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Sport: „Und dann bin ich losmarschiert“

Schlussläuferin Claudia Künzel erkämpft Silber für deutsche Langlaufstaffel

Es war ein mitreißender Endspurt, eine große Aufholjagd. Die deutsche Schlussläuferin Claudia Künzel ersprintete in der olympischen 4-x-5-Kilometerstaffel gestern in Pragelato noch die Silbermedaille. Weil es so dramatisch und die vergangene Woche so unerfreulich war, weil ihnen dieser Erfolg nicht zugetraut worden war, empfanden die deutschen Langläuferinnen Silber „als genauso wertvoll wie das Gold von Salt Lake City“, wie Evi Sachenbacher-Stehle sagte.

Das Rennen um eine Medaille schien bereits verloren. Auf dem höchsten Punkt des 600 Meter langen Schlussanstiegs hatte sich für Claudia Künzel ein Vorsprung von 12,5 Sekunden, herausgekämpft von Evi Sachenbacher, in einen Rückstand von 10,8 Sekunden umgekehrt. Die Russin Medwedewa, die Schwedin Stromstedt und die Italienerin Valbusa hatten die Deutsche am Berg abgehängt. Selbst Bundestrainer Jochen Behle war in diesem Moment nicht mehr von einer Medaille überzeugt. „Bei vier Sekunden hätte ich keine Bedenken gehabt. Aber bei 10,8? Die zeigen doch an, dass die Claudia auch müde ist.“ Unten im Läuferlager begannen auch Stefanie Böhler, die Neue in der Staffel, Viola Bauer und Evi Sachenbacher zu zweifeln. „Meine Hoffnung war ein ganzes Stück weit weg“, gestand Evi Sachenbacher. „Zehn Sekunden sind ein Haufen.“

Das wusste auch Claudia Künzel, als sie noch 1100 Meter und die drei Spitzenläuferinnen weit vor sich hatte – aber auch die 500 Meter leicht ansteigende Zielgerade. „Das ist das Stück, wo ich drücken muss, wo ich drücken kann., wo nur noch die reine Kraft zählt.“ Claudia Künzel war in diesem kritischen Moment die Einzige, die sich und eine Medaille noch nicht abschrieb. Auf der Abfahrt sei ihr durch den Kopf gegangen, „dass ich das kann. Jetzt muss ich.“ Die 28-jährige Oberwiesenthalerin führte Selbstgespräche: „Die letzten 500 Meter sind Sprintstrecke. Du bist Sprinterin. Es geht nicht anders: Du musst die kriegen.“ Ein paar Kurven noch, dann sah sie die drei vorderen Läuferinnen. „Und dann bin ich losmarschiert."

Vorbei noch an der Schwedin, vorbei auch noch auf den letzten Metern an der Italienerin, die sie um eine Sekunde niedersprintete. Nur die Russin schaffte sie nicht mehr, lief aber dennoch nach dieser grandiosen Leistung jubelnd durchs Ziel. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Claudia das noch schafft. Aber sie ist eine glänzende Gleiterin. Deswegen ist sie ja auch als Vierte gelaufen“, sagte Behle und lobte alle vier Läuferinnen, „wie taktisch klug“ sie sich verhalten hätten.

Steffi Böhler und Viola Bauer, beide im klassischen Stil, hatten bis zum Wechsel mit Evi Sachenbacher-Stehle, die wie Claudia Künzel im freien Stil lief, in den vorderen Staffeln mitgehalten. Viola Bauer, die laut Behle „sensationell gelaufen“ war, beendete ihren Part als Dritte, 1,9 Sekunden hinter der Finnin Kuitunen und der Norwegerin Pedersen.

Das russische Quartett Natalia Baranowa-Masolkina, Larisa Kurkina, Julia Tschepalowa und Eugenia Medwedewa-Abruzowa mag den Sieg in 54:47,7 Minuten, exakt zehn Sekunden vor den Titelverteidigerinnen, als besondere Genugtuung empfunden haben, waren ihre Vorgängerinnen doch vor vier Jahren in Soldier Hollow kurz vor dem Start wegen überhöhter Blutwerte bei Larissa Lazutina von der Teilnahme ausgeschlossen worden. Die favorisierten Norwegerinnen wurden hinter Italien (Bronze) und Schweden nur Fünfte. Hilde Pedersen und Marit Björgen hatten ihre Kräfte offenbar im 10-km-Rennen zwei Tage zuvor bei Gewinn von Silber (Björgen) und Bronze aufgebraucht.

Hartmut Scherzer[Pragelato]

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