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Weiche Knie. Herthas Torhüter Maikel Aerts hatte gegen Cottbus keinen guten Tag erwischt, seine Mannschaftskollegen waren aber auch nicht besser.

© Fotoagentur Engler

Torwartfrage bei Hertha: Hüter des schiefen Blicks

Trotz zuletzt schwacher Leistungen trägt Herthas Torwart Maikel Aerts nicht die Alleinschuld an den Gegentoren. Eher wirkt es, als nähme der Rest der Mannschaft seine Fehler als Alibi für ihr eigenes Versagen dankbar an.

Markus Babbel hat ein auf angenehme Weise antiquiert wirkendes Verhältnis zur Wahrheit. Der Trainer von Hertha BSC schlägt keinen Schaum, wo nur Wasser ist, er redet nicht Schlechtes gut, und wenn er dabei selbst dumm aussieht – sei’s drum. Markus Babbel ist ehrlich bis zur Selbstkasteiung. Selten kam das so deutlich heraus wie am späten Montagabend, nach dem 2:2 im Berlin-Brandenburg-Derby gegen Energie Cottbus. Hertha führt immer noch die Tabelle der Zweiten Liga an, aber die Unterschiede zur Konkurrenz nivellieren sich. Zeugnis dessen ist ein kompliziertes Zusammenspiel unterschiedlich empfundener Wahrheiten. Auszüge einer Systemkritik des Berliner Trainers.

Babbel über Babbel: „Was die Struktur unseres Spiels betrifft, vor allem die Kompaktheit: Das haben wir in der ersten Halbzeit nicht gut gemacht und in der zweiten noch schlechter, da muss ich mich auch fragen, was ich den Spielern in der Pause gesagt habe.“ Babbel über das Ergebnis: „Damit bin ich sehr zufrieden, denn wir haben nicht gut gespielt.“ Und, auf besondere Nachfrage, Babbel über seinen Torhüter: „Maikel Aerts hat heute leider nicht die erhoffte Sicherheit ausgestrahlt.“

Es hätte dies ein schönes Fazit sein können. Eines, das Selbstkritik nicht ausspart und doch Interpretationshilfe gibt für die Zuordnung von Verantwortung. Ja, Maikel Aerts, der 34 Jahre alte Torhüter aus den Niederlanden, zählte zu den schwächeren Spielern einer schwachen Berliner Mannschaft. Beide Gegentore fielen nach Eckbällen im Fünfmeterraum, dem unmittelbaren Hoheitsgebiet des Torhüters. Dazu hätte Aerts mit einem Fehlpass beinahe dem Cottbuser Emil Jula zu einem weiteren Tor assistiert und sich in der Schlussphase fast zum Deppen gemacht, als der hinter ihm lauernde Jiayi Shao den Ball vor der Ausführung eines Abstoßes stibitzen wollte.

Später sprach Aerts wirr wirkende Sätze über gemeinsames Siegen und Verlieren, er verstand die Frage nach dem Rencontre mit Shao nicht und blinzelte irritiert in die Kameras. Der Schock der Retrospektive war ihm anzumerken, und so hätte sich Herthas durchwachsener Abend leicht an seiner Leistung festmachen können. Eine solche Auslegung aber hätte nicht Markus Babbels Sinn für Ehrlichkeit entsprochen. Also schob er noch einen Satz hinterher, der in der allgemeinen Aufregung ein wenig unterging: „Maikel hatte nicht seinen besten Tag. Aber wir hatten auch kein Gespür dafür, ihm in besonderen Situationen zu helfen.“

Sicherheit ist eine Interdependenz zwischen Sendern und Empfängern. Verantwortungsbewusstsein auf dem Fußballplatz zeichnet sich aus durch Rücksichtnahme auf Kollegen, die mit Kritik zu kämpfen haben und mit Krisen.

Maikel Aerts’ Minikrise begann vor zweieinhalb Wochen mit einem haltbar erscheinenden Freistoß, den Unions Torsten Mattuschka zum 2:1-Siegtreffer im Berliner Derby verwandelte. Sie setzte sich fort mit einem Freistoß-Gegentor in Karlsruhe, auch dieses erschien vermeidbar. Nahtlos ging es weiter mit Unsicherheiten gegen Cottbus, mit zwei Gegentoren binnen zehn Minuten, mit Pfiffen aus der Ostkurve. Eine intakte Mannschaft spürt, dass sie ihrem Torhüter in so einer Situation helfen muss. Dass sie ihn nicht mit überflüssigen und riskanten Rückpässen in Verlegenheit bringen darf, wie es Christian Lell in der ersten Halbzeit tat, was Aerts zu dem missglückten Pass auf den Cottbuser Jula inspirierte. Kurz vor Schluss hielt es Fabian Lustenberger für geboten, den Ball aus der Cottbuser Hälfte zum eigenen Torhüter zurückzuspielen. Ein Zeugnis eigener Hilf- und Ratlosigkeit, aber es stellte nicht Lustenberger bloß, sondern Aerts, weil das Publikum in Erwartung einer weiteren Fehlleistung schon zu pfeifen anfing. Und warum hat den Torhüter niemand gewarnt, akustisch oder gestenreich, als Shao sich von hinten an Aerts heranschlich und ihm um ein Haar frühzeitig einen Platz in allen Jahresrückblicken verschafft hätte?

Zur Wahrheit dieses aus Berliner Sicht missratenen Abends gehörte also auch, dass sich die Mannschaft hinter ihrem Torhüter versteckte, dass sie sich von ihm ein Alibi für ihr eigenes Versagen geben ließ. Ferner gehört zur Wahrheit, dass Aerts keineswegs die Alleinschuld an beiden Gegentoren trug. Beim ersten köpfte der unbedrängte Innenverteidiger Roman Hubnik den Ball, aus welchen Gründen auch immer, nicht aus der Gefahrenzone. Sondern zurück in Richtung Aerts, der davon so überrascht wurde, dass er auf dem Rücken liegend noch das Unmögliche möglich machen wollte und doch nur einen tollpatschigen Eindruck hinterließ. Beim zweiten verlor erstens Hubniks Nebenmann Andre Mijatovic das Kopfballduell mit Jula und versagte zweitens derjenige, der in der Mitte auf den Cottbuser Torschützen Uwe Hünemeier aufpassen sollte. „Dafür gibt es klare Zuständigkeiten“, sagte Herthas Mittelfeldmann Peter Niemeyer, „wenn ich schon nicht selbst an den Ball komme, dann muss ich wenigstens dafür sorgen, dass ihn mein Gegenspieler auch nicht bekommt.“ Wer denn auf Hünemeier hätte aufpassen müssen, mochte Niemeyer nicht preisgeben.

Später am Abend ist Markus Babbel noch gefragt worden, ob er schon an einen Wechsel im Tor denke. „Na klar, darüber denke ich jeden Tag nach.“ Das war ausnahmsweise nicht ehrlich gemeint.

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