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Sport: Tränen in Georgia

US-Radstar Lance Armstrong kündigt bei einem zweitrangigen Wettbewerb in den USA seinen Rücktritt an – nach der nächsten Tour de France

Einen solchen Pressewirbel hatte die „Tour of Georgia“, ein Radrennen, das nicht gerade zu den Highlights der Radsport-Szene zählt, wohl noch nie erlebt. Dutzende von Fernsehkameras drängten sich im großen Konferenzsaal des „Radisson Hotel“ von Augusta am Ufer des Savannah River, und die Reporter standen im Gang des Hotels Schlange. „Das ist wohl das zweitgrößte Medienereignis in Augusta in den vergangenen vierzehn Tagen“, witzelte Lance Armstrong, als er vor die Reporter trat. Nur Golf-Star Tiger Woods hatte mehr Journalisten in die Südstaaten-Provinzstadt gelockt als der sechsmalige Sieger der Tour de France.

Natürlich gefiel es Armstrong, dass so viele Leute seinetwegen nach Georgia gereist waren und er damit der sechstägigen Rundfahrt zu globaler Aufmerksamkeit verhelfen konnte. Vor drei Wochen hatte Armstrong angekündigt, dass er in Georgia „etwas ganz Wichtiges“ zu sagen habe. Das hatte genügt. Die Medien waren elektrisiert. Immerhin: Armstrong ließ die Reporter nicht zu lange zappeln. Sehr schnell verkündete der US-Amerikaner seine Kernbotschaft: „Die Tour de France in diesem Jahr wird mein letztes Radrennen sein“, sagte er.

Dann begann der Radprofi, normalerweise abgebrüht bis zur Arroganz, mit den Tränen zu ringen. Aus gutem Grund natürlich: Er dankte mehreren Menschen, die ihm sehr nahe stehen. Seinen Kindern, die für ihn die „größte Inspiration“ seien, seiner Mutter, seinem Sponsor, seinem Mannschaftsleiter Johan Bruyneel und zu guter Letzt seiner Freundin, der populären Sängerin Sheryl Crow, die sich für eine „Königin des Rock and Roll“ doch zu einem brauchbaren Radsportfan entwickelt habe. Der italienische Sportarzt Michele Ferrari, mit dem er lange zusammengearbeitet hatte und der wegen Sportbetrugs verurteilt wurde, tauchte auf Armstrongs Dankesliste allerdings nicht auf.

Doch spätestens auf die Frage, wie ernst zu nehmen diese Rücktrittserklärung denn nun sei, wurde der Champion wieder unsentimental. Nachdem er sich monatelang immer wieder im Hinblick auf seine Pläne für die Saison 2005 widersprochen hatte, zeigte er jedoch Verständnis für die Frage. Allerdings, versicherte er, er werde nach dem 24. Juli 2005 nie mehr als Profi aufs Rad steigen. Das stehe unverrückbar fest.

Zweifel bleiben dennoch bestehen. Denn noch im Januar wurde von einem Zwei-Jahresvertrag zwischen ihm und seinem neuen Mannschaftssponsor Discovery Channel gesprochen. Jetzt behauptet Armstrong, sein Vertrag mit Discovery gehe zwar weiter, beinhalte jedoch nicht, dass er auch Fahrrad fahre. Er werde Sendungen moderieren und außerdem in der Teamleitung beratend arbeiten. Vertraglich verpflichtet sei er nur dazu, die Tour noch einmal zu fahren, und das erledige er 2005.

Aber es solle bloß keiner denken, er absolviere eine nette, gemütliche Abschiedstour.  Er fahre, um zu gewinnen. Und einen Rücktritt vom Rücktritt werde es nicht geben. Als er in diesem Frühjahr zu Training und Wettkämpfen sechs Wochen lang in Europa war, sei es fast unerträglich gewesen, so lange von seinen drei Kindern getrennt zu sein. „Ich habe keine Lust mehr, die wichtigen Entwicklungen meiner Kinder zu verpassen. In ihrem Alter ist jeder Tag wichtig.“

Allerdings, sagt Armstrong, bezweifle sogar seine Freundin, dass er seinen Entschluss durchziehe. Als die beiden im Fernsehen den Rad-Klassiker Mailand – San Remo im Fernsehen verfolgten, konnte Armstrong keine Minute lang ruhig bleiben. „Und du willst aufhören?“ habe die Sängerin dann spöttisch gefragt. Aber selbst wenn er als Profi aufhört, er begleitet dann ja sein Team monatelang in Europa. Seine Kinder hätten jedenfalls nicht viel mehr von ihm. Also kann er genauso gut weiterfahren.

Freilich dürften dann nicht noch mal Hunderte Journalisten zu einem zweitklassigen Rennen nach Georgia kommen, wenn Lance Armstrong etwas Wichtiges verkünden will.

Sebastian Moll[Augusta]

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