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Sport: Tour als Therapie

Floyd Landis fährt mit Schmerzen und ist nun Favorit der Frankreich-Rundfahrt

Im Fahrerfeld des Profiradsports erzählt man sich viel über Floyd Landis. Zum Beispiel, wie er mit ausgebautem Vorderrad nur auf dem Hinterrad einen Berg heruntergefahren ist. Oder wie er auf einem Flug von Kalifornien an die Ostküste mit dem Verzehr von 28 Tüten Erdnüssen einen neuen Rekord aufgestellt hat. Oder wie er mit seinem Kumpel, dem CSC-Fahrer David Zabriskie, an einem Nachmittag 30 Cappuccinos getrunken hat. Oder wie der Amerikaner 2003 neun Wochen nach einer schweren Operation die Tour de France gefahren ist.

Die Geschichten über den Mann aus Pennsylvania, der nach seiner überragenden Vorstellung beim Zeitfahren von Rennes und vor der heutigen ersten Pyrenäenetappe als großer Tour-Favorit gilt, ähneln sich. Es sind alles Geschichten über jemanden, der es nicht lassen kann, seine Grenzen auszuprobieren. Oder besser, der sich über das, was konventionell als Grenze gilt, lustig macht.In diesen Tagen stößt Landis wieder einmal in Terrain vor, in das sich gemeinhin nicht einmal andere Radprofis vorwagen würden. Geschweige denn Durchschnittsbürger mit normalem Schmerzempfinden und limitierter Toleranz für Leiden. Am Ruhetag in Bordeaux gab Landis bekannt, dass sein Arzt ihm schon seit Monaten den Einsatz einer künstlichen Hüfte empfehle. Landis kann keine Treppe mehr schmerzfrei gehen, er kann nicht einmal mehr ohne Hilfe auf sein Rad steigen. Aber bevor er sich die Prothese einsetzen lässt, möchte er erst noch die Tour gewinnen. Denn wer weiß, wie gut er nach der Operation noch Rad fahren kann.

Seine Mannschaftsärztin Denise Demir kann kaum glauben, dass Landis überhaupt Rad fährt. Eigentlich, so Demir, kann er nicht einmal mehr gehen. Landis hingegen sagt: „Rennen fahren ist für mich die beste Therapie.“ Mittel gegen die Schmerzen, die Demir beschreibt wie permanente starke Zahnschmerzen, verweigert Landis. „Schmerzen sind gut für mich, Schmerzen machen mich härter.“ Bei vielen Radprofis findet man in der Biografie einen Grund dafür, warum sie dazu in der Lage sind, die Pein auszuhalten, die ihr Beruf mit sich bringt. Eine Krebserkarunkung zum Beispiel wie bei Lance Armstrong. Doch selbst in der Gesellschaft der Schmerzerprobten ist Landis ein Sonderfall.

Landis wuchs in Farmersville in Pennsylvania auf, einer kleinen mennonitischen Gemeinde. Die Mennoniten von Pennsylvania stehen den Amish nahe – einer Sekte, die das moderne Leben und dessen Annehmlichkeiten strikt ablehnt. Es gab keine Autos, kein Fernsehen, keine Filme und die Frauen durften nicht ohne Kopftücher herumlaufen. Als der kleine Floyd anfing Rad zu fahren, gestattete ihm sein Vater dies zunächst, solange er dabei züchtig Baumwollhosen trug. Als Floyd jedoch mit 15 bekannt gab, dass er daraus einen Beruf machen möchte, sagte ihm sein Vater, dass ihn ob solch eitler Umtriebe Gottes Zorn ereilen würde. Doch Floyd Landis gab nicht nach. Mit 17 zog er nach Kalifornien und wurde Mountainbikeprofi. 2001 fiel er Lance Armstrong auf und wurde für dessen Tour-de-France-Kader verpflichtet. Bei der Tour 2004 war Landis als Helfer von Lance Armstrong so stark, dass ihn die Radsportwelt geradezu dazu drängte, Armstrong zu verlassen und anzufangen, auf eigene Rechnung zu fahren.

In diesem Frühjahr, nach anderthalb Jahren bei der Schweizer Phonak-Mannschaft, schien es, als habe sich Landis nun an seine Kapitänsrolle gewöhnt und sei reif für den großen Wurf. Er gewann im Frühjahr gleich drei große Mehrtagesrennen – die Kalifornien-Rundfahrt, die Tour of Georgia und Paris-Nizza. Danach galt er als Tour-Favorit – zunächst mit Jan Ullrich und Ivan Basso. Nachdem der Deutsche und der Italiener allerdings wegen der Dopingvorwürfe nicht starten durften, hat Landis weniger Konkurrenten im Rennen um den Toursieg.

Im Frühjahr wusste allerdings noch niemand von seiner Hüfterkrankung. Landis hatte die Diagnose seit einem knappen Jahr für sich behalten. Sie hinauszuposaunen, hätte für ihn zu sehr nach einer Ausrede für möglichen Misserfolg ausgesehen. Und Ausreden mag Floyd Landis nicht. „Wenn du nicht gewonnen hast, hast du nicht gewonnen. Punkt“, sagt er. „Eine Ausrede ist so gut wie jede andere.“ Insofern ist auch ein ruiniertes Hüftgelenk für Landis kein Grund, die Tour nicht zu gewinnen.

Sebastian Moll[Bordeaux]

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