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Überraschungsmann. Am Sonntag kann Luhukays Hertha der Aufstieg gelingen.

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Trainer Jos Luhukay: Aus Hertha einen neuen Verein gemacht

Im Sommer sagte er einen spektakulären Satz: „Ich glaube, dass hier zu viele meinen, dass sie groß sind und einen großen Namen haben. Das werfen wir ab heute in die Mülltonne.“ Mit diesem Rezept hat Trainer Jos Luhukay aus Hertha BSC einen neuen Verein gemacht: kommunikativ, ehrlich – und erfolgreich.

Wenn Jos Luhukay, der Trainer von Hertha BSC, auf die Straße tritt, blickt er auf eine siebenspurige Hauptverkehrsachse. Vor ihm rauscht der Verkehr Richtung Spandau vorbei, und wenn er sich streckt, kann Luhukay im Hintergrund die verlassene Abhörstation auf dem Teufelsberg erkennen. Elf Kilometer sind es von hier bis zu Berlins aufregender Mitte; zu Herthas Geschäftsstelle sind es zwei. Zweimal rechts, einmal links. Fünf Minuten braucht Luhukay mit dem Auto bis zu seinem Arbeitsplatz.

Seit gut zehn Monaten arbeitet er jetzt in Berlin, und in dieser Zeit hat sich Luhukay auch schon ein paar Sehenswürdigkeiten angesehen. Im vorigen Sommer ist er mal zum Brandenburger Tor gefahren, „an einem Sonntag, das weiß ich noch“. Seine Familie war aus Holland zu Besuch gekommen, seine Frau, seine Tochter, sein Sohn, und dann haben sie sich Unter den Linden ein bisschen umgeschaut. „Da musste ich einmal mit“, sagt Luhukay. „Von selbst würde ich das nicht machen.“

Weite Wege, große Straßen, viele Menschen. Luhukay sagt das nicht so, aber man kann aus seinen Sätzen heraushören, dass ihn die Dimensionen der Stadt ein wenig irritieren. „Berlin hat einen Umfang, der nicht normal ist. Da ist man nicht von jetzt auf gleich mit der Stadt verbunden.“ Das Berlin von Jos Luhukay ist jedenfalls nicht das Berlin, das im vergangenen Jahr elf Millionen Besucher aus der ganzen Welt angelockt hat. Luhukays Berlin liegt tief im Westen der Stadt, seine Mitte ist das Olympiastadion.

„Eigentlich genieße ich das, was Berlin alles zu bieten hat, zu wenig“, sagt Luhukay. „Aber ich bin in erster Linie für den Fußball hier.“

Wichtig ist nur das nächste Spiel. Und das kann Hertha heute den Aufstieg in die Bundesliga bescheren. Bei einem Sieg gegen Sandhausen steht schon vier Spieltage vor Saisonende fest, dass der Berliner Fußball ab dem Sommer wieder erstklassig ist. Für Hertha geht eine rekordverdächtige Saison zu Ende: Die Mannschaft ist zwischenzeitlich 21 Spiele ohne Niederlage geblieben. Keiner der 18 Zweitligisten hat öfter gewonnen, keiner seltener verloren; Hertha hat die meisten Tore geschossen und die wenigsten kassiert. Aber Hertha, mit 42 Millionen Euro verschuldet, hatte auch das größte Stadion, den höchsten Etat, den teuersten Kader.

Größe allein bedeutet gar nichts, das weiß vielleicht niemand besser als Jos Luhukay. Hertha musste sich erst klein machen, um wieder groß zu werden. Luhukay hat den Verein neu geerdet. Dieser nur 1,67 Meter große Holländer. Sein Vater war ein Einwanderer von den Molukken, der in einem Stahlwerk hart arbeiten musste, um seine Familie zu ernähren. Wenn man Luhukay nach seinem längst verstorbenen Vater fragt, bleibt er eher vage. Der Umgang mit den Molukken aus der früheren Kolonie Indonesien ist kein Ruhmesblatt der holländischen Geschichte. „Die Menschen haben unglaublich viel wegstecken müssen“, sagt Luhukay. „Ich habe das natürlich von klein auf miterlebt.“ Die Molukken kamen als Flüchtlinge, sie wurden in Lagern untergebracht, in Zelten und Baracken, und schließlich über das ganze Land verteilt. In Luhukays Heimatstadt Venlo gab es zwei, drei Straßenzüge, in denen die Molukken lebten und weitgehend unter sich blieben. Seine Familie wohnte ein paar Straßen weiter, weil sein Vater eine holländische Frau geheiratet hatte. „Ich bin unter holländischen Menschen aufgewachsen“, sagt Jos Luhukay.

