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Sport: Und wer wird Zweiter?

Schütze Ralf Schumann gilt als Deutschlands sicherste Hoffnung auf Gold – am liebsten würde er bis zur Rente weitermachen

Am Freitag beginnen die Olympischen Spiele in Athen. Bis dahin stellt der Tagesspiegel deutsche Athleten vor, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Heute: Ralf Schumann.

Als der letzte Pinselstrich perfekt gemalt ist, lehnt sich Ralf Schumann zufrieden zurück. Seine Sammlung an selbst gebauten Formel-1-Autos ist wieder durch ein neues Modell bereichert worden. „Das fördert die Handruhe“, sagt er. Der 42-Jährige möchte sein Hobby damit als Teil seines Trainings verstanden wissen. Auch als Schnellfeuerschütze darf sich Schumann im Wettkampf nicht den leichtesten Wackler erlauben, sonst leidet die Qualität. „Ein Außenstehender kann sich nicht vorstellen, was da abgeht. Der Puls hämmert – und du musst versuchen eine ruhige Hand zu behalten.“

Das gelingt dem gebürtigen Sachsen, der auf den windanfälligen Ständen im Süden Athens seine fünften Olympischen Spiele bestreiten wird, nun schon seit über 20 Jahren. Zwei Olympiasiege, zwei Welt- , sieben Europameistertitel und 48 Erfolge bei Weltcups zieren seine Erfolgsbilanz. Ralf Schumann gilt als Deutschlands sicherste Hoffnung auf eine olympische Goldmedaille bei den Spielen in Athen. „Wenn Ralf bei einem großen Wettkampf dabei ist, stellt sich eigentlich die Frage, wer Zweiter wird“, sagt sein bulgarischer Konkurrent Emil Milew. „Ich bin einfach zu einem falschen Zeitpunkt geboren worden.“ Der Mann kann sich keine Hoffnungen auf ein Karriereende des Deutschen machen, denn der würde „am liebsten noch mit 65 Jahren aktiv sein“.

Dabei gehört das Schnellfeuerschießen zu den anspruchsvollsten Disziplinen überhaupt. Vor allem die Vier-Sekunden-Serien, bei denen nach dem Aufklappen der Scheiben zunächst gezielt und dann noch fünf Schüsse möglichst ins Zentrum gebracht werden müssen, erfordern eine unglaubliche Reaktionsschnelligkeit. Dagegen sind die Serien zuvor in acht und in sechs Sekunden fast Spielerei. „Bei Ralf habe ich nur Angst, dass die Waffe versagt“, sagt Bundestrainer Peter Kraneis, „Ralf versagt nie“.

Fast nie, denn ausgerechnet bei Olympia 2000 in Sydney ließen ihn die antrainierten Automatismen im Stich. Schumann wurde nur Fünfter, und ohne die fest eingeplante Medaille wurde Sydney für die deutschen Schützen zum medaillenlosen Desaster. Auf ihn hatten sie sich verlassen, er hätte mit Gold für vieles entschädigen können. Daraus wurde nichts. Diesmal hat Ralf Schumann einiges in der Vorbereitung anders gemacht. Eine längere Pause zum Kräftesammeln, Besuche bei einer Psychologin und Gespräche mit dem Team-Psychologen gehören dazu, aber auch ein neues Programm für Augenübungen. Ein Schweizer Augenarzt hatte festgestellt, dass Schumann „zwar immer noch 115 Prozent der normalen Sehkraft besitzt, doch das war früher noch besser“. Das klingt verwirrend und ist doch so, denn 100 Prozent Sehvermögen ist eine fiktive Größe, die sich auf das durchschnittliche Sehvermögen bezieht. „Es gibt sogar Patienten, die mit bis zu 160 Prozent aufwarten können“, sagt Peter Rieck, Privatdozent am Virchow-Klinikum der Charité.

Schumann wird bis zu seinem Start beim olympischen Wettbewerb 25 000 Trainingsschüsse abgegeben haben. „Mehr kann man nicht in guter Qualität schaffen, sonst schleichen sich technische Fehler ein“, verrät der Feinmechaniker vom SSZ Suhl. Als Vollprofi, bezahlt von der Stiftung Deutsche Sporthilfe, der Thüringer Sporthilfe und dem Olympiastützpunkt, hat er alles gut dosieren können. Im Herbst wird Ralf Schumann die Arbeit als Schleifer in einem Sägewerk in Ostheim wieder aufnehmen. „Sauberes Schleifen ist wie präzises Schießen“, sagt er. Oder eben wie der Modellbau eines Formel-1-Autos. Das passt bei ihm alles zusammen.

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