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Erlingur Richardsson, 42, spielte früher als Kreisläufer in Island. Als Trainer betreute er mehrere Mannschaften in Island, unter anderem das Nationalteam, ehe er vor zwei Jahren West-Wien übernahm. Jetzt ist er für die Füchse verantwortlich.

© Imago/Sportfoto Rudel

Trainer der Füchse Berlin im Interview: Erlingur Richardsson: "Wir brauchen mehr Bildung im Sport"

Erlingur Richardsson, der neue Trainer der Füchse Berlin, spricht im Interview über seine Kindheit auf Inseln, Klischees im Sport und den Saisonstart.

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Herr Richardsson, Sie leben seit einem Monat in Berlin. Wie würde die Reise von hier in ihren Heimatort auf Island aussehen?

Das ist eine lange Tour. Erst mal mit dem Flugzeug aufs isländische Festland, danach ein Inlandflug, vielleicht 20 Minuten. Dann muss ich entscheiden, von welchem Hafen aus ich auf meine Heimatinsel fahre. Im Sommer dauert die Tour nur 40 Minuten, im Winter bis zu drei Stunden. Wenn ich zu Hause auf der Insel bin, holt mich meine Mutter mit dem Auto ab, manchmal auch meine Schwiegereltern. Oder ich frage jemanden, ob er mich ein Stück mit dem Auto mitnehmen kann.

Auf den Westmen Islands leben gerade einmal 4000 Menschen ...

Und es ist wirklich so: Jeder kennt jeden.

Haben Sie es als besonders empfunden, auf so einer abgelegenen Insel groß zu werden?

Absolut, ein perfekter Ort für Kinder. Es gibt dort kein Drängeln, man lebt sehr frei. Trotzdem ist alles sehr strukturiert. Als Jugendlicher bin ich immer früh aufgestanden und habe Sport gemacht: Radfahren, Fußball, Handball, Schwimmen. Auf unserer Insel gibt es drei Handballhallen, sechs Fußballfelder, eines davon mit Kunstrasen in der Halle. Abends bin ich dann erschöpft ins Bett gefallen. Auf Island machen fast alle Kinder drei oder vier Sportarten, das ist völlig normal.

Wann haben Sie die Westmen Islands zum ersten Mal verlassen?

Mit 17 Jahren. Ich bin damals für ein Austauschjahr in die USA gegangen, in einen kleinen Ort in der Nähe von Boston.

Da wird doch gar kein Handball gespielt!

Deshalb habe ich Fußball gespielt. Aber ich war nicht so ein guter Fußballer wie mein Freund Dagur Sigurdsson ...

… Ihr Vorgänger als Trainer der Füchse Berlin und jetziger Handball-Bundestrainer ...

… Dagur war ja in zwei U-Nationalteams und musste sich zwischen Handball und Fußball entscheiden, den beiden großen Sportarten auf Island. Das musste ich nie. Ich habe schnell gemerkt, dass ich Handball liebe und unbedingt Trainer werden möchte. Als ich 15 war, habe ich meine erste Gruppe trainiert.

Mit 15 Jahren?

Es gab damals ein paar kleine Kinder, die Handball spielen wollten, aber keinen Trainer in meinem Klub. Dann wurde ich gefragt: Kannst du das machen? Es gab ein bisschen Geld und hat Spaß gemacht.

In Berlin müssen manche Fußballvereine Kinder und Jugendliche abweisen, weil sie nicht genügend Trainer haben.

Ist das so? Für meine Söhne haben wir einen Verein in Prenzlauer Berg gefunden, ganz in der Nähe unserer Wohnung. Bei meiner Tochter war es auch kein Problem, sie spielt Handball bei den Füchsen. Und zu Ihrer Geschichte: Auf Island würde es nie passieren, dass man junge Leute abweist, selbst wenn sich 100 Kinder anmelden. Da hätte man als Trainer oder Klub ein ernsthaftes Problem. Irgendeine Lösung gibt es immer, und wenn es 15-Jährige machen wie ich.

Wie waren Sie als junger Handballer?

(lacht) Ziemlich klein, aber nicht immer nett. Ich würde sagen: in der Abwehr okay, im Angriff eher durchschnittlich.

Als Spieler haben Sie Island im Gegensatz zu vielen Landsleuten nie verlassen.

Das stimmt. Viele Kollegen aus unserer Junioren-Nationalmannschaft haben Karriere im Ausland gemacht. Zu dem Zeitpunkt war ich aber längst Trainer und habe viel Zeit dem Studium gewidmet, Sportwissenschaften. Das war mein Weg.

