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Sport: Uefa-Cup: Im falschen Film

"Seine Stärke in den letzten Jahren waren immer die guten Nerven", sagte Trainer Frank Pagelsdorf und fügte noch hinzu: "Auch in Situationen, in denen wir unter Druck gestanden haben." Beim Elfmeter-Schießen zum Beispiel.

"Seine Stärke in den letzten Jahren waren immer die guten Nerven", sagte Trainer Frank Pagelsdorf und fügte noch hinzu: "Auch in Situationen, in denen wir unter Druck gestanden haben." Beim Elfmeter-Schießen zum Beispiel. Seit etwa einem halben Jahr ist das ein wenig anders. Langsam und zunächst fast unmerklich ließen die Leistungen von Torwart Jörg Butt beim Hamburger SV nach. Zwischenzeitlich gab es immer wieder sehr erfolgreiche Spiele des Torhüters, aber seine durchschnittlichen Leistungen waren nicht mehr so gut wie in der Vorsaison. Am Donnerstag Abend bei der 0:1 (0:1)-Niederlage im Uefa-Cup-Hinspiel bei AS Rom war nun der bisherige negative Höhepunkt des Jörg Butt zu sehen. Einen eigentlich nur rollenden Ball aus 22 Metern, geschossen von Gianni Guigou ließ er in der 33. Minute passieren. Das war die Entscheidung.

Schon fünf Tage zuvor war dem 26-jährigen Torwart gegen Bayer Leverkusen ein schwerer Schnitzer unterlaufen, mit dem er ganz wesentlich zum gelungenen Debüt von Berti Vogts als Bundesligatrainer beigetragen hatte. Und nun diese Szene im Stadio Olimpico, die die Ausgangsposition für den in der Abwehr sehr diszipliniert spielenden HSV für das Rückspiel am 7. Dezember entscheidend verschlechterte.

Der ehrgeizige Oldenburger muss nun die wohl schwierigste Phase seiner bislang so steil nach oben verlaufenen Karriere durchmachen. Schon sind viele seiner Glanztaten der vergangenen Jahre vergessen. Vereinzelte Fans fordern gar den Rauswurf von Jörg Butt und titulieren den Torwart als "Jörg Lehmann" - ausgepfiffen wurde er und beim Auslaufen beschimpft. Der angekündigte Wechsel nach Leverkusen zeigt seine Spuren. Die Souveränität der Vergangenheit, die erst das Interesse des westdeutschen Klubs an dem Hamburger weckte, ist verschwunden. Butt hatte viel nachzudenken in den letzten Tagen und Wochen.

In der Sommerpause versuchte er alles, um vorzeitig aus seinem Vertrag herauszukommen, aber 12 Millionen Mark Ablöse waren dem HSV zu wenig. Sein Fürsprecher Christoph Daum ist nun nicht mehr da, der neue Torwarttrainer Toni Schumacher äußerte bereits Kritik. Aber der Vorvertrag ist unterschrieben, es gibt kein Zurück mehr. Um so mehr wünscht er sich einen anständigen Abgang aus der Hansestadt. "Es gibt noch einige Spiele", meinte er in Rom, "ich werde versuchen, alles zu geben und die Kritiker durch meine Leistung zu überzeugen." Bereits heute bei Hansa Rostock hat er die nächste Gelegenheit dazu. Ihm gegenüber steht Martin Pieckenhagen, der beim HSV als Nachfolger für Butt ausgewählt wurde. Nicht auszudenken, wie die HSV-Fans reagieren, sollte Pieckenhagen eine starke Leistung zeigen und Butt wieder wackeln. Es ist eine schwere Zeit für den Hamburger, der einen inneren Verdrängungsprozess versucht: "Ich muss die erste Halbzeit von Rom vergessen und auf der zweiten Hälfte aufbauen", meinte er. In Durchgang zwei gelangen ihm drei Paraden, die Pagelsdorf psychologisch geschickt immer wieder hervor hob: "Wir verdanken Jörg dieses Ergebnis, dass uns noch alle Chancen auf das Weiterkommen lässt."

Bemerkenswert ist die öffentlich vorgetragene Solidarität der Mannschaft zu ihrem Kapitän: "Das Tor war mein Ding", sagte Roy Präger, "ich stand nicht nah genug bei dem Mann, als er zum Schuss kam". Nationalspieler Ingo Hertzsch, der zuletzt selbst eine kleine Krise durchmachte, erklärte die Fehler für selbstverständlich: "So etwas passiert, wir haben ihn alle aufgemuntert." Aber Jörg Butt leidet an den Fehlern. Der Schlussmann muss sich den Verdrängungsprozess selbst suggerieren, er denkt viel zu sehr an seinen Job, als dass ihm ein einfaches Vergessen so leicht gelingen würde. "Ich habe mich tierisch geärgert", sagt er. "Ich muss das jetzt abhaken." Er sagt aber nicht: "Ich habe das schon abgehakt."

Claus Günther

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