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Luhukay hat weder mit dem deutschen Fußball noch mit der Sprache ein Problem

Luhukay ist vor knapp 50 Jahren in Venlo geboren.
Luhukay ist vor knapp 50 Jahren in Venlo geboren.

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In Berlin wohnt er in einem Hotelappartement, „großzügig und elegant“ eingerichtet mit „genügend Platz zum Wohlfühlen“, wie im Internet zu lesen ist. Das Appartement verfügt über zwei Schlafzimmer, zwei Granitsteinbadezimmer und eine amerikanische Küche mit Herd und Backofen, Kühlschrank, Mikrowelle, Kaffee-/Wasserkocher. Pflegeprodukte werden gestellt, ein Bügeleisen ist gegen Gebühr erhältlich. Luhukay lacht, als man ihn fragt, ob er diesen Service schon mal in Anspruch genommen habe.

Das Appartement hat ihm der Verein vermittelt. „Es ist perfekt“, sagt Luhukay. Er ist schnell am Trainingsgelände, wohnt nicht zur Straße, sondern „schön im Grünen: Man merkt nicht, dass man in einer Großstadt ist“. Und die Eigentümerin ist auch noch Hertha-Fan. An der Straße ist in einem Schaukasten die Speisekarte des Hotelrestaurants angebracht, daneben hängt ein Spruch: „Zuhause ist kein Ort. Zuhause ist ein Gefühl.“

Luhukays Zuhause ist die Grenzstadt Venlo. Deutschland ist nah, Deutsch in den Geschäften so etwas wie die zweite Amtssprache und der deutsche Fußball eine wichtige Bezugsgröße. Luhukay hat weder mit dem deutschen Fußball noch mit der deutschen Sprache ein Problem, auch wenn er holländische Wendungen oft eins zu eins ins Deutsche übersetzt. Dann will er seinem Spieler zum Beispiel nicht „zu kurz tun“, wenn er „unrecht“ meint.

In Venlo ist Luhukay vor knapp 50 Jahren geboren, hier hat er mit 17 sein Debüt als Profi gegeben und ein Jahr später die Frau kennengelernt, mit der er bis heute zusammen ist. „Ich finde es immer schön, wenn Leute sagen: Du hast dich gar nicht verändert. Das gibt mir sehr viel Genugtuung“, erzählt Luhukay. Venlo ist immer der Wohnsitz der Familie geblieben, auch als Luhukay in Paderborn und Augsburg gearbeitet hat. Von Berlin aus fährt er alle zwei Wochen die knapp 650 Kilometer nach Hause. Für professionelle Fußballtrainer ist eine doppelte Haushaltsführung nichts Ungewöhnliches und meistens auch kein Problem. Nur bei Markus Babbel, Herthas letztem Aufstiegstrainer, waren die Heimreisen nach München ein Dauerthema. Babbel hat allerdings auch den Eindruck erweckt, er sei nur auf Montage in Berlin und könne gar nicht schnell genug wegkommen. Die Trainingszeiten schienen vor allem auf die Lufthansa-Flugpläne in Tegel abgestimmt zu sein.

Jos Luhukay fliegt selten, in der Regel nimmt er den Zug: ICE von Spandau nach Düsseldorf und Köln/Bonn Flughafen, Zugteilung in Hamm/Westfalen, ein Übergang zwischen den Zugteilen ist nicht möglich. Anfangs ist Luhukay ein paar Mal in die falsche Hälfte eingestiegen, weil er nicht darauf geachtet hat. „Zugfahren ist für mich sehr angenehm“, sagt Luhukay. Knapp vier Stunden dauert die Fahrt. In dieser Zeit kann er Zeitung lesen, am Laptop arbeiten oder „auch mal ein Stündchen die Augen zumachen“. In Duisburg wartet seine Frau mit dem Auto.

