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Spättyp. Die innere Uhr hat großen Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit.

© Getty Images/iStockphoto

Über den Einfluss der inneren Uhr: Sport treiben wie im Schlaf

Die innere Uhr hat großen Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Das wollen Wissenschaftler jetzt ausnutzen, um Athleten noch besser machen.

Fans und Fußballspieler sind solche Zeiten ab einem bestimmten Alter einfach nicht mehr gewohnt. 10.30 Uhr! Um diese frühe Uhrzeit wurde das Finale um den Berliner Landespokal zwischen dem FC Viktoria 1889 und Tennis Borussia in der abgelaufenen Saison angepfiffen. Normalerweise läuft das Duell zur Prime Time am Abend. Und jetzt: 10.30 Uhr! Die Fernsehübertragung der ARD machte es nötig.

So früh habe er zuletzt „wahrscheinlich in der C- oder B-Jugend“ auf dem Feld gestanden, sagte Viktorias Kapitän Stephan Flauder vor dem Spiel. „Das wird sicherlich nicht schön, aber das ist jetzt einfach so.“ Auch seine Kollegen wollten sich nicht weiter beklagen. „Es gibt Menschen, die stehen um vier Uhr auf und gehen in eine Fabrik arbeiten“, wusste Flauders Trainer Alexander Arsovic zu berichten, und TeBe-Kapitän Nicolai Matt war sich sicher: „Das Adrenalin wird dann auch die letzte Schlafmütze wecken.“

Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn nicht jeder Mensch und deshalb auch nicht jede Sportlerin oder jeder Sportler ist zu jeder Uhrzeit in gleichem Maße leistungsfähig. Das sagt zumindest die Forschung auf dem Gebiet der Chronobiologie. Die befasst sich mit der zeitlichen Organisation von biologischen Systemen, also mit den biologischen Rhythmen beziehungsweise der inneren Uhr von Lebewesen. In den vergangenen Jahren ist dabei auch viel zum Einfluss der inneren Uhr auf die sportliche Leistungsfähigkeit geforscht worden.

Eine wichtige Rolle für den Schlaf-Wach-Rhythmus spielt das Tageslicht: Bei Dunkelheit wird im Körper Melatonin ausgeschüttet, das sogenannte Schlafhormon sorgt für Müdigkeit. Der individuelle Rhythmus eines jeden Menschen ist jedoch bereits im Körper selbst durch genetische Faktoren angelegt. Diese Veranlagung synchronisiert sich dann jeweils mit Alltagsleben und Lebensstil.

In der Chronobiologie unterscheidet man deshalb zwischen verschiedenen Chronotypen: Frühtypen, sogenannte Morgenlerchen, wachen früh auf, sind morgens am aktivsten und fühlen sich abends schnell müde. Spättypen, die sogenannten Nachteulen, werden hingegen später wach, fühlen sich dann morgens lange müde und werden erst abends richtig munter. Dazwischen gibt es noch einen mittleren Typen.

Leistung kann im Tagesverlauf sehr stark schwanken

Ob ein Sportwettkampf morgens um halb elf, nachmittags um drei oder abends um kurz nach neun stattfindet, kann deshalb einen beträchtlichen Unterschied für eine Sportlerin oder einen Sportler ausmachen. „Die innere Uhr bestimmt, wann ein Athlet seine beste Leistung abrufen kann“, sagt Roland Brandstätter.

Der 57 Jahre alte Chronobiologe beschäftigt sich schon lange mit den Zusammenhängen zwischen innerer Uhr und sportlicher Leistungsfähigkeit. In den vergangenen Jahren hat er dabei besonders untersucht, inwiefern sich der individuelle Chronotyp verschieben lässt, um das eigene Potenzial möglichst optimal auszuschöpfen. So könnten Sportler noch mehr aus sich rausholen.

Mit Kollegen von der Universität Birmingham hat Brandstätter herausgefunden, dass die Leistung im Laufe eines Tages um bis zu 26 Prozent schwanken kann, je nachdem zu welcher Zeit ein Wettbewerb oder ein Training ansteht. Das zeigen Fitnesstests von Sportlern auf Wettkampfniveau.

