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Sport: Unfreier Oberkörper

Der Fußball-Weltverband verschärft die Regel beim Torjubel – und stößt auf Ablehnung

Es ist die 78. Minute im Spiel zwischen dem SC Freiburg und Hannover 96. Freiburg führt 3:1. Beide Mannschaften sind an diesem 31. Spieltag der vergangenen Bundesliga-Saison in Abstiegsgefahr, sie müssen unbedingt gewinnen. Dann trifft Alexander Iaschwili zum 4:1 für Freiburg. Die Freude ist groß – besonders bei Soumaila Coulibaly, der dem Torschützen den Ball vorgelegt hat. Er reißt sich das Trikot vom Körper und schleudert es durch die Luft. Der Jubel findet schnell ein Ende: Schiedsrichter Edgar Steinborn zeigt Coulibaly, der zuvor schon Gelb gesehen hat, die Gelb-Rote Karte. Fassungslos geht der Freiburger vom Platz.

Steinborn hatte keine Wahl: Das Ausziehen des Trikots gilt als „unsportliches Verhalten“ und muss mit der Gelben Karte bestraft werden. Nun wird die Regel sogar noch verschärft. In Zukunft sollen die Schiedsrichter nach dem Willen des Fußball-Weltverbandes Fifa sogar schon dann die Gelbe Karte zeigen, „wenn ein Spieler sein Trikot über den Kopf gestreift oder mit dem Trikot bereits sein Gesicht verdeckt hat“. Nur, wann ist das der Fall? „Das Gesicht ist verdeckt, wenn die Augen bedeckt sind“, sagt Manfred Amerell, Mitglied des Schiedsrichterausschusses des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Gelb ist also künftig, wenn der Spieler nichts mehr sieht.

Bei Zuschauern und Spielern ruft das Entblößungsverbot Unverständnis hervor – kürzlich forderten die Grünen-Politikerinnen Evelin Schönhut-Keil und Margareta Wolf in einem Brief an den DFB: „Weg mit der Gelben Karte – her mit dem freiwilligen Zeigen freier Oberkörper.“ Auch die Schiedsrichter unterbrechen die Freude der Spieler ungern – ihnen bleibt aber keine Wahl. „Unter Umständen kann diese Regel unverhältnismäßig wirken“, sagt Amerell, „aber wir haben sie schließlich nicht ausgeheckt.“

Auch der Psychologe Christian Lüdke hält wenig von der Regel. Man unterscheide fünf Grundgefühle in der Psychologie: Trauer, Freude, Wut, Ärger und Orgasmus. „Die ersten vier werden beim Sport angesprochen“, sagt Lüdke. Wenn eines überwiege, zum Beispiel die Freude nach einem Tor, dann nehme es der Sportler in Kauf, Regeln zu verletzen. Vor allem, wenn sich ihm ihr Sinn nicht erschließe. „Im Unterschied zum Foulspiel schadet der Spieler doch niemandem, wenn er sein Trikot auszieht.“ Werden die Gefühle unterdrückt, glaubt Lüdke, könnte sich die Anspannung anders entladen: „Vielleicht foult er in der nächsten Situation seinen Gegenspieler.“

Ausgedacht hat sich die neue Regel die Fifa. Eine Begründung lautet, dass durch das Aus- und Anziehen der Kleidung Zeit verloren gehe. Doch das überzeugt Amerell nicht: „Diese Zeit kann man doch nachspielen lassen.“ Der DFB verweist dagegen auf kulturelle Unterschiede in den Mitgliedsländern der Fifa. „In islamischen Ländern gibt es in dieser Hinsicht Probleme“, sagt Volker Roth, Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses.

Das sieht der Islam-Experte Bassam Tibi ganz anders. „Eine solche religiöse Regel gibt es nicht. Im Koran steht nur, dass Frauen ihre Reize bedecken sollen, auf Männer trifft das nicht zu“, sagt der Professor der Uni Göttingen. Es gebe zwar Gegenden, in denen es kultureller Brauch sei, seinen Körper nicht zur Schau zu stellen, in Damaskus aber, wo Tibi aufgewachsen ist, „sind wir immer mit freiem Oberkörper am Strand herumgelaufen“. Den Europäern werde viel Unsinn über den Islam erzählt, „und die Leute glauben es, weil sie wenig über diese Religion wissen“, sagt Tibi.

Auch innerhalb der Mannschaft des SC Freiburg, in der Fußballer aus verschiedenen Kulturen spielen, ist das Ausziehen der Trikots kein Thema. „Ich hoffe nur, dass es bald einen Antrag geben wird, diese Regel wieder rückgängig zu machen“, sagt Trainer Volker Finke. Der Libanese Roda Antar sieht das ähnlich: „Es ist doch das Normalste der Welt, über ein Tor zu jubeln. Ich bin Muslim und damit hat das überhaupt nichts zu tun“, sagt der Stürmer. „In diesem Moment gibt es nur Emotionen, da denkt man nicht an Regeln“, sagt auch Coulibaly. „Es muss doch erlaubt sein, seine Freude zu zeigen.“ Es gebe ja auch andere Situationen während des Spiels, in denen man das Trikot über den Kopf ziehe, etwa aus Ärger über eine vergebene Chance. In seiner Heimat Mali und in Ägypten, wo er gespielt hatte, bevor er nach Freiburg wechselte, wurden häufig Trikots zum Zeichen des Jubels ausgezogen. Die mehrheitlich islamischen Zuschauer haben sich nie beschwert: „Das hat niemanden interessiert.“

Steffen Hudemann[Berlin], Christoph Kieslich[F]

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