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Union gegen St. Pauli: Mit dem Bollerwagen zum Spiel

Der 1. FC Union empfängt heute Abend den FC St. Pauli. Bereits vor 65 Jahren trafen sich die Vereine im Viertelfinale um die erste deutsche Fußball-Meisterschaft nach dem Krieg – trotz Berlin-Blockade. Ein Blick zurück.

Wenn am Freitag der FC St. Pauli beim 1. FC Union in der Alten Försterei (18 Uhr) antritt, weht ein Hauch längst vergessener Fußballgeschichte durchs Stadion. Eines der ersten Duelle der beiden Mannschaften fand 1948 statt, es war ein denkwürdiges Spiel im Berliner Olympiastadion zwischen dem Mutterverein des 1. FC Union, der SG Oberschöneweide, und dem FC St. Pauli. Und wegen der großen Politik wäre das Spiel fast ausgefallen.

Die SG Oberschöneweide war das Überraschungsteam der Berliner Meisterschaftssaison 1947/48. Kommunale Sportgruppe (SG) war die politisch korrekte Bezeichnung für die Mannschaft aus dem sowjetischen Sektor Berlins. Wie alle Berliner Vereine hatte sie ihren Vereinsnamen Union Oberschöneweide auf Anordnung der Besatzungsmächte ablegen müssen. Sportlich lief in dieser Saison alles bestens. Der Aufsteiger hatte seinen überraschenden Pokalsieg vom Vorjahr wiederholt. