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Sport: Tour de France: Ullrich schlägt zurück

Jan Ullrich hat zurückgeschlagen. Lance Armstrong taumelte wie ein angeschlagener Boxer.

Jan Ullrich hat zurückgeschlagen. Lance Armstrong taumelte wie ein angeschlagener Boxer. Richard Virenque siegte im Solo, nachdem sein Begleiter Roberto Heras 1500 m vor dem Ziel in Morzine gestürzt war. Marco Pantani war nicht mehr zu sehen: Diese fünf Protagonisten machten die letzte Gebirgsetappe zu einem spannenden Schauspiel, zum Highlight der Tour 2000. Am letzten Berg tobte der härteste Kampf der diesjährigen Tour de France. Die 16. Etappe bot auf 196,5 km all die Dramen, die dieses Radrennen zu diesem faszinierenden Sport-Spektakel machen.

Jan Ullrich feierte ein grandioses Comeback nach der bitteren Niederlage in Courchevel, wurde Zweiter mit 24 Sekunden Rückstand. Sein Husarenritt auf den Col de Joux-Plane erinnerte an die Klasse auf seiner siegreichen Tour vor drei Jahren. "Ich habe am letzten Berg alles gegeben", sagte der Deutsche im Zielauslauf. "Ich freue mich sehr über den zweiten Platz."

Lance Armstrong brach am Joux-Plane ein und erreichte das Ziel 2:01 Minuten nach Virenque. Das Gelbe Trikot flatterte. "Das war der härteste Tag meines Lebens auf dem Rad, und ich bin froh, dass wir die Berge jetzt hinter uns haben", gestand der US-Amerikaner seinen Schwächeanfall ein. Er habe zu wenig gegessen und daher beim letzten Anstieg keine Energie mehr gehabt. "Aber in so einer Krise darfst du keine Panik bekommen." Auch die erstaunlichen 1:49 Minuten, die er auf Ullrich verlor, und der reduzierte Vorsprung vor dem Deutschen auf 5:37 Minuten beunruhigten ihn nicht. Ullrich aber hat den Festina-Fahrer, der ihm den zweiten Platz streitig machen wollte, distanziert: Joseba Beloki von zwei Sekunden auf 1:01 Minuten. Ein beruhigender Abstand vor dem Zeitfahren am Freitag.

Schon am ersten Berg, dem Col des Saisies (1650 m / 1. Kategorie) nach 65 km, war Pantani davongestürmt und passierte die Bergwertung eine Minute vor der Hauptgruppe. Der große Bluff: Am Ziel sollte er 13:44 Minuten zu spät kommen. U.S. Postal Service und Deutsche Telekom fusionierten. Armstrongs und Ullrichs Mannschaft schlossen sich zur Verfolgung des Spitzentrios Pantani-Escartin-Herve zusammen. Bis zum Col de la Colombiere (1. Kategorie) blieb der Abstand nahezu unverändert: das Pantani-Trio eine Minute vor der Armstrong-Gruppe. Im Tal vereinten sich alle und sammelten Kräfte für den steilsten Anstieg des Tages, für den Col de Joux-Plane: höchste Kategorie, 1700 m hoch, 11,8 km bergauf, durchschnittliche Steigung 8,5 Prozent, schmale Straßen, viele Kurven, Zehntausende von Zuschauern. Ein brutaler Berg nur wenige Kilometer vor dem Ziel.

Armstrong hatte nur noch Hamilton und Livingston zur Seite, Ullrich Udo Bölts, Giuseppe Guerini und Alexander Winokurow. Am Anstieg ging die Post ab. Jeder wurde zum Einzelkämpfer. Armstrong beschleunigte, Ullrich blieb dran, Pantani fiel zurück. Plötzlich konnte auch Ullrich dem Antritt Armstrongs nicht mehr folgen, kämpfte sich aber wieder an den Amerikaner und Virenque heran und forcierte nun seinerseits das Tempo des Trios - in großem Stil. Jetzt geriet Armstrong in große Schwierigkeiten, konnte sechs Kilometer vor dem Pass das Hinterrad des entfesselten Deutschen nicht mehr halten.

Dann stampfte Virenque davon und zusammen mit dem Spanier Heras über die Passhöhe. Der großartig kämpfende Ullrich, ganz allein, folgte 28 Sekunden später als Dritter und stieg ab: Boxenstopp wie bei Michael Schumacher. Er tauschte das extrem leichte Bergrad gegen die normale stabile Straßenmaschine für die zwölf Kilometer lange, halsbrecherische Abfahrt. "Außerdem war der Bremsgummi völlig abgewetzt", erklärte Ullrich den Radwechsel. Armstrong hechelte 2:13 Minuten nach Virenque über den Gipfel. Auf der Schussfahrt ins Tal jagte Ullrich das Spitzenduo, überholte den unglücklichen Heras, der 1500 m vor dem Ziel in Morzine die Kurve nicht gekriegt hatte und in die Barriere gestürzt war. Für Virenque und zum Etappensieg aber reichte der furiose Endspurt Jan Ullrichs nicht mehr - 24 Sekunden fehlten.

Hartmut Scherzer

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