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Sport: Unberechenbar optimistisch

Für Franziska van Almsick beginnt heute die Europameisterschaft – sie träumt von den ganz großen Auftritten

Von Frank Bachner

Berlin. Irgendjemand wollte vor kurzem wissen, wie viele Badeanzüge sie denn bei dieser Europameisterschaft tragen werde. Wahrscheinlich gibt es kaum etwas, das uninteressanter ist im sportlichen Leben der Weltklasseschwimmerin Franziska van Almsick, und deshalb war es eine ziemlich dämliche Frage. Aber die 24-Jährige verzog nur für den Bruchteil einer Sekunde ihr Gesicht zu einem spöttischen Grinsen, dann sagte sie: „Ich habe zwölf Einsätze, wenn man die Vorläufe mitzählt, und ich will in jedem Finale einen neuen Anzug tragen.“ Dann blickte sie zu ihrem Coach Norbert Warnatzsch und sagte: „Das hat mir mein Trainer so gesagt.“

Es ist herzlich egal, was ihr Trainer zu ihren Badeanzügen gesagt hat. Interessanter ist ein ganz anderer Satz. Der mit den Finals. Denn der bedeutet ja, dass sie davon ausgeht, dass sie in jedem Finale steht. Das wären sechs Endläufe, drei im Einzel-Rennen, drei mit der Staffel. Und sie sagt das so lässig, als hätte es nie eine Sportlerin van Almsick gegeben, die dreimal, bei der WM 1994, der EM 1995 und der deutschen Meisterschaft 1999, spektakulär aus dem Vorlauf ihrer Spezialstrecke 200 m Freistil rausgeflogen ist und bei den Olympischen Spielen 2000 das 200-m-Freistil-Halbfinale nicht überstand. Der Satz klingt, als könnte van Almsick quasi mit einem Knopfdruck unangenehme Erinnerungen ausschalten. Einfach so.

In Wirklichkeit ist die 24-Jährige nur gut in Form. Sie hat verletzungsfrei trainiert, vor allem aber hat sie im Mai bei den deutschen Meisterschaften mit 1:57,74 Minuten über 200 m Freistil eine Weltklassezeit erzielt. „So eine Zeit“, sagt ihr Trainer, „wird bei der EM keine andere schwimmen.“ Und Franziska van Almsick? Wird sie diese Zeit wiederholen können? „Sie hat das Potenzial, an diese Zeit heranzukommen“, sagt Warnatzsch. Franziska van Almsick sagt: „Ich denke, ich kann über mich hinauswachsen.“ Dann sagt sie noch, dass sie auch noch den deutschen Uralt-Rekord über 100 m Schmetterling verbessern möchte. „Wichtig aber ist, dass man einen guten Auftakt hat.“

Am Montag startet sie mit der 4-x-100-m-Freistil-Staffel, und die wird Gold holen. Oder besser gesagt: Sie muss Gold holen. „Platz zwei wäre eine Niederlage“, sagt Ralf Beckmann, der deutsche Teamchef. Damit wäre für Franziska van Almsick eine gute EM programmiert, in der Theorie jedenfalls. „Von mir aus könnte es sofort losgehen, ich bin total motiviert“, hatte die Weltrekordlerin über 200 m Freistil vor einer Woche schon gesagt.

So treten üblicherweise Siegertypen auf. Aber Franziska van Almsick war nie ein echter Siegertyp, in den ganzen zehn Jahren nicht, seit sie an der Weltspitze mitschwimmt. Auch zwei WM- und 16 EM-Titel haben sie nie dazu gemacht. Aber weil sie trotzdem ihren Optimismus erklären möchte, nimmt sie die Rolle der Abgeklärten an. „Ich schwimme nur noch für mich. Ich mache nichts mehr für andere. Ich lasse mich von Medien nicht mehr unter Druck setzen. In den letzten 15 Jahren war mein Leben in Puzzlestücke aufgeteilt, und ich habe versucht, sie zusammenzufügen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass das Puzzle fertig ist.“

So einfach ist das? Franziska van Almsick, vollendet? So einfach ist das nicht. Dass sie nur noch an sich denkt, dass sie keine Rücksicht mehr auf andere nimmt, das erzählt sie seit Jahren. Das hatte sie nach den Olympischen Spielen 1996 erzählt, als sie dem ganzen Druck nicht standhielt und Fans und Medien ihr Silber über 200 m Freistil als Niederlage empfanden. Das hatte sie 1999 erzählt, und ein Jahr später kam die Olympiapleite.

Franziska van Almsick ist sicher gelassener geworden, das ist eine Frage des Alters, aber sie hat nie diesen Abstand zu Gegnerinnen und Medien und dem Druck, den sie alle erzeugen, gefunden. Auch wenn sie das ständig erzählt. Das weiß jeder, der mit ihr zu tun hat, das sagt auch Regine Eichhorn, ihre Managerin. Sie sagt es nicht so deutlich, aber sie sagt, dass Franziska van Almsick es allen noch mal zeigen will, die sie verspotteten und als Auslaufmodell verkauften. Die 24-Jährige schwimmt bestimmt für sich, aber im gleichen Maße schwimmt sie verbissen auch gegen das Bild, das andere, vor allem Journalisten, von ihr zeichnen. Das ist einer der Gründe, weshalb sie immer noch weitermacht. Sie hatte eine langwierige Handverletzung, einen Bandscheibenvorfall, die Olympiapleite, nie hörte sie danach auf.

Franziska van Almsick hat ja einen Traum. Sie möchte am Beckenrand mit dem Gefühl anschlagen, ein perfektes Rennen geliefert zu haben und dann der verdutzten Welt mitteilen: „Das war mein letztes Rennen. Ich trete ab.“ Aber sie will auch mit dem Gefühl abtreten, dass man sie und ihre Leistung respektiert hat. Auch deshalb ist sie so hungrig auf diese EM. Selten in den vergangenen Jahren dürfte sie das Gefühl gehabt haben, diesen Respekt zu bekommen wie jetzt, nach ihrer Top-Zeit über 200 m Freistil. Die Europameisterschaft ist eine Bühne, die ihr wieder Glanz verleihen kann. Denn ein Teil der Stars, der nicht-europäische Teil, darf ja nicht starten.

Aber Franziska van Almsick ist immer noch so empfindsam und unberechenbar wie früher. Und nichts spricht dafür, dass sie jetzt roboter-ähnlich Topzeiten abspult und Titel gewinnt. Vielleicht wird es wirklich ihre EM, aber nicht erklärbare Ausfälle sind unverändert möglich.

Sie selber streut ja auch schon leise Warnsignale. „Es ist schon ein komisches Gefühl, bei der EM quasi zu Hause zu schwimmen.“ Und dann sind erstmals seit acht Jahren wieder ihre Eltern bei einem bedeutenden Wettkampf von ihr. Und auch Freunde, die sie noch nie bei Rennen erlebt haben. Coolen Siegertypen macht das nichts aus, Franziska van Almsick aber sagt: „Wenn ich weiß, dass alle da sind, macht mich das vielleicht wahnsinnig.“ Stefan Kretzschmar, der Handball-Nationalspieler, ihr Freund, kommt auch, zusammen mit anderen Nationalspielern. „Das“, sagt van Almsick, „ist ein komisches Gefühl.“ Dann, nach einer Sekunde, schiebt sie nach: „Aber auch ein schönes.“

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