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Michael Hartmann, 44, spielte für Hertha und Hansa Rostock. 2018 führte er als Trainer Herthas A-Junioren zur Meisterschaft. In der Liga ist sein Team aktuell Siebter. Dienstag trifft es in der Youth League auf Paris St. Germain (16 Uhr, Amateurstadion).

© imago/Eibner

U-19-Trainer Michael Hartmann von Hertha BSC: "Fußballerisch müssen wir uns nicht verstecken"

Michael Hartmann, der U-19-Trainer von Hertha BSC, über den deutschen Fußball-Nachwuchs, die Bolzplatzmentalität und die Youth League gegen Paris St. Germain.

An diesem Dienstag spielt die U 19 von Hertha BSC in der Youth League gegen Paris St. Germain. Anstoß ist um 16 Uhr im Amateurstadion auf dem Olympiagelände. Trainiert wird Herthas Team vom früheren Profi Michael Hartmann, 44. Er hat mit der Mannschaft im Mai die deutsche A-Jugend-Meisterschaft gewonnen.

Herr Hartmann, was macht in Ihren Augen einen guten Nachwuchstrainer aus?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Weil du jedes Jahr quasi eine neue Mannschaft hast, musst du dich immer wieder neuen Herausforderungen stellen und auf die unterschiedlichen Charaktere eingehen. Du musst an den Stärken der Spieler arbeiten, aber vor allem ihre Schwächen erkennen und da den Hebel ansetzen. Das können nicht fünf oder sechs Dinge sein, sondern höchstens ein oder zwei.

Macht einen guten Nachwuchstrainer auch aus, dass er nicht so schnell wie möglich eine Profi-Mannschaft trainieren will?

Es gibt leider Trainer, die den Nachwuchs nur als Zwischenstation sehen und jede Gelegenheit nutzen, um nach oben zu kommen. Für mich ist das nicht die Idealvorstellung. Im Nachwuchs brauchst du Kontinuität. Dennoch kann es ja das Ziel sein, dann irgendwann auch eine Profimannschaft zu trainieren.

Ein guter Nachwuchstrainer sagt also: Ich bringe die Jungs voran – nicht mich selbst?

Richtig. Du musst langfristig denken. Wenn du sagst, ich will unbedingt zu den Männern, wirst du nur noch mannschaftsorientiert denken, und nicht daran, wie sich der Einzelne verbessern kann.

Worüber haben Sie sich mehr gefreut: über den Gewinn der A-Jugend-Meisterschaft im vergangenen Mai oder das Bundesligadebüt Ihres U-19-Spielers Dennis Jastrzembski?

Über beides gleich. Wenn ich auf den sportlichen Erfolg nicht stolz wäre, wäre ich fehl am Platz. Aber wenn es Spieler, die ich zwei oder drei Jahre betreut habe, zu den Profis schaffen, muss ich ihnen ja irgendwas mitgegeben haben.

Wollen Sie dauerhaft im Nachwuchs bleiben?

Momentan ist das geplant, ja.

Was ist da anders als bei den Männern?

Der größte Unterschied ist die mediale Begleitung. Wenn es mal schlecht läuft, muss man sich nicht ständig rechtfertigen. Dadurch kannst du dich viel mehr auf die Spieler konzentrieren. Aber mittlerweile wird auch im Nachwuchs viel auf Ergebnisse geschaut.

Ist das ein Problem im deutschen Fußball?

Ich glaube, das Problem liegt eher in der Trainerausbildung. Viele machen mit Mitte 20 ihre Lizenzen. Die sind dann in der Theorie sehr gut, haben aber kaum praktische Erfahrung. Das ist nicht der richtige Weg. Wichtig wäre es, mehr Wert auf die individuelle Ausbildung der Spieler zu legen und nicht nur auf das System der Mannschaft. Wenn ein Spieler ständig gesagt bekommt: Spiel den Ball von A nach B, dann macht er das. Aber das bringt ihn individuell nicht weiter. Er muss selbst Lösungen erkennen und umsetzen. Das Individuelle wird in Deutschland aus meiner Sicht vernachlässigt.

Inwiefern haben Ihnen Ihre Erfahrungen als Spieler geholfen?

