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Auf die Knie vor Glück. Angelique Kerber war selbst überwältigt von ihrem Erfolg im Viertelfinale. Foto: Reuters

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Sport: Übers Ziel hinaus

Angelique Kerber wollte bei den US Open drei Runden überstehen, jetzt ist sie im Halbfinale

Angelique Kerber hatte es kommen sehen. Flavia Pennetta war ganz tief in die Hocke gegangen, um den Vorhandvolley noch über das Netz zu heben, aber diese Bogenlampe konnte einfach nicht mehr innerhalb der Linien landen. Sie tat es auch nicht. Kerber sank an der Grundlinie auf die Knie und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie hatte geschafft, was sie selbst vor ein paar Tagen noch nicht einmal zu träumen wagte. Sie steht im Halbfinale der US Open, und das als Nummer 92 der Weltrangliste. „Es ist unglaublich“, sagte Kerber, „mein Ziel war es eigentlich, die zweite, dritte Runde zu erreichen.“ Diese Wunschmarke hat sie nun weit überflügelt, in Flushing Meadows erlebt die 23 Jahre alte Kielerin gerade den größten Erfolg ihrer Karriere. Seit Steffi Grafs Titelgewinn 1996 hat es keine deutsche Spielerin in New York mehr so weit gebracht. Andrea Petkovic hat den Sprung dagegen nicht geschafft, sie unterlag der Weltranglistenersten Caroline Wozniacki mit 1:6 und 6:7.

Kerber war als Außenseiterin in die Partie gegen Pennetta gegangen, die durch den Dauerregen erst mit zweitägiger Verspätung beginnen konnte. Doch am Ende verließ Kerber den Court mit 6:4, 4:6 und 6:3 als glückliche Siegerin. Von Runde zu Runde war sie selbstbewusster geworden, spielt als einzig verbliebene Linkshänderin zudem für die Gegnerinnen unangenehmes Tennis. Mit der 29 Jahre alten Italienerin stand ihr jedoch eine erfahrene Spielerin gegenüber, die schon einmal zu den besten zehn zählte und in der dritten Runde Mitfavoritin Maria Scharapowa aus dem Turnier befördert hatte. Zudem verfügt Pennetta als exzellente Doppelspielerin über eine gute Übersicht und ein aggressives Netzspiel. Die beiden lieferten sich im ersten Satz eine intensive Partie, bei der Kerber mit mutigen Spielzügen und harten Schlägen von der Grundlinie beeindruckte. Von Nervosität keine Spur, zumindest bis zum 4:2 im zweiten Satz. „Ich habe plötzlich gespürt, dass mir ja nur noch zwei Spiele zum Halbfinale fehlen“, gestand Kerber, „da wurde ich doch zittrig.“

Die Folge war, dass Pennetta fünf Spiele am Stück gewann, bis sich Kerber bei 1:2 im dritten Satz wieder fing. Der eigene Aufschlag war für beide Spielerinnen an diesem Tag eher Handicap als Waffe, jede leistete sich insgesamt sieben Breaks. Das spielentscheidende gelang Kerber schließlich zum 5:3, und dieses Mal behielt sie gleich beim ersten Matchball die Nerven. „Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagte sie noch zwei Stunden später, „das ist wie ein Traum.“ Morgens um drei sei sie in der Nacht zuvor hochgeschreckt, unsicher, ob dieser wunderbare Lauf bei den US Open wohl nur ihrer Fantasie entsprungen war. Er war es nicht, doch es fühlte sich für sie alles wie im Zeitraffer an. Vor fünf Wochen erst hatte Kerber in der Schüttler-Waske-Akademie ihre Vorbereitung auf die Hartplatzsaison absolviert, wollte nach der langen Zusammenarbeit mit ihrem Vater Slawek etwas Neues ausprobieren. Intensives Fitnesstraining war der erste Schritt, vor dem hatte sich Kerber immer gerne gedrückt.

Dass Andrea Petkovic dabei in Offenbach an ihrer Seite war, half Kerber. Die muntere Petkovic hatte sie motiviert, ihr immer wieder gesagt, dass sie endlich an sich glauben und auf dem Platz nicht so viel nachdenken solle. Sie war sich sicher, dass Kerber bei den US Open durchstarten würde, schließlich hatte sie ihr Potenzial schon vor einem Jahr angedeutet. Allein die Konstanz fehlte, Verletzungen kamen hinzu. „Andrea hat mich überzeugt“, sagte Kerber, „aber ich dachte nicht, dass es schon so schnell ginge.“ Bereits beim Turnier in Dallas stürmte sie von der Qualifikation ins Halbfinale, nun folgte in New York der große Coup.

Ab Montag ist Kerber mindestens die Nummer 34 der Rangliste. Da ist das Halbfinale gegen die Top-Ten-Spielerin Samantha Stosur im Grunde nur Zugabe. Doch Kerber sagt: „Das Turnier ist noch nicht vorbei. Ich habe nichts zu verlieren und versuche, alles zu genießen.“ Nicht nur die Leistungen der vergangenen Tage machen sie so selbstbewusst, auch die Erinnerung an ihren ersten und bisher einzigen Auftritt unter dem Scheinwerferlicht des gewaltigen Arthur-Ashe-Stadiums. Vor vier Jahren stand ihr dort Serena Williams gegenüber. Und auch wenn es nicht zum Sieg reichte – sie hatte der amerikanischen Ausnahmespielerin einen starken und vor allem frechen Kampf geboten. „Damals war es die erste Runde, da war ich nicht nervös“, sagte Kerber. „Aber jetzt werde ich es bestimmt sein." Doch wie immer es ausgehen mag, Angelique Kerber verlässt New York so oder so als Gewinnerin.

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