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Training mit...: Ralf Bartels: Volle Kraft voraus

Am 15. August beginnen in Berlin die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Der Tagesspiegel hat aussichtsreiche deutsche Athleten bei der WM-Vorbereitung beobachtet. Heute Folge vier: Ralf Bartels, Kugelstoßer.

Gerald Bergmann hat sich gerade seinen Plastikstuhl zurechtgerückt, eigentlich wollte er sich hinsetzen, aber das geht jetzt nicht. Links in der Halle lärmen Jugendliche, da muss er eingreifen. Die sollen ihr Fußballspiel nicht bloß als netten Zeitvertreib betrachten, die sollen engagiert arbeiten. Das schreit er ihnen entgegen, dann ist kurz Ruhe in der Halle im Sportzentrum Neubrandenburg.

Bergmann setzt sich, jetzt kann er sich ganz Ralf Bartels widmen. Der hat schon eine Kugel in der Hand und stampft zu einer Matte. Bergmann betreut den Kugelstoß-Europameister Bartels schon lange, er ist noch ein Trainer vom alten Schlag. Es ist windig und ziemlich kühl draußen, aber das ist nicht der Grund, warum Bartels und Bergmann heute in der Halle trainieren. "Es ist praktischer, draußen muss man ja doch die Kugeln immer weit tragen." Weiter jedenfalls als hier. In der Halle rollen sie einem entgegen. Ein bisschen wenigstens. Ralf Bartels wuchtet die Kugel immer wieder hoch an die Wand gegen eine Matte. In rund sieben Meter Höhe ist eine Linie eingezeichnet, Bartels muss die Kugel immer wieder über die Markierung stoßen. Und zwar aus immer größerem Abstand.

Die meisten Versuche liegen über der Linie, aber Bartels ist nicht zufrieden. "War etwas steif in der Hüfte", brummt er einmal. "Ja", sagt Bergmann. Er redet nicht laut, er redet freundlich, aber er ist nicht ganz zufrieden. "Ralf ist technisch noch nicht optimal drauf", sagt er. "Die Schnelligkeit fehlt, er ist halt auch nicht mehr der Jüngste." Bartels ist 31. Er wiegt 134 Kilogramm, aber er hat immer noch das Aussehen eines netten Teddybären. Doch jetzt schüttelt auch er den Kopf. "Der Automatismus fehlt noch", brummt er jetzt. Die Bewegungen sind nicht so fließend wie früher. Er muss sich die Technik wieder erarbeiten.

Ralf Bartels hat ziemlich schmerzhaft erfahren, wie das ist, wenn man von ziemlich weit oben ziemlich tief stürzt. Er wurde 2006 Europameister, aber 2007 lief vieles schlecht für ihn, und 2008 verletzte er sich kurz vor seinem Olympiaeinsatz an der Wade. Das Kugelstoßen in Peking fand ohne ihn statt. Monatelang laborierte er an seiner Verletzung, bis er wieder einigermaßen normal trainieren konnte. Da war er ziemlich genervt, weil er sich eigentlich wieder beweisen wollte. Er hatte gespürt, wie schnell man an Popularität verlieren kann. "Da gab es Leute, die mich nun eher beiläufig registrierten, es waren Leute, die mir früher groß gratuliert hatten." Im März 2009 gewann er Bronze bei der Hallen-EM in Turin, aber die Halle zählt nur bedingt. Er ist inzwischen in den Kraftraum gewechselt, der liegt gleich ein paar Meter neben der Halle. Irgendjemand hat einen Radiosender eingestellt, Musik trällert aus den Boxen. Bartels ist nicht allein, junge Frauen, der hoffnungsvolle Nachwuchsstoßer Hendrik Müller und ein paar Jugendliche sind noch im Raum. Bergmann nicht, das ist nicht nötig. Bartels quatscht mit jedem, er gibt Tipps und stellt Fragen, wenn er nicht gerade mit verzerrtem Gesicht Gewichte stemmt.

Das ist typisch Bartels. Der 31-Jährige ist ein bodenständiger Typ, er hat Neubrandenburg nie verlassen, obwohl er lukrative Angebote von anderen Vereinen hatte. Aber sein Marktwert ist gesunken, als er in diversen Tiefs steckte.

Bartels kämpft bei der WM in Berlin auch wieder um Anerkennung. Er ist keiner, der die große Bühne braucht und die große Aufmerksamkeit, aber er hat auch seinen Stolz. Er kämpft gegen die skeptischen Blicke der Kritiker, und er kämpft natürlich gegen die Jungen, die nachdrängen, die ihn von seinem Thron stoßen wollen. Der 18-jährige U20-Weltmeister David Storl zum Beispiel, der schnell nach oben gekommen ist und die Männerkugel schon 20,43 Meter gestoßen hat. "Man muss ihn beachten", sagt Bartels, dann lächelt er. "Aber ich wehre mich, so lange es geht." Dann wuchtet er wieder Gewichte.

"Bei der WM muss man 21 Meter stoßen, um in den Medaillenbereich zu kommen", sagt er in einer Pause. Inzwischen ist er in diesen Bereich gekommen, der alte Leitwolf wehrt sich noch. In Cuxhaven wuchtete er am vergangenen Dienstag die Kugel auf 21,11 Meter, Saisonbestleistung. Die 21-Meter-Marke hatte er zuletzt vor drei Jahren übertroffen. Es ist das vorläufige Ende einer konstanten Aufwärtsentwicklung. In Gerlingen hatte er zuvor 20,87 Meter erreicht, in Gotha waren es noch 20,68 Meter gewesen, und mit 20,33 Meter war er im Juni Militär-Weltmeister geworden.

Vielleicht hilft ihm der Titel ja bei der Berufsplanung. Der Sportsoldat Bartels möchte Berufssoldat werden, "aber viel Hoffnung mache ich mir nicht", sagt er. Aber immerhin, "ich habe eine Absichtserklärung, dass ich bis 2012 bleiben darf". Bis November 2011 ist er auf jeden Fall dabei. "Da kann ich mich beruhigt auf Olympia vorbereiten." Die Jungen müssen mit ihm noch rechnen.

Nicht bloß die, auch die Talente im Verein. Nach einer guten halben Stunde beendet Bartels sein Krafttraining. Aber bevor er rausgeht, raunzt er noch zwei Jugendliche im Kraftraum an. Sie hatten einen Geräteschrank nicht ordentlich geschlossen.

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