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Wieder im Boot. Nadja Drygalla (Dritte von rechts) gehört zum Kern des Achters. Trotz des Wirbels um sie und ihren umstrittenen Freund hat sie beschlossen, weiterzumachen.

© dapd

Umstrittene Ruderin: Nadja Drygalla: Die Frau von Rollsitz sechs

Am 1. November wird Nadja Drygalla Mitglied einer Bundeswehr-Sportförderkompanie. In der Ruderszene ist das weniger Thema als in der Öffentlichkeit, wo ihre Beziehung zu einem Ex-NPD-Mitglied hohe Wellen geschlagen hatte.

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In der Mannschaftskasse lag noch Geld, das war wichtig. Genug Geld, damit die Gruppe ein paar Ideen diskutieren konnte. Bezahlen wir das Hotel? Den Flug? Bezahlen wir beides? Irgendetwas, da waren sich alle einig, muss jedenfalls passieren. Die Mitglieder des deutschen Frauen-Achters waren sauer. Ralf Müller, ihr Trainer, hatte sie zu den Olympischen Spielen geführt. Aber akkreditiert für London wurde er nicht. Sie wollten ihn aber vor Ort haben. „Die haben richtig rebelliert“, sagt Müller heute.

Kathrin Marchand war auch dabei damals, sie sagt: „Nadja Drygalla wäre bereit gewesen, Flug und Hotel aus der Kasse zu bezahlen.“ Nadja Drygalla, die Frau, die im Boot Rollsitz sechs hatte. „Sie hat eine klare Meinung, sie stellt sich nicht hinten an“, sagt Marchand auch. So hat das auch Müller beobachtet. „Sie ist in der Hierarchie keine Wortführerin, aber sie ist sehr ehrgeizig.“ Es ging um viel Geld, aber es ging vor allem um die bestmöglichen Chancen bei Olympia.

Am 1. November tritt Nadja Drygalla ihren Dienst bei einer Sportförderkompanie der Bundeswehr an. Die Frau, die ein Jahr zuvor die Landes-Sportfördergruppe der Polizei Mecklenburg-Vorpommern verlassen hatte. Die komplett aus dem Polizeidienst ausgeschieden war. Offiziell freiwillig, in Wirklichkeit auf Druck, weil ihr Freund Michael Fischer aktiv in der rechtsradikalen Szene agiert hatte. Die Frau, die fluchtartig das Olympische Dorf verließ, nachdem die Geschichte mit ihrem Freund bekannt geworden war. Fischer hat sich eigener Aussage nach von der rechtsradikalen Szene gelöst.

Aus der Polizei rausgedrängt, von der Bundeswehr aufgenommen. Oder: aufgefangen? Hat das nicht einen seltsamen Beigeschmack? Hat es nicht, sagt Müller. „Ich begrüße es, dass sie in die Bundeswehr geht“, sagt er. Der Trainer sieht die Sportlerin Drygalla. „Sie gehörte im Riemenbereich zu den besten drei, vier Frauen in den vergangenen Jahren.“ Und sie ist erst 23 Jahre alt, sie hat Perspektiven. „Da ist der Wechsel zur Bundeswehr sehr begründbar“, sagt Müller

Der Frauen-Achter soll langfristig aufgebaut werden. „Und Nadja Drygalla gehört zum Kern dieser Mannschaft“, sagt Müller. Sie gehört dazu, „weil sie eine von jenen Athletinnen ist, die 21 Wiederholungen im Kraftraum machen, wenn 20 angesagt sind“. Die Geschichte mit ihrem Freund, die hat Müller auch nur aus den Nachrichten erfahren. Er übernahm das Boot erst Anfang 2012.

Auch Kathrin Marchand war „völlig überrascht“. Sie rückte erst Anfang 2012 ins Boot. „Mit mir hat sie nicht über ihren Freund gesprochen. Auch aus der Mannschaft habe ich nichts gehört.“ Mit Drygalla habe sie ja auch nur ein „Arbeitsverhältnis“. Aber immerhin, „wir hatten viel Spaß zusammen. Sie ist sehr witzig.“ Ein paar Tage hat der Achter in Rostock trainiert, dort, wo Nadja Drygalla lebt. „Aber auch dort habe ich nichts gehört.“

Was ist das für eine Welt, aus der Drygalla kommt, warum haben so wenige erzählt, was zu ihrer Geschichte auch gehört? Die Rostocker Ruderwelt ist klein, ihr Mittelpunkt liegt in Kessin, zwei Kilometer südöstlich von Rostock. Hier haben der Olympische Ruderclub (ORC) und der Landesruderverband ihren Sitz. Auf einem Gelände mit langen Bootshallen und Sportlerwohnungen. Wenn keine Sportler da sind, machen Breitensportler hier Urlaub, Kohlehaufen von Grillfesten sind ihre Spuren. Hinter einer Trauerweide schlängelt sich die Warnow, der Fluss, auf dem Drygalla trainiert.

