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Geschichte geschrieben: Bayerns Robert Lewandowski ist aktuell in überragender Form.

© Christof Stache/AFP

Torjäger von Bayern München: Robert Lewandowski: Der Beste seiner Zeit

Wie jeder erfolgreiche Stürmer wird auch Robert Lewandowski mit Gerd Müller verglichen – dabei spielt der polnische Angreifer ganz anders als sein legendärer Vorgänger beim FC Bayern München.

Dieter Hoeneß war vor zehn Tagen vor Ort, als sein Rekord von Robert Lewandowski regelrecht pulverisiert wurde – und er hat es schon früh so kommen sehen. Nachdem der Pole die Bayern gegen Wolfsburg gerade mit seinem dritten Tor 3:1 in Führung gebracht hatte, sagte Hoeneß zu seinem Tribünennachbarn: „Heute fällt mein Rekord.“

Fünf Minuten später war es so weit. Lewandowski erzielte sein fünftes Tor am Stück, den ersten Fünferpack seit eben Dieter Hoeneß 31 Jahre zuvor und zugleich den schnellsten der Bundesliga-Geschichte. Wofür Hoeneß am 25. Februar 1984, beim 6:0 der Bayern gegen Eintracht Braunschweig, etwas mehr als 21 Minuten benötigt hatte, brauchte Lewandowski nicht einmal neun.

Der Auftritt des Bayern-Stürmers ist anschließend hymnisch besungen worden („Marsmensch Lewandowski“), im Internet überschlugen sich die Laudatoren, Dieter Hoeneß hingegen musste nach seinen fünf Toren gegen Braunschweig unter anderem den Spott des damaligen Eintracht-Trainers Aleksandar Ristic ertragen.

„Wenn das Spielfeld drei Meter kürzer gewesen wäre, wäre das Spiel 0:1 ausgegangen“, sagte Ristic. Eine ironische Umschreibung der Tatsache, dass Hoeneß’ Tore nicht unbedingt der Ausdruck hoher Fußballkunst gewesen waren. „Ich stand eben da, wo ein Mittelstürmer stehen musste“, hat Hoeneß einmal erzählt. Die Betonung liegt auf: stehen. Eigentlich wollte der Stürmer der Bayern schon zur Pause vom Feld, weil er sich in der ersten Halbzeit einen Pferdekuss eingefangen hatte. Gegen Braunschweig aber reichte es auch so zu fünf Treffern.

Heynckes: "Der zurzeit beste Mittelstürmer der Welt"

Heutzutage reicht es für einen Mittelstürmer längst nicht mehr, im Strafraum nur richtig zu stehen. Da sich Raum und Zeit für Ballannahme und Verwertung verknappt haben, muss er mit seinen Bewegungen Flankenverläufe und Zuspiele vorgeben. Das Spiel hat sich verändert – und mit ihm die Anforderungen an einen Angreifer. Alles ist permanent im Fluss, selbst Mittelstürmer sind zu Bewegungskünstlern geworden, denen inzwischen sogar Ecken des Platzes aus eigener Anschauung vertraut sind, die ihre Urväter nur aus Erzählungen kannten, das weite Feld jenseits der Mittellinie zum Beispiel oder auch der eigene Strafraum.

Für Jupp Heynckes, immerhin der drittbeste Torschütze der Bundesliga-Geschichte, ist Robert Lewandowski „der zurzeit beste Mittelstürmer der Welt“. Vielleicht ist der Pole mit seinem breiten Portfolio tatsächlich der Beste seiner Zeit. Er beherrscht seinen Text sowohl mit dem linken wie mit dem rechten Fuß, er ist kopfballstark, schnell und robust. In der laufenden EM-Qualifikation hat niemand mehr Tore erzielt als Lewandowski. Im Juni brauchte er gegen Georgien ganze vier Minuten für einen Hattrick, und in den vergangenen drei Spielen für die Bayern traf er insgesamt zehn Mal. In fünf Jahren Bundesliga hat es Lewandowski auf 101 Tore gebracht, 27 für die Bayern und 74 für die Dortmunder Borussia, die heute zum Spitzenspiel in die Münchner Arena kommt (17.30 Uhr, live bei Sky).

Gerd Müller als Bezugsgröße für Hoeneß, Elber und Co.

Für Dortmunds Fans ist Lewandowski seit seinem Wechsel nach München eine Reizfigur, obwohl er sich beim BVB nichts hat zuschulden kommen lassen. In seiner letzten Saison bei der Borussia traf er 20-mal und wurde Torschützenkönig – weil er, genau wie bei den Bayern, auch in Dortmund von exzellenten Vorarbeitern profitierte: von Shinji Kagawa, Nuri Sahin, Ilkay Gündogan und Marco Reus.

