner Karriere.

Hermann Denecke

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