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Sport: Triumph der Strategie

Mit neuer Sachlichkeit und Geduld für die entscheidenden Momente gewinnt Brasilien den Confed-Cup

Kurz vor Mitternacht kamen die Trommeln. Laut und plötzlich. Vorn wirbelten Roque Juniors Rastazöpfe, hinter ihm tänzelte Ronaldinho, mit dem Tamburin den Takt angebend. Kaká pfiff auf den Fingern, Robinho schlug ein Holzinstrument, der Rest stampfte mit den Füßen, und alle zusammen sangen sie ein Lied, in dem die Versatzstücke „Brasil“ und „Campeao“ verdächtig oft vorkamen. Tanzend, trommelnd und singend bahnten sich die brasilianischen Champions den Weg zum Mannschaftsbus. Als Letzter kam der Zeugwart, unter den Arm den goldenen Confed-Cup geklemmt, der den Spielern nicht so wichtig war wie Trommel und Tamburin.

Die mitternächtliche Party im Frankfurter Waldstadion war Kompensation für den Verzicht, den sie zuvor auf dem Rasen geübt hatten. Der 4:1-Sieg in Finale über Argentinien war kein Zauberkunststück, er war ein Triumph der Strategie. Die Brasilianer hatten das Spiel auch mit europäischen Mitteln gewonnen. Brasiliens Fußballkunst entfaltete sich im Stil der neuen Sachlichkeit, der ohne überflüssige Zirkustricks auskam. Vor allem in der ersten Halbzeit, die deshalb so bemerkenswert war, weil die Brasilianer ihre fußballerische Brillanz mit einer taktischen Disziplin paarten, wie sie den Strandfußballern aus Rio de Janeiro und Sao Paulo nicht gerade angeboren ist. Sie zauberten nicht, sie arbeiteten. Cicinho drosch den Ball einmal an der Außenlinie so wuchtig in Richtung Ersatzbank, dass die dort sitzenden Kollegen verschreckt die Köpfe einzogen. Adriano schob den bulligen Argentinier Heinze in die Werbebande, und der Fußball-Feingeist Ronaldinho pflügte mit ungeahnter Entschlossenheit über den Platz. Für einen Schlag ins Gesicht von Coloccini hätte der brasilianische Kapitän auch die Rote Karte sehen können.

Das war nicht der sich selbst auf ästhetischen Glanz reduzierende Gegner, den die Argentinier erwartet hatten. „Die brasilianische Taktik war heute perfekt“, sagte Argentiniens Trainer José Pekerman. Gerade 46 Prozent Ballbesitz ermittelten die Statistiker in der ersten Halbzeit für die Brasilianer. Das ist eine außergewöhnlich bescheidene Quote für den sonst stets das Spiel prägenden Weltmeister. Vielleicht ist diese Erkenntnis das Wertvollste, was sie aus den zwei Wochen in Deutschland mitnehmen. Sie müssen nicht immer das Spiel machen, sie können sich ihre individuelle Klasse für die wichtigen Augenblicke aufheben.

Den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Großmächten Südamerikas dokumentierte die Sequenz zweier Offensivszenen in der ersten Halbzeit. Da kam zunächst der Argentinier Riquelme in halblinker Position an den Ball. Der argentinische Spielmacher spielte einen Brasilianer aus, hatte Zeit und Platz, doch der Schuss misslang ihm und flog ohne Effet gut zwei Meter am Tor vorbei. Im direkten Gegenzug zirkelte aus identischer Position Kaká den Ball wie selbstverständlich zum 2:0 in den oberen rechten Torwinkel, und es störte ihn kein bisschen, dass der Argentinier Bernardi an ihm zerrte.

Nach diesem Tor hatte José Pekerman sein Déjà-vu. „Das war heute wie in Buenos Aires – nur umgekehrt“, sagte der argentinische Trainer. In der argentinischen Hauptstadt hatte seine Mannschaft die Brasilianer kürzlich in der WM-Qualifikation nach zwei schnellen Toren ähnlich vorgeführt und 3:1 gewonnen. Doch Buenos Aires war weit weg in dieser „noche dolorosa“, der schmerzhaften Nacht, die Argentiniens Kapitän Juan Sorin beklagte. Die Brasilianer weideten sich am Schmerz ihres Gegners. In der letzten halben Stunde, als längst alles entschieden war, ließ Trainer Carlos Alberto Parreira seine Spieler gewähren und noch ein wenig zaubern. Dann hob er an zur letzten Demütigung. Das war nach dem Spiel, als er nach den gefährlichsten Gegnern für die WM im nächsten Jahr gefragt wurde. „Natürlich Deutschland, dann Holland, Tschechien, England, Portugal.“

Täuscht der Eindruck, oder hatte Parreira da absichtlich jemanden vergessen?

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