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Akute Glatzengefahr. Spiele von Michael Oennings Team sind derzeit nichts für Menschen, die Wert auf gepflegte Frisuren legen. Foto: Reuters

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Sport: Umbruch am Abgrund

Die Niederlage im Nordderby erhöht den Druck auf HSV-Trainer Oenning

Von Christian Otto

Die Schmähgesänge fanden auch lange nach dem Abpfiff noch ihre Fortsetzung. „Zweite Liga, Hamburg ist dabei!“, sangen die ausgelassen feiernden Fans des SV Werder Bremen. Wieder verloren, weiterhin Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga: Als Michael Oenning nach der 0:2 (0:0)-Pleite im Weserstadion erklären sollte, was eigentlich aus ihm und dem Hamburger SV werden soll, blieb der 45-Jährige erstaunlich ruhig. „Diese Mannschaft wird sich finden und entwickeln“, versicherte der unter Druck geratenen HSV-Trainer. Auch nach dem 5. Spieltag glaubt Oenning fest daran, den schmerzhaften, weil bisher so erfolglosen Umbruch in Hamburg am Abgrund zur Zweiten Liga fortsetzen zu dürfen.

Die recht unterschiedlichen Verhaltensmuster, die bei den Entscheidern des Hamburger SV am Samstagabend zu beobachten waren, lassen jedoch wenig Gutes erahnen. Nach 90 leidenschaftlich umkämpften Minuten erklären, was die Niederlage im Nordderby machte Carl-Edgar Jarchow, der den HSV-Vorstand anführt, einen großen Bogen um Kameras und Mikrofone. Er zeigte wenig Interesse daran, dem angeschlagenen Trainer erneut öffentlich den Rücken stärken zu müssen. Sportchef Frank Arnesen meinte: „Für mich ist das kein Thema. Michael trainiert gut. Und er hat Einfluss auf die Mannschaft.“

Was sich gut anhörte, konnte nichts daran ändern, dass die Hamburger bei ihrem Gastspiel in Bremen zwar einen ordentlichen Auftritt gezeigt hatten, am Ende aber chancenlos blieben. Werder-Torjäger Claudio Pizarro hatte nach zwei Standardsituationen in zweiten Halbzeit jeweils gedankenschneller reagiert und vor 41 600 Zuschauern die entscheidenden Tore erzielt. „Im eigenen Strafraum sind wir viel zu brav“, meinte Mittelfeld-Routinier David Jarolim.

Die Offensivbemühungen des HSV scheiterten am starken Werder-Schlussmann Tim Wiese und den eigenen Nachlässigkeiten. Mladen Petric vergab die wenigen echten Torchancen. „Bei uns hat der Druck gefehlt“, fand Stürmer Paolo Guerrero, der sich mehr Fouls und Diskussionen mit Schiedsrichter Manuel Gräfe als sehenswerte Szenen geleistet hatte.

Müde, frustriert und mit hängenden Köpfen schlichen die Hamburger Spieler aus dem Weserstadion. Dass der Bremer Schlussmann Tim Wiese mit einem Megafon in der Hand Feierlichkeiten befeuerte, bei denen es den 2. Tabellenplatz für Werder und den Status als Nummer 1 im Norden zu bejubeln galt, machte aus der nächsten Niederlage des HSV eine immer größere Schmach. „Wir sind da, wo die Tabelle uns zeigt. Und als Letzter kommst du nun mal nicht mit breiter Brust ins Stadion“, erklärte Mittelfeldspieler Marcell Jansen.

Der Umbruch der Mannschaft, den sich der Hamburger SV auch aus finanziellen Gründen zumutet, bleibt ein gefährliches Spiel. Oennings schärfste Kritiker werfen ihm vor, dass sein Team immer noch ohne erkennbares Konzept oder überzeugende Strategie durch die Saison stolpert. „Wir werden unsere Fehler nicht negieren. Und ich will diesen Umbruch auf jeden Fall offensiv erklären“, sagte er.

Die Durchhalteparolen, die den bemitleidenswerten Hamburger SV und seinen Trainer umgaben, dienten dem Versuch, am nächsten Spieltag in gleicher Konstellation endlich alles besser machen zu dürfen. Wie es aber funktionieren soll, dass Oenning mehr Zeit bekommt, um der HSV-Mannschaft die nötige Stabilität zu verleihen, bleibt unklar. Denn schon das nächste Spiel könnte Oennings letztes sein. Kapitän Heiko Westermann gestand: „Wenn wir gegen Gladbach zu Hause nicht gewinnen, wäre das eine Katastrophe.“

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