Man hätte Luhukay gerne auf einer solchen Zugfahrt begleitet, aber das wollte er nicht. Herthas Pressesprecher teilt mit, dass die Zugfahrt für den Trainer Teil seiner Freizeit sei. Doch es ist nicht nur das. „Man sitzt ja nicht alleine im Zug“, sagt Luhukay. „Da sind viele Menschen um einen herum, und dann stehe ich plötzlich in einem Rampenlicht.“ Es wäre ihm unangenehm. „Man muss aufpassen, dass man nicht zu sehr gelebt wird, durch die Öffentlichkeit und den Fußball.“ Da ist es wieder, sein holländisches Deutsch.

Die Woche, an deren Ende Hertha den Aufstieg perfekt machen kann, ist die erste schöne nach diesem scheinbar ewigen Berliner Winter. Luhukay trägt eine Baseballkappe gegen die Sonnenstrahlen, auf dem Weg vom Trainingsplatz in die Kabine bleibt er wie immer bei den Journalisten stehen, um ihre Fragen zu beantworten. Plötzlich macht er einen Ausfallschritt, tänzelt wie ein Fliegengewichtsboxer – und kneift einen Reporter in den Bauch. So etwas hat er noch nie getan. Luhukay sagt selbst, dass er auf „eine gewisse Distanz“ bedacht ist: „Ich will es doch ein bisschen sachlich halten.“

So sachlich wie in Herthas Medienraum. Blaue Auslegeware, zwei schwarze Ledersofas, ein Sessel, kniehoher Couchtisch mit Stahlrohrfüßen, lackierter Stahlschrank an der Wand und Lamellenvorhang vor dem Fenster. Früher war das Zimmer eine bessere Abstellkammer, in dem der Verein das Material für ein mögliches Hertha-Museum gehortet hat. Luhukay kommt direkt vom Trainingsplatz. Er zieht seine Noppenschuhe aus und läuft auf Socken über den Teppichboden. Luhukay lehnt sich auf dem quietschenden Ledersofa zurück, und für einen Moment legt er die Fußsohle an die Tischkante.

An den Wänden hängen großformatige Schwarz-Weiß-Bilder von Herthas Helden der Vergangenheit. Hanne Sobek und Pal Dardai, Michael Preetz und Erich Beer. Eine pixelige Aufnahme zeigt Otto Rehhagel als jungen Stopper im gestreiften Baumwolltrikot. Luhukay sitzt schräg unter dem Foto. Rehhagel schaut ihm jetzt sozusagen über die Schultern.

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"Am Anfang war es nicht leicht"

Für den Geschmack vieler Hertha-Fans hätte der neue Trainer vor einem Jahr ruhig ein bisschen mehr Namen haben dürfen.
Für den Geschmack vieler Hertha-Fans hätte der neue Trainer vor einem Jahr ruhig ein bisschen mehr Namen haben dürfen.

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Otto Rehhagel war der letzte von fünf Trainern, die sich in der vergangenen Saison an Hertha versucht haben. Ein großer Name, der den Klub nicht nur vor dem Abstieg retten, sondern auch dessen Sehnsucht nach Größe bedienen sollte. Rehhagel hat sich dann aber eher als eitler Besserwisser herausgestellt – und ist am Ende krachend gescheitert. Ein größerer Kontrast als zwischen Otto Rehhagel und Jos Luhukay lässt sich schwer vorstellen. So wie sich Luhukay nach außen gibt, ist er genau das, was der Verein in der vorigen Saison nicht war: kommunikativ, umgänglich, sympathisch, ehrlich – und vor allem erfolgreich.

Aber was soll schon schief gehen, wenn der teuerste Kader der Liga von einem Trainer angeführt wird, der schon zweimal – mit Mönchengladbach und Augsburg – bewiesen hat, dass er aufsteigen kann? Doch so einfach, wie es von heute aus betrachtet erscheint, ist es gar nicht gewesen. Luhukay hat im Sommer einen erschöpften Verein und eine verstörte Mannschaft vorgefunden.

