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Sport: Und jetzt die fünf Meter

Jelena Isinbajewa springt Weltrekord mit dem Stab

Jelena Isinbajewa konnte nicht hinsehen. Sie hatte ein großes Handtuch über ihr Gesicht gezogen, sie lag auf dem Rücken, ihre Füße hatte sie auf eine Bank gelegt. Es war fast Mitternacht, und sie war fünf Sekunden vom Olympiagold im Stabhochsprung entfernt. Svetlana Feofanowa musste bei 4,90 m nur die Latte reißen. Wenn sie die Höhe überqueren würde, dann ginge sie in Führung. Und hätte Isinbajewas Weltrekord eingestellt. Aber Feofanowa kam nicht mal bis zur Latte, sie brach beim Aufstieg den Versuch ab, und Jelena Isinbajewa aus Wolgograd war Olympiasiegerin. Fünf Minuten später hatte sie auch noch neuen Weltrekord gesprungen. Im ersten Versuch überquerte die 22-Jährige 4,91 m.

Mit Freudentränen endete einer der spannendsten Leichtathletik-Wettbewerbe in Athen. Denn bei 4,80 m musste Isinbajewa alles riskieren. Sie hatte nur noch einen Versuch. Sie hatte 4,70 m gerissen, sie hatte auch 4,75 m gerissen, sie ließ einen weiteren Versuch über 4,75 m aus, sie musste die 4,80 m überqueren. Und als die Latte liegen blieb, da feierte die 22-jährige Russin diesen Sprung genauso wie später ihren Weltrekord. „Es war einer dieser Schlüsselmomente im Leben“, sagte sie später. „Ich dachte daran, was ich alles für Athen investiert hatte. Und jetzt wusste ich, dass ich gewinnen würde.“ Und damit war der Weg frei für den Weltrekordsprung. „Die Energie für diesen Sprung hat mir das unglaubliche Publikum gegeben. Als das ganze Stadion für mich geklatscht hat, habe ich den Geist von Olympia gespürt.“

Geklatscht hat sogar Svetlana Feofanowa, sie hat drei-, viermal langsam die Handflächen zusammengeführt. Sie hat sogar so weit das Gesicht verzogen, dass diese Geste mit etwas Mühe als anerkennendes Lächeln interpretiert werden konnte. Man kann nur erahnen, wie viel Überwindung sie das gekostet haben muss. Denn ein Duell Feofanowa gegen Isinbajewa, das ist nie bloß ein sportlicher Zweikampf. Das ist ein persönlicher Kampf. Es geht um Prestige, Erfolg und viel Geld. „Das Einzige, das wir uns sagen, ist die Uhrzeit“, sagt Isinbajewa. „Wir haben nur gemeinsam, dass wir Russinnen sind“, sagt Feofanowa.

Der wichtigste Gradmesser des Erfolgs in diesem Machtkampf ist der Weltrekord. Innerhalb von 58 Tagen verbesserten die beiden den Weltrekord wechselweise. Die bis Dienstag-Abend gültige Bestmarke hatte Isinbajewa mit 4,90 m aufgestellt, am 30. Juli in London. Feofanowas Bestleistung steht bei 4,88 m.

Aber am Dienstagabend, als der Zweikampf auf der spektakulärsten Bühne des Sports ausgetragen wurde, da versagten der 24-Jährigen aus Moskau die Nerven. „Als ich 4,75 m übersprungen hatte, habe ich an Gold geglaubt“, sagte sie. „Aber die anschließende Situation hat mich überfordert. Ich wollte zu viel.“

Das Duell ist mit dem Olympiagold für Isinbajewa nicht entschieden. Jetzt geht es um ein weiteres Symbol. Wer überquert als Erste fünf Meter? „Ich habe die Höhe drauf“, sagte Isinbajewa. „Ich glaube nicht, dass sie die fünf Meter springen kann“, erwiderte Feofanowa kühl. Aber auch Sergej Bubka, die Stabhochsprung-Legende, sagte: „Jelena kann bald fünf Meter springen.“

Auf jeden Fall haben beide viel von Bubka gelernt. Sie steigern wie Bubka früher den Weltrekord jeweils um einen Zentimeter, denn jede Bestmarke bedeutet eine Sonderprämie. Allein für ihren Rekord in Athen erhält Isinbajewa vom Olympischen Komitee Russlands 50 000 Dollar.

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