„Man weiß ja, was für einen Unterschied es schon ausmacht, wenn sich die Leistung nur um ein, zwei oder drei Prozent verändert“, sagt Brandstätter. Auf dem absoluten Spitzenlevel geht es meist nur noch um Kleinigkeiten, die zwischen Sieg oder Niederlage, zwischen Gold oder Platz sechs, zwischen Weltrekord oder verpasster Norm entscheiden.

„70, 80 oder 90 Prozent der Leistung können die Athleten zu jeder Zeit bringen“, erklärt Brandstätter. „Auf die letzten zehn oder 20 Prozent kommt es an.“ Und die beeinflussen der Forschung nach nicht nur die Fitness, sondern vor allem auch das Verletzungsrisiko und die Trainingseffizienz.

Wer also unter Müdigkeit Sport treibt, holt wesentlich weniger aus sich heraus und läuft zugleich auch noch Gefahr, den Körper zu schädigen. Auch Präzision und Reaktionsfähigkeit nehmen ab. „Die innere Uhr regelt die gesamte Physiologie“, sagt Brandstätter.

Sportler können sich Zeiten nicht immer aussuchen

Doch klar ist, dass sich die Sportler ihre Trainings- und vor allem Wettkampfzeiten nicht immer aussuchen können. Oftmals spielen Faktoren wie die Belegung von Sportstätten, die Bedürfnisse des Publikums, das Wetter und vor allem die mediale Vermarktung – das Berliner Pokalfinale lässt grüßen – eine größere Rolle.

Bei den gebündelten Finals um die Deutsche Meisterschaft in Berlin Anfang August wird etwa morgens um acht Uhr schon Kanu gefahren, um neun Uhr geschwommen und um zehn Uhr auf dem Bahnrad gestrampelt. Umgekehrt gibt es Sportarten wie Tennis, die für ausgiebige Wettkämpfe am Abend und in der Nacht bekannt sind. Bei den Australian Open 2008 standen sich Lleyton Hewitt und Marcos Baghdatis in einer Night Session bis zum frühen Morgen um 4.33 Uhr gegenüber.

Die Frage der Fragen: Frühtyp oder Spättyp?

Königin der Nacht. Die russische Tennisspielerin Maria Sharapova zählt zu den Spättypen.
Königin der Nacht. Die russische Tennisspielerin Maria Sharapova zählt zu den Spättypen.

© Toby Melville/Reuters

Außerhalb der neutraleren Zeiten am Nachmittag, zu der sich die meisten Spitzensportlerinnen und -sportler auf einem zumindest annähernd ähnlichen Level befinden, kann es also zu erheblichen Leistungsverschiebungen kommen. Maria Scharapowa galt im Tennis etwa lange Zeit als „Queen of the Night“, als Königin der Nacht, weil sie ihre ersten 22 Grand-Slam-Spiele unter Flutlicht allesamt gewann. Ihrem Kollegen Pete Sampras ging es ganz ähnlich. Seine Bilanz in Night Sessions bei den US Open steht bei 20:0.

„Man findet es fast nie, dass irgendein Sportler am Abend genauso viele Siege und Niederlagen hat wie in der Frühe“, sagt Chronobiologe Roland Brandstätter. Er hat weitere Beobachtungen gemacht: Unter 100 Squash-Spielern fand sich in seinen Untersuchungen kein einziger Frühtyp, während wiederum in der Leichtathletik sehr viel häufiger Morgenlerchen vertreten sind als in der Gesamtbevölkerung.

Den Skirennläufer Marcel Hirscher hält Brandstätter hingegen eher für einen Spättypen, da er in Slalom-Durchgängen am Vormittag immer wesentlich schlechter abschneide als in den Durchgängen am Mittag oder Nachmittag. Brandstätter hält es sogar für möglich, dass Fußballteams aus südeuropäischen Ländern wie Spanien oder Italien auf internationalem Niveau einen Wettbewerbsvorteil besitzen: In diesen Regionen sind aufgrund der hohen Anzahl von Sonnenstunden mehr Spättypen vertreten – die späten Anstoßzeiten etwa in der Champions League würden den Spielern also eher entgegenkommen.

Ein großes Problem sieht Brandstätter zudem bei der Suche nach Nachwuchstalenten. Das hängt damit zusammen, dass sich die innere Uhr im Laufe des Lebens stetig verschiebt: Bis zur Pubertät sind fast alle Menschen Morgenlerchen, werden dann bis in die Zwanziger zu Nachteulen, bevor sie sich Stück für Stück wieder zurück zu Lerchen entwickeln.

