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Sport: Trainer ohne Alibi

Dick Advocaat durfte in Gladbach groß einkaufen – nun steht er gehörig unter Druck

Dick Advocaat stürzte sich ins närrische Treiben am Niederrhein. Eine Woche vor dem Start in die Rückrunde der Fußball-Bundesliga trank er auf einer Bühne, gemeinsam mit einem „Prinz Jürgen“, Eierlikör. Aber nur ausnahmsweise. Der Name verpflichtet eben. Im Alltag steht der niederländische Fußballlehrer bei Borussia Mönchengladbach für die Devise „Schluss mit lustig“. Unverblümt hat er deutlich gemacht, wie wenig er von manchen der ihm anvertrauten Fußballprofis hält.

Schon kurz nach seinem Dienstantritt als Nachfolger von Holger Fach sprach Advocaat einigen Profis die Klasse ab, seinen Ansprüchen zu genügen. „Verschiedenen Spielern muss man leider sagen, dass sie nicht gut genug sind.“ Sie seien gut beraten, sich einen anderen Verein zu suchen. Um die Qualität seines Aufgebots, vor allem der Anfangsformation, zu steigern, schickte Advocaat den Gladbacher Sportdirektor Christian Hochstätter auf Shopping-Tour über die Fußballplätze Europas. So sicherte sich der mit fünf Meistertiteln dekorierte Traditionsklub, zur Halbzeit nur drei Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt, in der Winterpause souverän den Titel des Einkaufsmeisters.

Alles neu macht der Januar. Die Borussia verpflichtete fünf Spieler, die sich bei anderen Vereinen nicht länger mit einer gut bezahlten Nebenrolle begnügen wollten: Jörg Böhme (vormals Schalke 04), Bernd Thijs (Trabzonspor), Craig Moore (Glasgow Rangers), Wesley Sonck (Ajax Amsterdam) und als – vorläufig – Letzten den US-Nationaltorhüter Kasey Keller (FC Southampton). Mit diesen neuen, teils nicht mehr taufrischen Kräften glaubt der Trainer einen Stabilitätspakt schließen zu können, der dem fragilen Gefüge mehr Widerstandskraft verleiht.

Für seine Verhältnisse wirkt der strenge Herr Advocaat nun geradezu begeistert. Seine Mannschaft spiele um „hundert Prozent besser“ als vor der Winterpause, sagte er nach dem Trainingslager im spanischen Marbella. Er müsse „den Verein wirklich loben“. Gemessen an den (finanziellen) Möglichkeiten „habe ich die Spieler bekommen, die ich wollte“. Als sechster Zugang wird der Belgier Filip Daems vom türkischen Erstligisten Genclerbirligi gehandelt. Er könne auf der linken Abwehrseite den verletzten Christian Ziege ersetzen, der möglicherweise länger ausfällt als erwartet.

Rund um den neuen Borussia-Park heißt es, Advocaat habe alle sportliche Gewalt an sich gerissen. Hochstätter, lange ein zuweilen undurchschaubarer Strippenzieher in der Klubführung, wirkt bloß wie ein ausführendes Organ. Advocaat jedenfalls hat klare Vorstellungen von der Zusammenarbeit mit dem Sportdirektor. „Ich sage ihm, wen ich brauche. Wenn einer kommt, den ich nicht will, dann gehe ich.“ Das ist eine Geschäftsgrundlage, die sich nur im Erfolgsfall als stabil erweisen dürfte. Borussia Mönchengladbach, der einst berühmte Verein mit dem welken Ruhm aus den siebziger Jahren, hat sich neben einem großen, modernen Stadion einen berühmten Fußballlehrer geleistet, der bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer noch die niederländische Nationalmannschaft trainierte. Also darf er zeigen, was er kann, und erst einmal Geld ausgeben.

Mit der Umstellung des Systems von 3-5-2 auf 4-3-3 ist es nicht getan. Advocaat will die Mentalität einer bisher brav und blass vor sich hinkickenden Elf grundlegend ändern. „Wir haben Spieler gesucht, die ein anderes Temperament haben, es waren zu viele gleiche Typen im Kader. Wir mussten Spieler holen, die der Mannschaft ein neues Gesicht geben.“ Ob es ein fröhliches Gesicht wird, hängt von den Ergebnissen ab, und – wenn sie denn aufkommt – von der Spielfreude, die der Gladbacher Relaunch hervorbringt. Für einen Mittelklasseklub wie die Borussia sind die Personalentscheidungen Advocaats eine teure Angelegenheit. Wie es heißt, wird für den belgischen Nationalstürmer Sonck eine Ablöse von mehr als zwei Millionen Euro fällig, falls Mönchengladbach in der Bundesliga bleibt. Auch andere Profis wie Jörg Böhme aus Schalke oder der Belgier Bernd Thijs besaßen bei ihren vorherigen Arbeitgebern gut dotierte Verträge.

Obwohl Advocaat so stark auf Qualität achtet, sieht er sich in der Rolle des Schnäppchenjägers. Vor einer Saison seien Spieler dieser Klasse für einen Verein wie Gladbach „nicht zu bezahlen“. Vereinspräsident Rolf Königs behauptet eisern, der jüngste Kaufrausch sei „kein Ausdruck von Panik“. Ob Panik oder Mut zum Risiko: Advocaat übernimmt fortan die volle Verantwortung. Wenn er mit den neuen Spielern nicht zurechtkommen sollte, sei es nicht Hochstätters Schuld, sagt er. „Es ist allein meine Verantwortung.“ In Gladbach hat offenbar jeder sein Alibi – nur der Trainer nicht.

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