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Im Wartesaal für Olympia. Der New Yorker Bahnhof Grand Central war am Mittwoch eine Ringerbühne.

© AFP

Ungewöhnliche Allianz: USA, Iran und Russland ringen um Olympia

Ringer aus den USA, Iran und Russland kämpfen am alten New Yorker Prunkbahnhof Grand Central für die olympische Zukunft ihrer Sportart - und üben sich auf der Matte auch ein wenig in Diplomatie.

Taschenkontrolle, Metalldetektor, Spürhunde – die Sicherheitsvorkehrungen am alten New Yorker Prunkbahnhof Grand Central lassen fast vermuten, dass der Präsident der Vereinigten Staaten in der Nähe sein muss. Dem ist zwar nicht so, doch tatsächlich wird in der marmorschweren Vanderbilt Hall Diplomatie auf allerhöchstem Niveau betrieben. Aber nicht von Schlipsträgern aus Washington, sondern von jungen Männern in Stretch-Anzügen: Die Ringer der USA treten am Mittwochnachmittag gegen den Iran an, am Abend geht es gegen Russland.

Um den Sport zu bewerben, hat der Weltverband Fila den Mai zum „Internationalen Monat des Ringens“ ausgerufen. Der Höhepunkt ist der „Rumble on the Rails“, das Turnier der drei mächtigsten Nationen auf der globalen Matte. Erklärtes Ziel ist der Erhalt der Sportart bei den Olympischen Spielen – schöner Nebeneffekt: der freundschaftliche Austausch dreier Nationen, die auch außerhalb der Sporthalle ständig im Clinch liegen.

Russland hat gerade erst einen amerikanischen Botschaftsmitarbeiter verhaftet und als Spion vorgeführt. Und durch Iran läuft die „Achse des Bösen“, jedenfalls hat das der damalige Präsident George W. Bush vor zehn Jahren in seiner Rede zur Lage der Nation postuliert. Politisch kommt man sich nicht näher, der Sport aber verbindet. Nicht zum ersten Mal übrigens: Unvergessen ist die „Ping-Pong- Diplomatie“ der frühen Siebzigerjahre, als sich Amerika und China mit Hilfe ihrer Tischtennis-Teams näher kamen.

Von der Platte auf die Matte: Für die Ringer spielen die politischen Animositäten keine Rolle. „Es ist immer etwas Besonderes gegen das beste Team der Welt zu kämpfen“, sagt Kendrick Sanders, der in der Gewichtsklasse bis 66 Kilo auf Asker Orshokdugov traf. „Die Russen sind zur Zeit das beste Team, und ich freue mich auf meinen Kampf. Um Politik geht es hier nicht.“ Und Zeke Jones, der für die USA 1992 Olympiasilber holte und heute das Freistil-Team trainiert, sagt: „Für mich sind die Iraner Freunde. Ich treffe sie regelmäßig, bin bei denen zuhause zum Abendessen.“

Außerhalb des Sports sind die internationalen Beziehungen komplizierter. Nach der Revolution 1979 haben die Amerikaner den diplomatischen Kontakt zum Iran abgebrochen, es regiert Misstrauen und immer wieder gibt es Sanktionen gegen das Land. Zurzeit blockieren die USA die Ölgeschäfte Irans und haben das Land vom internationalen Finanzverkehr weitgehend abgeschnitten. Shahin Alizadeh lebt seit mehr als zwanzig Jahren in New York. Für ihn ist es wichtig, dass die Ringer aus seinem Land in Nordamerika als Botschafter für Völkerfreundschaft auftreten können. „Das ist ein großartiges Signal, auch wenn die Wirkung immer schnell nachlässt.“ Alizadeh hat das schon mehrfach erlebt, zuletzt bei einem Auftritt der iranischen Fußballer in den USA. In der Vanderbilt Hall sitzt er in einem enthusiastischen iranischen Fanblock, der mit Flaggen und Tröten angerückt ist und am Nachmittag einen klaren 6:1-Sieg über die USA feiern kann. Die Gastgeber gewinnen später ebenso deutlich gegen Russland und verlassen Grand Central mit ausgeglichener Bilanz.

Dass sich US-Amerikaner, Iraner und Russen so gut verstehen, liegt nur zum Teil an ihrer Liebe zum Sport. Zudem hat man derzeit mit dem IOC einen gemeinsamen Gegner. Die Olympiabosse haben im Februar beschlossen, Ringen nach dem Spielen in Rio de Janeiro aus dem Programm zu nehmen – das Interesse sei gering, die Einschaltquoten schwach. Aller historischen Tradition zum Trotz stehen die Ringer plötzlich auf einer Liste von Randsportarten, deren Zukunft unter den fünf Ringen in den nächsten Monaten beschlossen werden soll. Um nach 2016 noch dabei zu sein, muss man sich jetzt in einer PR-Schlacht gegen Baseball, Wakeboarding, Sportklettern und die chinesische Kampfsportart Wushu durchsetzen.

„Dass Ringen nicht mehr olympisch sein soll, ist ein Skandal“ ärgert sich Willie Saylor, der in den Neunzigerjahren selbst erfolgreich auf der Matte stand und heute zu den angesehensten Journalisten im amerikanischen Ringen gehört. Man habe doch bereits die Regeln geändert, die Gewichtsklassen vereinfacht, mehr Frauen aufgenommen. Saylor geht es auch um die Tradition des Sports, der immerhin schon in der Antike olympisch war. „Es kann nicht immer nur um die Einschaltquoten gehen.“ Er hat noch Hoffnung, dass das IOC seine Meinung ändert, und auch Bruce Baumgartner ist optimistisch. Der mit zweimal Olympia- Gold, einmal Silber, einmal Bronze und drei WM-Titeln erfolgreichste amerikanische Ringer aller Zeiten sitzt in der Vanderbilt Hall in der zweiten Reihe und freut sich über die großartige Stimmung beim Schaukampf. „Professionelles Ringen gibt es 177 Ländern, und Sportler aus 29 Nationen haben in London Medaillen geholt“, sagt Baumgartner. „Kaum ein Sport ist breiter aufgestellt, und kaum ein Sport hat eine größere Tradition und Geschichte. Ich bin sicher, dass wir auch in Zukunft bei den Olympischen Spielen antreten werden.“

Und so ist klar, worum es in der Vanderbilt Hall wirklich geht: Aus sportlicher Sicht sind die Kämpfe in New York unbedeutend. Aber die Ringer hoffen, dass ihre Botschaft beim IOC ankommt: Eine Sportart, die US-Amerikaner, Russen und Iraner in Freundschaft zusammenbringt, die muss ihren Platz bei der Olympia haben.

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