Drygallas Schicksal treibt die Ruderszene offenbar viel weniger um als die Öffentlichkeit

Hans Sennewald, Ex-Weltmeister und ORC-Vizepräsident, hat sie hierher geholt. Fast ein väterlicher Freund für Drygalla. Er hatte ihr eine Stelle beim Landesverband besorgt, als Sportkoordinatorin. Die sogenannte geräuschlose Lösung, nachdem Drygalla im September 2011 ihre Ausbildung zur Polizistin hatte abbrechen müssen. Damit waren auch Fördermittel der Polizei weggebrochen.

Seit September 2011 trainierte und arbeitete Drygalla in Kessin. Morgens radelte sie aus dem Nordosten Rostocks, einem vornehmen Viertel, wo sie mit Fischer wohnt, nach Kessin. Dort trainierte sie mit Ulrike Sennewald, ihrer besten Freundin, ihrer Partnerin im Zweier, ihrer Partnerin später auch im Achter. In Kressin sprachen die Dorfbewohner nach London von „Hetzjagd“, obwohl kaum einer Drygalla persönlich kennt.

Aufgewachsen ist Nadja Drygalla, wie sie dem „Stern“ erzählte, auf einem Hof 15 Kilometer vor Rostock. Später, nach der Trennung ihrer Eltern, zog sie mit ihrem Vater in die Stadt nach Toitenwinkel. Er starb, als sie 14 war. Toitenwinkel besteht aus trostlosen Betonhochhäusern und verlassenen Spielplätzen, auf Häuserwänden liefern sich Antifa und Rechtsradikale Kämpfe in Form von Parolen. Unter anderem steht da NSR, für „Nationale Sozialisten Rostock“, bei denen Fischer aktiv war und die seit 2008 in Verfassungsschutzberichten auftauchen.

Kathrin Marchand „ist es egal, mit wem sie zusammen ist. Wir wollen rudern“. Aber ganz ist das Thema auch für sie nicht abgehakt. Ab und zu wird sie auf die andere angesprochen. „Was denkt Nadja? Was hält sie davon?“, solche Fragen. „Es nervt.“ Und jetzt die Diskussion um ihren Bundeswehrplatz. „Warum soll sie das nicht machen?“, fragt Marchand.

Drygallas Schicksal treibt die Ruderszene offenbar viel weniger um als die Öffentlichkeit. Michael Hehlke, Chef des Leistungszentrums Berlin, jedenfalls konstatiert, „dass sie bei uns kein Thema ist“. Aber bei anderen ist sie das, und deshalb geht Hehlke davon aus, „dass man bei der Bundeswehr jetzt doppelt wachsam ist“.

Bei der Bundeswehr sagen sie, dass sie natürlich alles geprüft hätten. Außerdem war Nadja Drygalla ja schon vor London in einem Trainingslager gemustert worden. Ihr Antrag wurde wegen der Vorfälle um ihren Freund nur erst mal auf Eis gelegt.

Manfred Thiesmann hat viele Jahre mitentschieden, ob ein Athlet in eine Sportförderkompanie darf. Er arbeitete 32 Jahre als Schwimm-Bundestrainer, zu Drygalla sagt er: „Natürlich kann sie zur Bundeswehr gehen. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Was wäre denn ansonsten mit Kindern von Salafisten? Müsste man die auch ablehnen?“

Für viele ist ja bemerkenswert, dass Drygalla überhaupt weitermacht. Aber dieser Entschluss passt zu Nadja Drygalla. Ralf Müller, der Trainer, sagt: „Sie ist doch recht nervenstark.“ Die Mannschaftskasse musste wegen ihm im Übrigen doch nicht geplündert werden. Müller erhielt eine Tagesakkreditierung.

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