Mir hat als Spieler immer die individuelle Betreuung gefehlt. Du warst mehr oder weniger auf dich selbst angewiesen. Das habe ich mit in den Nachwuchs genommen. Ich stehe grundsätzlich für zusätzliche Einheiten bereit. Ich gehe auch ganz alleine mit jemandem auf den Platz, aber er muss auch Bock darauf haben.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit bei Hertha von der bei Hansa Rostock, wo Sie ebenfalls U-19-Meister geworden sind?

In Rostock gab es nicht diese Fülle an Qualität wie hier. Und der Charakter der Jungs war ganz anders. Ich habe damals ganz bewusst Kevin Pannewitz aus Berlin geholt, weil du einfach einen Typen in der Mannschaft brauchtest. Die anderen Spieler waren alle ein bisschen zurückhaltend und sehr ruhig. Wir hatten drei dabei, die haben ihr Abitur mit 1,0 gemacht haben. Außerdem hatte ich in Rostock nur 18 Spieler. Hier sind es 28.

Dass ein Trainer unter beiden Bedingungen erfolgreich ist, spricht ja auch ein bisschen für ihn, oder?

(Lacht) Als wir mit Rostock Meister geworden sind, war ich seit gerade zwei Jahren Trainer. Wir haben auch gegen Mannschaften wie Wolfsburg oder Hertha gespielt, die zwei oder drei U-Nationalspieler in ihren Reihen hatten. Wir hatten die nicht. Wenn du dich trotzdem durchsetzt, ist das sicherlich ein toller Erfolg. Aber es war vor allem ein Mannschaftserfolg.

Welcher Titel hat Sie mehr überrascht?

Der mit Rostock. Ganz klar.

"Man kann unseren Weg nicht überall kopieren"

Der DFB will jetzt in der Ausbildung umsteuern und die Bolzplatzmentalität wieder stärker betonen. Gibt es die bei Hertha noch?

Das glaube ich schon. Wir haben noch den einen oder anderen echten Straßenfußballer, bei dem du dir manchmal denkst: Mensch, nicht nur immer den Kopf runter und dann düdedüdelütt. Wir holen ja grundsätzlich nicht so viele Spieler von außerhalb. Wir haben in erster Linie Berliner und Brandenburger, die von den Schulhöfen zu uns kommen und technisch schon ganz gut ausgebildet sind.

Haben Sie bei Hertha so was wie einen Käfig, um den Straßenfußball zu simulieren?

Im Leistungszentrum haben wir einen Court, wo die Kleineren eins gegen eins spielen können. Und grundsätzlich können die Jungs immer früher auf den Platz gehen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass sie in der Woche auf sieben, acht Trainingseinheiten kommen, neben der Schule. Irgendwann müssen sie auch mal Füße hoch legen.

Meikel Schönweitz, der Nachwuchs-Cheftrainer des DFB, sagt, dass Berlin die letzte Stadt sei, in der es noch Straßenfußballmentalität gebe.

Wir werden oft für unseren Weg gelobt: für die Durchlässigkeit, den Austausch mit Pal Dardai, die Zusammenarbeit mit Ante Covic von der U 23. Wir haben alle einen guten Draht zueinander.

Ist es ein Vorteil, dass Cheftrainer Pal Dardai ein früherer Kollege aus dem Nachwuchs ist?

Ich sehe das als großes Plus. Pal kennt die Abläufe. Der Austausch ist sehr gut, die Wege sind kurz. Wenn bei den Profis mal jemand ausfällt im Training, kann ich schnell einen Jugendspieler hochschicken. Wir kennen und schätzen uns, haben ja noch zusammengespielt. Ich kann jeden Tag zu ihm gehen. Aber das kannst du eben nicht überall kopieren. Was du ändern kannst, ist die Mentalität.

Was meinen Sie damit?

Die meisten Trainer fangen in der U 12 oder U 13 an. Da verdienen sie aber nur kleines Geld, oder sie sind überhaupt nicht hauptamtlich angestellt. Dementsprechend wollen sie so schnell wie möglich nach oben. Da müsste es ein Umdenken geben. Wir sagen ja nicht umsonst, dass wir die besten Trainer im unteren U-Bereich brauchen. Das goldene Lernalter ist nun mal zwischen zehn und zwölf Jahren. Aber da haben viele Vereine keine hauptamtlichen Trainer.

Seit Jahren hört man die Klagen, dass es im deutschen Fußball keine Eins-gegen-eins-Spieler mehr gibt. Hat es erst so ein Debakel gebraucht wie die WM 2018, damit sich etwas ändert?

