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Sport: Training in den Köpfen

Wie Hertha BSC gegen die Krise ankämpft

Berlin. Er sei, schrieb vor kurzem eine Zeitung, in der jetzigen Situation genauso ratlos wie die Spieler selbst. Huub Stevens wehrt sich vehement. „Ich bin keineswegs ratlos. Was mich jedoch ratlos gemacht hat, war die Nachricht aus meiner Heimat, dass ein früherer Mitspieler zwei seiner Kinder durch einen Unfall verloren hat“, sagte Stevens.

Verständlich, dass der Trainer von Hertha BSC in der derzeit misslichen Situation des Fußball-Bundesligisten nicht den Eindruck erwecken will, ratlos zu sein. Schließlich ist er nun nicht nur mit seiner Erfahrung gefragt, sondern auch als Psychologe. „Auf Psychologie wurde bei meiner Fußballlehrer- Ausbildung in den Niederlanden großen Wert gelegt“, sagt Stevens. In der Ausbildung des Königlichen Niederländischen Fußball- Verbandes (KNVB) zum „Coach Betaald Voetbal“ (Trainer eines Profivereins) ist mentales Training ein eigenständiger Bestandteil. Auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) wird auf Psychologie großen Wert gelegt. Die 27 Kandidaten, die derzeit an der Deutschen Sporthochschule Köln die Ausbildung zum Fußballlehrer absolvieren, werden auch von einem Sportpsychologie-Professor unterrichtet.

Wenn Thorben Marx, einer der jungen Spieler bei Hertha, öffentlich zugibt, „dass unser Selbstvertrauen abhanden gekommen ist“, dann gilt es, das neu aufzubauen. Da ist nicht nur der Mentaltrainer Gerd Driehorst gefragt, der allerdings weder auf dem Trainingsplatz noch in der Kabine Ansprechpartner ist, sondern schon seit geraumer Zeit vor allem in Einzelgesprächen ohnehin eher labile Spieler wie Josip Simunic und Michael Hartmann aufzubauen versucht.

Auch Stevens und Manager Dieter Hoeneß sind gefragt. Auf einer Sitzung suchten sie gerade gemeinsam mit den Spielern nach einem Ausweg aus der Krise. „Wir wollen vor allem Fehlentwicklungen entgegensteuern. Es hat doch keinen Sinn, den Druck intern noch mehr zu verstärken. Die Spieler stehen schon genug unter Druck“, sagte Hoeneß danach. Und wie sahen das die Spieler? „Es kam alles auf den Tisch. Die Gespräche waren gut“, sagte beispielsweise Arne Friedrich.

Hoeneß und Stevens glauben zu wissen, wie es derzeit um die Psyche der Spieler bestellt ist. Hoeneß sagt: „In Berlin haben wir nun mal eine außergewöhnliche Medienlandschaft. Und wenn man da hundertmal liest, alle seien Nullinge, dann geht das schon aufs Gemüt. Besonders den sensiblen Typen.“ Doch muss ein hoch bezahlter Fußballprofi nicht auch mit derartigen Widrigkeiten fertig werden? „Ja, das muss ein Profi wegstecken“, sagt Stevens. „Aber sie sind auch nur Menschen.“ Natürlich wissen alle, dass sich die Spieler selbst in diese Drucksituation gebracht haben. Wer vor der Saison das Ziel Champions League postuliert und dann in vier Spielen kein einziges Tor zustande bringt, ruft zwangsläufig Kritik und Häme hervor.

Trainer und Manager wollen weniger über die nicht geschossenen Tore sprechen. Sie kritisieren vor allem, dass viele Spieler sich auf dem Platz verstecken, weil sie, eben ohne jedes Selbstvertrauen, am liebsten nicht angespielt werden wollen. „Das muss sich ändern. Jeder muss Verantwortung übernehmen“, sagt Hoeneß. Das habe man den Spielern auf der Sitzung gesagt. Er hofft, dass sie das auch beherzigen.

Und den Kopf müssten sie freibekommen. „Was heißt hier freibekommen? In Frankfurt hatten sie den doch in den ersten 20 Minuten frei, danach sind sie leider wieder verkrampft“, sagt Stevens. Warum, war auch für ihn unerklärlich.

Bis zum Sonnabend, wenn es im Pokal gegen den Oberligisten SSV Reutlingen geht, hat Herthas Trainer noch einiges zu tun – weniger auf dem Platz als in den Köpfen der Spieler. Eines hat er schon mal gesagt: „Wir dürfen keine Angst vor einem weiteren Rückschlag haben.“ Denn Angst sei ein sehr schlechter Ratgeber. Wer wollte da widersprechen?

Klaus Rocca

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