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Cheng Li hat sich bei einem komplizierten und langjährigen Auswahlverfahren gegen viele Radsportler aus China und Japan durchgesetzt.

© dpa

Tour de France: Cheng Ji ist der erste Chinese auf der großen Tour

Cheng Ji ist der erste Chinese bei der Tour de France – dabei hatte er früher nicht mal ein Fahrrad.

Als der Begriff zum ersten Mal aufkam, konnte Cheng Ji so gar nichts mit ihm anfangen. „Am Anfang war ich überrascht, dass mich die Fahrer im Peloton und auch die Journalisten so nennen“, sagt der Chinese und lacht, „jetzt arbeite ich daran, dem Namen jeden Tag gerecht zu werden.“

Was also soll bitte ein „Fluchtgruppenkiller“ sein? Und welche Aufgaben werden ihm überhaupt zuteil? Seit der Spanienrundfahrt vor zwei Jahren trägt Cheng Ji diesen Beinamen, weil er die Ausreißer im Feld damals für seinen Mannschaftskameraden John Degenkolb in Grund und Boden fuhr, so dass dem Bayern fünf Etappensiege gelangen. Spätestens seitdem ist Cheng Ji im Kosmos Radsport ein Begriff. Dieser Tage ist das Interesse am Chinesen wieder besonders ausgeprägt, weil Cheng Ji der erste Profi seines Heimatlandes bei der Tour de France ist – und weil er sich abgesehen von diesem kulturellen Novum auch durch sportliche Qualitäten auszeichnet. Außerdem beabsichtigt Shimano, der Hauptsponsor seines Arbeitgebers, den großen Werbemarkt in Asien mit einheimischen Fahrern zu bestücken.

Bislang ist dieses Unterfangen so gut angelaufen wie Cheng Jis Versuch, seinem Namen gerecht zu werden. Selbst Jens Voigt, der alte Ausreißerkönig, stöhnt: „Bei dieser Tour kommst du einfach nicht weg. Die Sprinterteams beginnen schon bei drei Minuten Rückstand voll Tempo zu geben. Das gab es vorher nicht.“ Vorher gab es auch nicht Cheng Ji. Der 27–Jährige begann 2002 seine Radsportkarriere eher aus Zufall. „Mein Trainer sagte mir, ich soll doch von der Leichtathletik zum Radsport wechseln“, sagt er.

Ein hartes Auswahlverfahren überstand Cheng Ji als einer der Besten. „Wir wurden zu einem Trainingslager eingeladen, eine Woche lang Leistungstests. Dann gingen wir nach Hause. Eine Woche später wurden fünf von uns zu einem neuen Trainingslager eingeladen.“ Wieder gab es viele Tests, wieder gings danach nach Hause. Und erneut gehörte Cheng Ji zu den Wenigen, die ins nächste Trainingslager durften. Danach gab es Rennräder, allerdings nicht für jeden. „Wir mussten sie uns teilen. Vor jedem Training musste man die Sattelposition neu einstellen – das war ganz anders als in Europa.“

Anders war auch das Training.

„Wir haben nicht nach Zeit, sondern nach Kilometern trainiert. Unser Trainer sagte uns: ,Heute fahren wir 180 km.’ Und dann ging es los. Jeder führte einen Kilometer lang. Es war egal, wie spät es wurde, bis wir wieder heimkamen", sagt er. Noch heute fährt Cheng Ji gern lange allein und vorneweg. „Mir macht das nichts aus. Es ist auch einfacher für mich und bedeutet weniger Stress als im Peloton meine Position zu suchen. In Europa gibt es so viele Kurven und Kreisverkehre, bei denen man aufpassen muss. In China geht es immer geradeaus, oft sogar auf vierspurigen Straßen.“

Die harte Schule, die er in seiner Heimat absolvierte, prädestiniert ihn als Tempomacher an der Spitze des Feldes. Den Preis dafür zahlt er oft am Ende der jeweiligen Etappe – wenn er erschöpft unter den Letzten ins Ziel kommt. Im Moment ist Cheng Ji sogar Letzter.

In die Mannschaft kam er im Zuge eines Spezialprogramms von Sponsor Shimano. „Er kam gleich zu Beginn, als wir vor sechs Jahren den Rennstall aufbauten“, sagt Marc Reef, sportlicher Leiter des Teams Giant Shimano. „Unserem Sponsor war der asiatische Markt sehr wichtig“, ergänzt Reef, „ich kann mich an acht oder neun asiatische Fahrer erinnern, darunter mehrere Chinesen und Japaner.“ Das Auswahlverfahren überstand nur Cheng Ji. „Jedes Jahr flogen ein, zwei von den Jungs raus, weil sie nicht gut genug waren. Er war der, der übrigblieb und das beste Niveau hatte“, sagt Reef.

Der glückliche Gewinner fühlt sich als Vertreter für die Ausgemusterten. „Ich habe zu einigen von ihnen noch Kontakt. Sie schicken mir Glückwünsche. Und ich sage ihnen, dass ich wie in einer Armee derjenige bin, der aufpasst, wenn die anderen schlafen.“ Cheng Ji hat seine Position offenbar gefunden.

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