Zeitpunkt von Talentsichtungen falsch gewählt

Talentsichtungen werden also zu einem Zeitpunkt absolviert, an dem die meisten Nachwuchsathletinnen und -athleten als Spättypen gelten. Sichtungen finden jedoch häufig während der Schulzeit statt – also vormittags. „Wir suchen spezifisch nach Talenten, testen aber die Leistung zu einer Zeit, in der ein Spättyp nur 70 oder 80 Prozent seiner Leistung bringt“, sagt Brandstätter. Spättypen fielen dadurch häufig schon vorzeitig durch das Raster, und das obwohl viele Wettkämpfe nach wie vor nachmittags oder am Abend stattfinden.

Und die Probleme hören auch für diejenigen nicht auf, die es bis nach ganz oben geschafft haben. „Viele Athleten haben Schlafprobleme und Probleme, einen regulären Tag-Nacht-Rhythmus aufrechtzuerhalten“, berichtet Brandstätter von seiner Arbeit mit Spitzensportlern. Dadurch habe sich jedoch ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sich durch die Rücksichtnahme auf die eigene innere Uhr sowie einen ausgewogenen Schlafrhythmus sportliche Vorteile erzielen lassen. Brandstätter spricht von „riesigem Bedarf“ und „riesigem Interesse“.

Und das Limit ist noch längst nicht erreicht. Aus diesem Grund hat der Chronobiologe schon mit verschiedenen Institutionen sowie Athletinnen und Athleten unterschiedlichster Disziplinen zusammengearbeitet, darunter befanden sich Sportlerinnen und Sportler auf olympischem Niveau, nationale Sportverbänden oder etwa der Nachwuchsbereich des englischen Fußballklubs FC Southampton. „Jede innere Uhr kann sich innerhalb eines bestimmten Bereichs anpassen“, sagt Brandstätter.

Nach dem Ende seiner akademischen Laufbahn in Großbritannien baut er nun in seiner Heimat Salzburg ein Institut auf, welches das Schlaf-Coaching im Spitzensport professionalisieren soll. Möglicherweise kooperiert er dabei bald mit einer „Institution aus dem Sportsponsoring, die weltweit Hunderte von Eliteathleten unter Vertrag hat“, sagt er. Konkreter möchte Brandstätter noch nicht werden.

Trainer verhindern oft den perfekten Rhythmus

Im Rahmen des Coachings analysiert er die innere Uhr seiner Klienten, um einerseits Störfaktoren für den geregelten Schlaf sowie andererseits „sensitive Fenster“ auszumachen. Also Zeiten, in denen sich die innere Uhr beeinflussen lässt. Das geschieht dann über veränderte Anreize und Routinen, wie etwa die Ernährung oder die Koffeinzufuhr.

Entscheidend dabei ist weniger die Tageszeit als die Zeit nach dem Aufwachen: Frühe und mittlere Typen erreichen ihre Bestleistung schon recht bald nach dem Aufstehen, Spättypen benötigen hingegen mehr Zeit, bis sie an ihr Toplevel gelangen. Ziel ist es also, Schlaf-, Trainings- und Wettkampfzeiten miteinander zu synchronisieren – damit die sportliche Leistungsfähigkeit zur rechten Zeit ihr Maximum erreicht.

Im Weg stünden dem aber häufig noch die Trainer, sagt Brandstätter: „Oft ist es so, dass die Athleten nach Hilfe fragen, und die Coaches sagen: Ja, da kann man nichts machen.“ Das klingt dann tatsächlich ein bisschen nach dem, was man auch vor dem Berliner Pokalfinale so zu hören bekam.

Ganz untätig waren die Trainer der beiden Mannschaften dann Ende Mai aber doch nicht: Der Coach von Tennis Borussia, Dennis Kutrieb, hatte zuvor immerhin das Training auf 10 Uhr vorverlegt („Damit die Jungs nicht noch schlafen, wenn dann der Anpfiff ertönt!“). Und Viktorias Trainer Alexander Arsovic riet seinen Spielern, „vielleicht zwei Stunden früher ins Bett“ zu gehen. Die Nacht vor dem Spiel verbrachte sein Team dann gemeinsam im Hotel. Um 7.30 Uhr gab es Frühstück. Und etwa fünf Stunden später den Pokal.

Leonard Brandbeck

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