Die Geschichte des FC Bayern ist reich an großen Stürmern, zu denen ohne Frage schon jetzt auch Robert Lewandowski zählt. Der Größte aber ist Gerd Müller, der für den Klub 365 Tore in 427 Bundesligaspielen erzielt hat, der in 62 Länderspielen 68 Mal getroffen hat, sieben Mal Torschützenkönig der Bundesliga war, darunter 1972 mit der Rekordquote von 40 Toren in einer einzigen Saison. Das alles ist fast 40 Jahre her, doch noch immer ist Müller die Bezugsgröße für all seine Nachfolger von Dieter Hoeneß über Roland Wohlfarth, von Giovane Elber bis Roy Makaay, von Luca Toni bis Robert Lewandowski. Nach dessen Gala gegen Wolfsburg bescheinigte ihm Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, dass er „wie früher Gerd Müller immer zur richtigen Zeit am richtigen Platz“ gewesen sei.

Gibt es überhaupt noch Mittelstürmer?

„Er hat Dinge gemacht, die gar nicht möglich waren“, sagt Dieter Hoeneß, der sich bei den Bayern als Erster an Müllers Nachfolge versuchen durfte. „Das Tor im WM-Finale gegen Holland zum Beispiel. Eigentlich springt dem Gerd der Ball vom Fuß. Aber wie schnell er dann wieder hinter den Ball kommt, aus der Drehung schießt und dem Torhüter keine Chance lässt – das ist einfach phänomenal.“ Müller hat Tore mit links und mit rechts gemacht, mit dem Hinterkopf genauso wie mit dem verlängerten Rückgrat. Er hat im Stehen getroffen, im Sitzen, im Liegen und auch im Fallen.

Es ist eine akademische Diskussion, ob sich Müller auch im modernen Fußball zurechtfinden würde. Manche meinen, er würde sogar noch mehr Tore schießen, weil er in der Ära von Raumdeckung und Viererketten noch viel mehr Platz vorfinden würde. Seriös beantworten lässt sich die Frage wohl nicht. Doch so wie Müller ein typischer Vertreter seiner Zeit war, so wie Dieter Hoeneß perfekt in die Achtziger passte, so steht Lewandowski idealtypisch für die fußballerische Moderne. Wobei: Kann es überhaupt noch einen typischen Mittelstürmer geben, wenn es eigentlich keine Mittelstürmer mehr gibt?

In Deutschland fehlen konkurrenzfähige Stürmer

Angreifer sind immer mehr zu Mischtypen geworden, zu Grenzgängern zwischen Mittelfeld und Sturm, die nun als falsche Neuner bezeichnet werden. Das Anforderungsprofil ist so umfangreich, dass nur wenige ihm noch gerecht werden. Ein Stürmer von heute muss in der Lage sein, sich unfallfrei am offensiven Kombinationsspiel zu beteiligen. Manche sehen daher sogar die ganze Gattung vom Aussterben bedroht. Lewandowski ist eine rühmliche Ausnahme – und vielleicht gerade deshalb der beste Beleg für die These, dass die Mittelstürmer verschwinden.

In Deutschland, dem Land von Gerd Müller, Klaus Fischer, Rudi Völler und Horst Hrubesch, wird seit Jahren das Fehlen international konkurrenzfähiger Stürmer beklagt. Spätestens mit Miroslav Kloses Abschied aus der Nationalelf ist dieses Problem endgültig im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Und hätte Klose nicht über eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit verfügt, wäre es schon viel früher richtig durchgeschlagen. Der frühe Klose, der bei der WM 2002 alle seine fünf Turniertore per Kopf erzielt hatte, war dem Achtziger-Jahre- Angreifer Dieter Hoeneß deutlich näher als einem mitspielenden Stürmer wie Robert Lewandowski.

Einen wie den späten Klose gibt es im deutschen Fußball aktuell nicht. Im Aufgebot von Bundestrainer Joachim Löw für die beiden anstehenden EM-Qualifikationsspiele in der kommenden Woche werden in der Kategorie Sturm Mario Götze, Kevin Volland und Max Kruse geführt. Der Wolfsburger Kruse ist ein typischer Fall. Von seiner Sozialisation her ist er ein offensiver Mittelfeldspieler, ein klassischer Zehner. Kruse treibt sich überall herum, aber nur selten im Strafraum. Von Robert Lewandowski sollten das die Dortmunder heute nicht erwarten.

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