„Am Anfang war es nicht leicht“, sagt Luhukay. Da war dieses Spiel beim FSV Frankfurt, am zweiten Spieltag. Es war der Tag, an dem Jos Luhukay an Hertha verzweifelte. 1:3 hatte seine Mannschaft verloren. Die Spieler waren wortlos vom Platz geflüchtet, dafür redete ihr Trainer bei der Pressekonferenz umso mehr. Völlig versagt habe seine Mannschaft, hilflos sei sie gewesen. Luhukays Worte wurden immer schneller, immer lauter dröhnte seine Stimme durch den Presseraum, und dann sagte er einen Satz, mit dem er den Zustand und das Problem des Vereins perfekt erfasste: „Ich glaube, dass zu viele bei Hertha meinen, dass sie groß sind und dass sie einen Namen haben oder Status oder Stellenwert. Aber ich habe gesagt: Das werfen wir ab heute in die Mülltonne.“

Für den Geschmack vieler Hertha-Fans hätte der neue Trainer vor einem Jahr ruhig ein bisschen mehr Namen haben dürfen. Seitdem Dieter Hoeneß einmal Arsène Wenger vom FC Arsenal als perfekten Mann für den Hauptstadtklub ins Spiel gebracht hat, gibt es in Berlin eine Sehnsucht nach einem Trainer, der Weltmann und Taktikfuchs gleichermaßen ist. Vor diesem Hintergrund ist Jos Luhukay nicht unbedingt ein Name, der die Fantasie beflügelt. Als trickreicher Mittelfeldspieler ist Luhukay in seiner Heimat Holland verlässlich zwischen Erster und Zweiter Liga gependelt; zum Ende seiner Karriere hat er immerhin zweimal für den KFC Uerdingen in der Bundesliga gespielt. Wobei: Streng genommen waren es gerade 26 Minuten. Und auch Luhukays Trainerstationen klingen nicht unbedingt nach großer weiter Welt: Straelen, Paderborn, Mönchengladbach, Augsburg. Luhukay hatte – nach Aufstieg und Klassenerhalt mit dem FC Augsburg – gerade die Kündigung eingereicht, als ihn Herthas Angebot ereilte. Große Stadt, großer Name. „Es ist nicht die einfachste Entscheidung gewesen“, sagt Luhukay. Letztlich siegte „der innere Antrieb, vielleicht aus wenig viel zu machen“.

Im Juni wird Luhukay 50, und vor einem Jahr hat er mal gedacht, der Aufstieg mit Hertha – das wäre doch das perfekte Geschenk zu diesem Geburtstag, von dem er nicht recht weiß, was er mit ihm anfangen soll: „Ich tu’ mich ein bisschen schwer mit der Zahl 50.“ Für seine Frau, die ein paar Monate älter ist, hat Luhukay im Herbst eine große Überraschungsparty organisiert. Das sei sehr schön gewesen, weil er auch Menschen eingeladen hatte, die er nicht jeden Tag sieht. Aber Luhukay hat seiner Frau gleich gesagt: „Nicht dass du auf die Idee kommst, für mich auch etwas zu machen.“

Wenn Hertha heute den Aufstieg besiegelt, wird es im Olympiastadion allenfalls eine improvisierte Feier geben. Offiziell ist nichts geplant. Die große Sause soll es erst nach dem letzten Saisonspiel am Pfingstsonntag geben. Aber schon in dieser Woche ist die Anspannung ein bisschen abgefallen. Luhukay lacht viel, er scherzt mit seinen Spielern. Beim Trainingsspiel steht der Cheftrainer, Trillerpfeife vor dem Bauch, mit verschränkten Armen an der Mittellinie, einen Fuß diesseits der Kreide, den anderen jenseits. Als die Spieler nach der Einheit vom Platz gehen, schreitet Jos Luhukay noch einmal den Rasen ab. Mit dem Fuß tritt er die Löcher zu.

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