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Gedenksport. Felix Sanchez erinnert an seine verstorbene Großmutter. Foto: dpa

© dapd

Sport: Tränen für die Oma

Hürdenläufer Felix Sanchez lieferte mit seinem Sieg einen der bewegendsten Olympia-Auftritte.

Berlin - Die Tränen. Diese gefühlt endlosen Tränen. Sie liefen direkt in die Herzen von Millionen Zuschauern, die diesen Mann weinen sahen. Sie sahen auch, wie er die linke Hand vor die Augen drückte, aus Rührung, überwältigt von den Emotionen. 80 000 Menschen im Olympiastadion in London und unzählige Fans vor Fernsehapparaten in aller Welt waren diesem Mann emotional ganz, ganz nahe.

Die Tränen des Felix Sanchez auf dem Podest, diese Szene gehörte zu den bewegendsten Bildern dieser Olympischen Spiele. Schon als Sanchez im Zielraum stand, als Olympiasieger über 400 Meter Hürden, war er auf die Knie gesunken, hatte seinen Kopf auf die Bahn gedrückt und geweint. Da ahnte man schon, dass hinter diesem Gold eine Geschichte steckte. Aber wie emotional diese Geschichte ist, das offenbarte sich erst, als er auf dem Podest hemmungslos weinte.

Beim Istaf ist Felix Sanchez, der 34-Jährige, der für die Dominikanische Republik läuft, eines der sportlichen Highlights. Er trifft auf den Briten Rhys Williams, Europameister von 2012, auf Georg Fleischhauer aus Dresden und auf Varg Königsmark von der LG Nike Berlin. Sie sind aber, vor allem emotional gesehen, nur Staffage für Felix Sanchez. Dessen Tränen heben ihn heraus aus dem Feld.

Die Tränen flossen wegen Lilian Morcelo, Sanchez’ Großmutter. Für sie hatte er diese Medaille gewonnen, eigentlich nur für sie. Lilian Morcelo starb vor vier Jahren, ihr Enkel erfuhr die Nachricht am Morgen seines ersten Starts bei den Olympischen Spielen in Peking. Er war ein Schock, seine Großmutter war schon in seiner Kindheit ein wichtiger Bezugspunkt für ihn, sie wurde im Lauf der Zeit immer bedeutsamer. In den Stunden nach der Todesnachricht weinte er nur noch. Er scheiterte in einer lächerlich schlechten Zeit bereits im Vorlauf.

Er konnte nicht schneller laufen, nicht an diesem Tag. Aber er schwor sich und seiner verstorbenen Großmutter, dass er seine Karriere nicht beenden werde ohne eine Medaille. In London heftete er ein Bild an die Innenseite seines Trikots, auf dem er und seine Großmutter zu sehen ist. Auf seine Spikes schrieb er mit Filzstift: „Abuela“ – „Großmutter“.

Mit diesen Spikes rannte er im Finale 47,63 Sekunden, im Ziel hatte er einen klaren Vorsprung. Und als er dann auf dem Boden kniete, mit Tränen in den Augen, zog er das Bild hervor und küsste es.

Das ist die gefühlsmäßige Seite dieses Sieges. Es gibt aber auch eine sportliche. Und die erzählt vom wundersamen Comeback des großen Felix Sanchez. Der Sohn von Einwanderern aus der Dominikanischen Republik, aufgewachsen in San Diego, Kalifornien, beherrschte zwischen 2001 und 2004 die 400 Meter Hürden, wie Usain Bolt jetzt den Sprint dominiert. 2001 wurde Sanchez Weltmeister, 2003 verteidigte er den WM-Titel in Paris erfolgreich mit 47,25 Sekunden, eine der schnellsten Zeiten, die je gelaufen wurden. 2004 holte er seinen ersten Olympiasieg, so überlegen, wie er jetzt in London gewonnen hat. Zwischen 2001 und 2004 blieb Sanchez unbesiegt, in 43 Rennen in Folge, in der Dominikanischen Republik ist er längst ein Nationalheld. Seit 1999 startet er für dieses Land, weil er damals keine Chance sah, ins US-Team zu rücken.

Dann warfen ihn Verletzungen zurück. 2007 gewann er nochmal Silber bei der Weltmeisterschaft, aber da war er schon längst nicht mehr der Herrscher über 400 Meter Hürden. Erst im Halbfinale von London hatte er erstmals wieder die 48-Sekunden-Marke unterboten. „Das hat mich überrascht“, sagte Sanchez. Da hatte er noch nicht geweint. Das kam erst nach dem Finale. Frank Bachner

Frank Bachner

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