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Sport: Uefa-Pokal: Auf den Spuren von Alaves

Sebastian Kehl schaute aus einem Fenster des Dreisamstadions hinunter zu den jubelnden Fans, zog an einer dicken Zigarre und spülte den ungewohnten Geschmack mit Bier hinunter. Auch Tobias Willi paffte wie ein Wilder und musste aufpassen, dass er mit dem Glas in der anderen Hand nicht aus dem Fensterrahmen kippte.

Sebastian Kehl schaute aus einem Fenster des Dreisamstadions hinunter zu den jubelnden Fans, zog an einer dicken Zigarre und spülte den ungewohnten Geschmack mit Bier hinunter. Auch Tobias Willi paffte wie ein Wilder und musste aufpassen, dass er mit dem Glas in der anderen Hand nicht aus dem Fensterrahmen kippte. Zwei der jüngsten Spieler vom Freiburger SC stellten offensichtlich das berühmteste Feierbild der deutschen Fußball-Geschichte nach: Als nach dem WM-Gewinn 1974 die Frauen der Weltmeister vom Bankett ausgeschlossen wurden, vernebelten die Torschützen Gerd Müller und Paul Breitner mit ihren Stumpen den ganzen Saal.

Man wird von dieser Party rund ums Dreisamstadion noch lange reden, und es hat in dieser Nacht wohl auch keiner der Schwarzwaldstraßen-Anrainer nach der Polizei gerufen. An diesem Wochenende zeigte ganz Südbaden seinen Stolz auf den sympathischsten Fußballklub der Bundesliga. Die weißen T-Shirts ihrer Helden, auf denen in Orange eine Europa-Karte geflockt war, werden mit Sicherheit zum Renner unter den Kult-Insignien des Klubs.

Zum zweitenmal seit 1995 hat sich das Ensemble von Trainer Volker Finke für den Uefa-Cup qualifiziert. Und anders als beim Debüt auf der internationalen Bühne, wo nach einem Mal vorspielen gegen Slavia Prag auch gleich Schluss war mit dem kontinentalen Erlebnis, träumt die Freiburger Fußballschule diesmal von mehr. Gerade nach einer Woche, in welcher ein Klub mit ähnlicher Vergangenheit, ähnlichem Umfeld und der gleichen Größenordnung bewiesen hat, was mit entsprechender Philosophie und Systematik in diesem Wettbewerb alles möglich ist. Wieso soll der SC Freiburg nicht zum nächsten Deportivo Alaves werden?

Nachdem die zweitbeste Mannschaft der Bundesliga-Rückrunde auch zum Abschluss der Konkurrenz noch mal "eine Lehrstunde erteilt hat", wie Manager Peter Pander vom VfL Wolfsburg die 1:4-Niederlage umschrieb. Es hätte gut und gerne doppelt so oft scheppern können im Kasten des armen Claus Reitmaier. Der letzte VfL-Mann war bezeichnenderweise auch der beste. Für ein totales Torfestival aber war die Stimmung zu gut. Freiburgs Akteure ließen sich anstecken von dieser speziellen Stimmung, in der sich das Publikum selbst feierte, und Hackentricks, Beinschüsse und lustige Ball-Stafetten durch die Wolfsburger Reihen besser ankamen als hochkonzentriertes Powerplay.

Höchste Priorität besaß auch der Abschied von Ralf Kohl. Als der dienstälteste SC-Profi, der vor zehn Jahren zusammen mit Volker Finke gekommen war, in der 59. Minute eingewechselt wurde, begann es auf der Nordtribüne zu donnern: "Kanzler, Kanzler". Der Hinweis von oben zur Standing ovation. Der alte Rackerer auf Rechtsaußen brauchte dann auch einige Augenblicke, bis er sich unter so vielen Emotionen im Spiel zurechtfand. Man schnallt nicht so schnell, woher der Ball kommt, wenn du erst durch eine Schicht aus Tränenwasser gucken musst. Der 35-Jährige bleibt aber nach der sentimentalen Adios-Nummer den "Breisgau-Brasilianern" erhalten. Als Stand-by-Profi und Trainer-Volontär bei den Amateuren.

Fast genauso wichtig war der Applaus für Soumaila Coulibaly. Der fliegt in den nächsten Tagen heim nach Mali, und hat Kotrainer Achim Sarstedt gebeten, ihm bis dahin noch schnell ein Video vom letzten Spiel zusammenzuschneiden. Die Familie und Freunde in Bamako, wo der junge Stürmer herkommt, werden Augen machen, wenn sie sehen, wie ihr berühmter Soumalia seine beiden ersten Bundesligatore geschossen hat - mit so viel Wucht und aus vollem Lauf.

Nach der letzten Demo der Freiburger konnten sich die Mannschaft und der Trainer der Saison der Gratulanten kaum erwehren. Anderswo hätte an solch einem Tag auch ein Statement zur Zukunft gehört, etwa wie hoch dieses Team in der nächsten Runde steigen könne. Den Freiburger Anhängern genügte ein generelles Versprechen des Lehrmeisters. "Wir müssen aufpassen, dass wir die Begehrlichkeiten anderer Vereine nicht zu sehr wecken, dann könnten die nächsten ein, zwei Jahre noch recht nett werden hier", sagt Volker Finke.

Martin Hägele

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