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Sport: Und bist du nicht willig

Rainer Schüttler wird vom Holländer Martin Verkerk aus den French Open geprügelt

Paris. Um kurz nach elf an diesem Morgen bekam Rainer Schüttler eine Ahnung davon, was ihn erwarten würde. Martin Verkerk brachte seinen ersten Aufschlag über das Netz, und die Messgeräte übermittelten eine Geschwindigkeit von 201 Stundenkilometern. In diesem Tempo ging es weiter. Verkerk, der riesige Holländer (1,98 Meter), hämmerte Schüttler im Achtelfinale der French Open die Bälle nur so um die Ohren. Wenn ein Ball von ihm an die Netzkante klatschte, dann tropfte er nicht kraftlos ins Feld, sondern prallte meterweit in Verkerks Hälfte zurück. Und Schüttler wusste gegen die Gewalt seines Gegners denkbar wenig auszurichten. 3:6, 3:6, 5:7 verlor der Elfte der Tennis-Weltrangliste gegen den 35 Plätze hinter ihm geführten Holländer. Nach zwei Stunden verwandelte Verkerk den ersten Matchball – mit seinem 22. Ass und einer Geschwindigkeit von 197 Stundenkilometern. „Er hat sehr konstant aufgeschlagen", sagte Schüttler.

Nach dem Match raffte der Verlierer seine Sachen zusammen, stopfte sie in seine Tasche und verschwand gleich in die Kabine. Für den Unterlegenen sind solche Matches in hohem Maße frustrierend – weil er nicht weiß, was er hätte anders machen sollen. „Ich bin nie richtig reingekommen", sagte Schüttler. „Er hat mir nie die Chance gegeben, lange Ballwechsel zu spielen." Im ersten Spiel des zweiten Satzes brachte Verkerk fünf Aufschläge ins Feld, keiner war langsamer als 200 Stundenkilometer, und im zweiten Spiel des dritten Satzes konnte Schüttler keinen einzigen Ball über das Netz zurückspielen. „Der dritte Satz hätte auch 6:0 ausgehen können", sagte Verkerk. „Wenn ich ein bisschen Glück gehabt hätte."

Doch selbst wenn der Gegner durch seine Größe und seine Körperkraft unbezwingbar erscheint, muss ein Spieler wie Schüttler ein solches Match nicht zwangsläufig verlieren. Wäre es so, dann stünden Aufschlagexperten wie Richard Krajicek oder Mark Philippoussis in der Weltrangliste ganz oben. Normalerweise gelingt es Rainer Schüttler, solche körperlichen Defizite mit seiner taktischen Cleverness auszugleichen. Die Niederlage gegen Martin Verkerk aber wird all jene in ihren Vorurteilen bestätigen, die Schüttlers Vorstoß in die Weltspitze für ein Produkt des Zufalls halten.

Ein bisschen spielt Schüttler Tennis wie die deutsche Nationalmannschaft Fußball: ohne großen Lustgewinn fürs Publikum, aber leidlich erfolgreich. Dirk Hordorff, sein Trainer, ist vor einigen Jahren noch ausgelacht worden, als er sagte, Schüttler könne unter die Top 20 der Welt kommen. Jetzt ist Schüttler Elfter, und Hordorff fragt: „Warum sollte er nicht die Nummer eins werden?" Schüttlers große Stärke ist seine Konstanz, aber in Spielen wie dem gegen Verkerk zeigt sich, dass dies manchmal nicht reicht. Das Match, sagte Schüttler, „ist ein bisschen dahingeplätschert". Es gelang ihm nicht, sich erfolgreich dagegen zu wehren.

Martin Verkerk sagte, es sei gar nicht so einfach gewesen, wie es von außen ausgesehen habe, außerdem sei Schüttler jemand, von dem „du weißt, dass er immer zurückkommen kann". Das wird den Verlierer kaum trösten, zumal er sich einem nahezu unbekannten Gegner geschlagen geben musste. „Wo bist du die letzten 24 Jahre gewesen?", wurde der 24 Jahre alte Verkerk nach seinem Sieg von einem amerikanischen Journalisten gefragt. Nie zuvor hatte der Holländer bei einem Grand-Slam-Turnier ein Spiel gewonnen, jetzt steht er in Paris im Viertelfinale.

Bisher musste sich Verkerk immer vorhalten lassen, er sei zu faul und mental nicht stark genug . Der Holländer weiß selbst am besten, dass er lange ein schlampertes Genie war: „Ich bin froh, dass ich zwischen 18 und 21 das gemacht habe, was man zwischen 18 und 21gemacht macht haben sollte." Mit 24 aber hat er sich dazu entschlossen, ernsthaft Tennis zu spielen. Im vergangenen Jahr hat Verkerk 84 Plätze auf der Weltrangliste gutgemacht, im Februar sein erstes Turnier gewonnen. Paris ist trotzdem noch ein großes Abenteuer für ihn. Verkerk sagt, er sei schon seit Tagen nicht vor halb zwei in der Nacht eingeschlafen. „Ich weiß auch nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es das Adrenalin."

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