Es gibt diese Spieler doch, auch in den U-Mannschaften. Du musst sie nur lassen. Im Spiel hast du so viele unterschiedliche Situationen, die kann ich sowieso nicht alle von draußen coachen. Da muss der Spieler schon selbst Lösungen finden. Und ich als Trainer muss ihm das nötige Vertrauen dafür vermitteln. Wir sind vielleicht gegenüber England und Frankreich unterlegen in der Athletik und der Schnelligkeit. Aber fußballerisch müssen wir uns vor niemandem verstecken. Man sollte sich nicht blenden lassen von großen Turnieren, bei denen allein das Ergebnis zählt. Ich glaube nicht, dass das, was die Franzosen bei der WM gespielt haben, der beste Fußball ist. Die Franzosen haben aus sehr wenig viel gemacht. Wir haben vielleicht keinen Kylian Mbappé, aber Serge Gnabry bei Bayern macht es auch ordentlich. Und wenn Marco Reus nicht so oft verletzt gewesen wäre, hätten wir auch einen Spieler auf Weltklasseniveau.

Als Hertha zu dieser Saison Javairo Dilrosun verpflichtet hat, hat Pal Dardai gesagt: Einen solchen Spieler hatten wir nicht, auch nicht in unserer Akademie.

Die haben wir schon. Palko Dardai zum Beispiel. Oder Muhammet Kiprit. Der ist auch ein Eins-gegen-eins-Spieler. Aber die Jungs brauchen eben noch ein bisschen Zeit für das höchste Niveau.

"Gegen PSG wollen wir unser Spiel durchziehen"

Am Dienstag treffen Sie mit der U 19 im Achtelfinale der Youth League auf Paris St. Germain. Was erwartet Hertha da?

Paris hat eine sehr, sehr ordentliche Mannschaft mit vielen großen und schnellen Spielern, die richtig gut umschalten können. PSG will Fußball spielen. Dabei machen sie den einen oder anderen Fehler, den du provozieren kannst. Aber selbst beim 2:5 gegen Liverpool waren sie besser. Das wird eine sehr große Herausforderung. Aber wir müssen uns auch nicht verstecken.

Wie stark haben Sie sich mit PSG beschäftigt?

Unsere Philosophie ist: Wir gucken erst auf uns, wollen unser Spiel durchziehen. Die Konstellation ist nicht ganz einfach, weil ein paar Spieler krank waren und ich erst kurzfristig weiß, wer zur Verfügung steht. Etwas Besonders einzustudieren ist da nicht so leicht. 

Sie dürfen nur drei Spieler aus dem 99er-Jahrgang einsetzen, mit dem Sie den Meistertitel gewonnen haben. Wie oft hat man einen solchen Jahrgang?

Selbst diese Mannschaft musste sich erst entwickeln. Bevor sie Meister wurde, hat sie in der U 15 zum letzten Mal was geholt. Und für einen solchen Erfolg muss viel zusammenkommen. Das ist ganz normal. Genauso ist es normal, dass man mal einen etwas schwächeren Jahrgang hat. Sonst wüssten wir ja gar nicht, wohin mit den Talenten.

Aber die nächsten kommen schon nach?

Wir haben in jedem Jahrgang zwei, drei Spieler, die es ordentlich machen. Aber auf Dauer wird es nicht einfacher.

Warum nicht?

Weil die Konkurrenz enorm ist. Wolfsburg hat schon immer eine gute Jugendarbeit gemacht, Leipzig ist dazu gekommen, und im Moment sind vor allem die Bayern sehr aggressiv.

Wenn ein Klub wie Bayern einen Nachwuchsspieler von Hertha umwirbt, welche Argumente haben Sie dann überhaupt noch?

Wir können mit unserem Weg werben. Nämlich, dass sehr viele Spieler oben ankommen. Die Bayern wollen auch mal wieder einen Müller oder Schweinsteiger entwickeln, aber auf ihrem Niveau ist es schwer. Pep Guardiola hat es mal probiert mit Lucas Scholl und Gianluca Gaudino. Und wo spielen die jetzt? Bei uns hast du als Nachwuchsspieler die realistische Chance, es zu den Profis zu schaffen. Das hat auch was mit der Konstellation zu tun, dass Pal Dardai Cheftrainer ist. Außerdem ist das die Philosophie des Vereins. Mehr Argumente braucht man eigentlich gar nicht.

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