Ein Ex-Spieler muss nicht automatisch ein guter Coach sein

Als die Füchse Ihre Verpflichtung bekannt gegeben haben, waren Sie Trainer beim österreichischen Erstligisten West-Wien und nur den wenigsten ein Begriff.

Ich weiß, dass es schwieriger ist, den Einstieg als Trainer zu schaffen, wenn man keine lange Karriere hatte, das ist nicht nur im Handball so. Aber ich frage mich oft, woher der Glaube kommt, dass ein Ex-Spieler automatisch ein guter Coach ist. Das ist eines der größten Klischees im Sport. Sicher, man kann von den Erfahrungswerten profitieren. Aber im Sport braucht es viel mehr als Erfahrung: Bildung, wissenschaftliche Hintergründe. Da ist der Handball in manchen Dingen ziemlich oldschool. Die Aufgabe eines Trainers besteht nicht nur darin, Spielern zu zeigen, wie sie den Ball richtig werfen.

Im Nachwuchsbereich haben sich die Füchse einen guten Namen gemacht. Sie haben bereits in jungen Jahren die isländische Nationalmannschaft trainiert.

Diese Gemeinsamkeiten waren der wichtigste Punkt dafür, dass wir zusammengefunden haben. Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagen: Das passt perfekt. Unser Ziel muss es sein, so viele junge Spieler wie möglich zu entwickeln und gleichzeitig den Klub an der Spitze der Bundesliga zu halten. Das muss man mit Geduld und Auge machen, dann sehen wir, wohin es uns führt.

Was passiert, wenn es nicht gut läuft?

Als Isländer ist es ist einfach, nach Hause zurückzukommen. Wenn man hart arbeitet, findet man einen sicheren Job, gerade mit Hochschulabschluss. Man kann sich leicht einrichten und sesshaft werden. Deshalb ist der Umzug nach Deutschland für mich und meine Familie auch eine Art Abenteuer, genau wie der Umzug nach Wien vor zwei Jahren. Damals habe ich gemerkt, dass ich eine neue Herausforderung brauche, wenn ich lange Zeit das machen will, was ich liebe. Ich musste den nächsten Schritt machen.

Mit Paul Drux und Mattias Zachrisson haben sich kurz vor dem Saisonstart zwei wichtige Spieler verletzt, die nun etwa ein halbes Jahr fehlen werden. Wie haben Sie reagiert, als Sie davon erfahren haben?

Manche haben gesagt: In drei Monaten sind die wieder zurück. Meine Antwort war: Sie brauchen sechs Monate! Paul und Mattias sind junge Spieler, das dürfen wir nicht vergessen. Wenn man Schulterprobleme hat, muss man sich Zeit zur Regeneration nehmen, darauf werde ich genau achten. Ich hoffe, beide Spieler kommen noch stärker zurück.

Gerade der Ausfall von Paul Drux ist schwer zu kompensieren: Der Transfermarkt gibt nicht mehr viel her, und die Position im linken Rückraum ist die wichtigste im Handball. Was ist Ihr Plan?

Ich muss mir zwei Fragen stellen, wenn sich so ein wichtiger Spieler verletzt. Wer ist der nächste? In dem Fall sind es zwei ehemalige A-Junioren, die ihre erste Profisaison spielen: Kevin Struck und Fynn-Ole Fritz. Die zweite Frage lautet: Wie kann ich den beiden helfen? Und sind sie schon so weit? Wir werden das Problem als Team lösen müssen.

Am Samstag bestreiten die Füchse ihr erstes Pflichtspiel der Saison im DHB-Pokal, in jenem Wettbewerb also, den der Klub vor zwei Jahren gewonnen hat. Wie wichtig sind Titel für Sie persönlich?

Ich mache mir darüber ehrlich gesagt keine Gedanken. Wir müssen Schritt für Schritt denken, das führt dann automatisch zu größeren Zielen. Auch Dagur Sigurdsson hat Zeit gebraucht und bekommen, bis er die Mannschaft entwickelt hatte, die er haben wollte.

In den nächsten Tagen kommt Ihre Familie nach Berlin, die sich in den Ferien auf Island befindet. Was ändert sich für Sie?

(lacht) Ich werde häufiger zu Hause sein. Oder es zumindest versuchen. In den letzten Wochen war ich allein in Berlin, deshalb habe ich fast immer den ganzen Tag in der Trainingshalle verbracht. Das kann ich nicht mehr machen, wenn meine Frau da ist. Dann kriege ich Ärger.

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