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Westfälische Idylle. In diesem Hotel in Castrop-Rauxel hofft Hertha die nötige Ruhe für den Verbleib in der Bundesliga zu finden.

© dapd

Trainingslager: Hertha und die Barrikaden

In der 75 000-Einwohner-Stadt Castrop Rauxel schwört Herthas Trainer Otto Rehhagel sein Team auf das Spiel am Samstag gut 20 Kilometer weiter westlich in Gelsenkirchen gegen den FC Schalke 04 ein - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Aufpasser vorne, Aufpasser hinten. Hätte Hertha BSC in den vergangenen 32 Bundesligaspielen so gut aufgepasst wie an den Eingängen ihres Vier-Sterne-Quartiers im Kurz-Trainingslager im Ruhrgebiet, stünden keine 59 Gegentreffer in der Bilanz des Tabellenvorletzten.

„Wie bei der Stasi“, raunt Rentner Erwin vor dem Hotel „Schloss Goldschmieding“ in Castrop-Rauxel. In der 75 000-Einwohner-Stadt schwört Herthas Trainer Otto Rehhagel sein Team auf die vielleicht vorentscheidende Partie am Samstag gut 20 Kilometer weiter westlich in Gelsenkirchen gegen den FC Schalke 04 ein. „Die wollen ihre Ruhe haben“, sagt einer der Hertha-eigenen Sicherheitsleute im Berliner Dialekt nur knapp. Niemand soll die Profis in ihrer Konzentration stören. Schon gar nicht die Presse, aber auch keine Schaulustigen.

Doch Erwin, ein Trainingskiebitz der alten Schule, lässt sich so leicht nicht abschütteln. Im blauen Parker steht er vor dem Hotel, unter der schwarzen Baseballkappe mit der Aufschrift „Gelsen-Net – Emscher Lippe Digital“, blitzt schlohweißes Haar hervor. Durch seine Hornbrille entgeht ihm fast keine Regung. Der 70-Jährige hat sie schon fast alle gesehen. „Dortmund, Schalke und Leverkusen mit dem, hier, sach doch ma … Tante Käthe – waren alle schon hier“, sagt Erwin und zählt noch ein halbes Dutzend weiterer Klubs auf.

„So wat Verrücktes wie mitte Herthaner ham wa noch nie erlebt. Die schotten sich total ab“, sagt Erwins Kollege mit VfL-Bochum-Pin am grauen Jackett und schüttelt energisch den Kopf mit der zotteligen Frisur und dem Vollbart.

Um kurz vor neun Uhr hatten sein Kumpel Erwin und er bereits die Verfolgung des blau-weißen Hertha-Mannschaftsbusses aufgenommen. „Irgendwo in Bochum haben wir sie verloren“, ärgert sich Erwin. „Ich vermute, die haben bei Wattenscheid 09 trainiert.“ Gut 20 Kilometer entfernt liegt das Lohrheidestadion in dem Bochumer Ortsteil entfernt. Dort kickt der ehemalige Bundesligist inzwischen in der sechsten Liga. In Wirklichkeit trainieren die Berliner auf einem Platz in Bochum-Langendreer. Auch die zuletzt angeschlagenen Roman Hubnik und Christoph Janker machen wieder mit.

Zur Mittagszeit steht der Bus wieder auf der von hohen Platanen gesäumten Zufahrt der Hertha-Herberge. Zahlreiche Einzelgespräche hatte Rehhagel für die Zeit in Castrop-Rauxel bis zum Schalke-Spiel angekündigt. Für die Fans und Öffentlichkeit hält König Otto in dem ehemaligen Adelssitz aus dem 15. Jahrhundert nicht Hof. „Otto hat uns einfach stehen lassen“, sagt Erwin über den morgendlichen Aufbruch zum Training. Rehhagel, 30 Kilometer entfernt in Essen auf Kohle geboren, ist doch eigentlich einer von ihnen. „Jetzt nicht, hat er gesagt“, berichtet Erwin und blickt verständnislos. Die Nerven bei der Hertha sind angespannt. Auch bei ihrem Trainer. „Es geht um eine ganze Menge“, sagt einer der Sicherheitsleute bedeutungsschwer mit verschränkten Armen. Auch deshalb nimmt er seinen Job so ernst. Die erzwungene Abgeschiedenheit als letzter Rettungsanker. Berlins angeschlagener Bundesligist muss aufpassen, dass er nicht tief im Westen in die Zweitklassigkeit abrutscht. Der Aufpasser hierfür heißt Otto Rehhagel.

Thorsten Langenbahn

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