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Sport: Trotz Verletzung lief Michael Johnson Weltrekord. Fachleute finden dies zumindest ungewöhnlich

Donnerstagmorgen, ein Hotel in Sevilla, Frühstücksraum. Russische Manager und Leichtathletik-Trainer unterhalten sich mit einem deutschen Meeting-Veranstalter.

Donnerstagmorgen, ein Hotel in Sevilla, Frühstücksraum. Russische Manager und Leichtathletik-Trainer unterhalten sich mit einem deutschen Meeting-Veranstalter. "Der Michael Johnson gehört einer cleveren Doping-Generation an. Der wird es heute abend nicht wagen, Weltrekord zu laufen. Nicht drei Wochen nach seiner Verletzung", sagt einer der Russen. Seine Landsleute nicken. Ein Gespräch natürlich bloß, lockeres Gerede, ohne Anspruch auf hundertprozentigen Wahrheitsgehalt selbstverständlich. Aber es passt ins Bild von Sevilla, das derzeit grell gemalt wird. Johnson lief doch Weltrekord über 400 m, 43,18 Sekunden, "eine historische Zeit", jubelte "Diario de Sevilla". Elf Jahre hielt Butch Reynolds Rekordmarke (43,29), Johnson wollte den Rekord unbedingt, jetzt hat er ihn. Er kniete neben der elektronischen Zeittafel mit den magischen Ziffern 43,18, er klatschte Hände ab, die sich ihm entgegenstreckten, er strahlte in jede Kamera, er ist jetzt 20 Mal unter 44 Sekunden gelaufen, sieben der zehn weltbesten 400-m-Zeiten stammen von ihm, er ist Michael Johnson Superstar, Weltrekordler über 200 m und nun über 400 m.

Aber es gibt viele, die ein Unbehagen fühlen bei dieser Zeit. Sie sitzen im Pressekorps, sie sitzen als Trainer oder als andere Kenner der Szene auf der Tribüne. Es sind einfach zu viele Fragen offen und zu viele Punkte unklar. Am 30. Juli verletzte sich Johnson beim Meeting in Stockholm, anschließend sagte der 31-Jährige alle Meeting-Starts ab. Probleme im Oberschenkel, sagt sein Trainer. Sie hätten eigentlich in Zürich, kurz vor dem WM, starten wollen, sagt der Coach, "aber dann habe ich gemerkt, dass er noch eine Woche Training braucht". Und das Training nach Stockholm, verkündet Johnson, war phantastisch.

"Rein theoretisch", erklärt der DLV-Mannschaftsarzt Karlheinz Graff, "ist es bei einer leichten Muskelverhärtung möglich, dass man drei Wochen später 43,18 Sekunden läuft". Fünf Tage setzte Johnson mit dem Training aus. "Wenn er nichts Schweres hatte", sagt Uwe Hakus, deutscher Teamleiter Sprint und auch verantwortlich für die 400-m-Läufer, "wirft ihn so eine Pause nicht zurück, der Körper hat sogar Zeit sich zu regenerieren. Aber wenn es etwas Schwereres gewesen war, dann geht das normalerweise nicht." Hakus schließt nicht aus, dass es eine vorgetäuschte Verletzung gewesen sein könnte, um Sevilla gut vorzubereiten. In der lukrativen Golden League spielte Johnson zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. "Der Weltrekord war da schon vorbereitet", sagt Hakus. Er hatte vor dem Start auf eine Zeit von 43,17 getippt. Seine Kollegen hatten ihn ausgelacht.

Eigentlich alles eher entlastend für Johnson. "Meine letzte Trainingskontrolle", sagt der Weltrekordler, "war im Juni". Aber dann erzählt ein ehemaliger US-Leichtathlet, der immer noch Bescheid weiß in der Szene, dass seinem Wissen nach in den USA keine Trainingskontrolle völlig unangemeldet komme. Immer gebe es eine Vorwarnzeit, teilweise zwei Tage. Zumindest wenn US-Kontrolleure kommen. Das deckt sich mit anderen Aussagen aus den USA. In dieser Zeit lassen sich alle Doping-Spuren verwischen. Und seit dem "Fall Mitchell", dem der US-Verband geglaubt hatte, dass eine positive Dopingprobe wegen zu viel Sex und zuviel Alkohol zustande gekommen war, weiß Mal jeder, wie ernst die US-Offiziellen das Thema Doping nehmen. Vor Atlanta, wo Johnson 1996 seine 200-m-Weltrekord von 19,32 Sekunden lief, war er nie ohne Vorwarnzeit auf Doping kontrolliert worden. Der 400-m-Weltrekord war vorbereitet? Bestimmt, aber es fehlt die letzte Gewissheit, dass in der Zeit, in der diese Grundlage gelegt wurde, ein Mann wie Johnson optimal getestet wurde. Mit dieser Gewissheit könnte man sich freuen mit Johnson, man könnte einen Ausnahmeathleten feiern.

Johnson ist bestimmt dieser Ausnahmeathlet. Man musste nur sehen, wie er nach den 43,18 Sekunden dastand. Einige seiner Konkurrenten, eine Sekunde langsamer, sanken erschöpft nieder. Aber Johnson wirkte so frisch, als hätte er bloß einen lockeren Sonntagsspaziergang erledigt. Als er doch auf den Boden sank, war es nicht die Erschöpfung, sondern die Überwältigung von dem Weltrekord. Wieder so ein Punkt. 400-m-Weltklasseläufer sind selten richtig erschöpft, das fällt ohnehin auf, aber Johnson übertrifft sie alle.

"Die ersten 200 Meter", sagt Johnson, "waren der Schlüssel zum Erfolg. Ich habe die taktischen Anweisungen meines Trainers optimal umgesetzt. Ich hatte hier viel Spaß." Zweifellos. In 43,18 Sekunden hat Johnson, allein mit Prämien vom Weltverband und vom Vertragspartner Nike, umgerechnet rund 750 000 Mark verdient. Und Johnson verspricht sich noch viel mehr Spaß. "Ich kann noch schneller laufen als 43,18 Sekunden", verkündet er. Seltsam, manchmal klingen Erfolgsankündigungen wie eine Drohung.

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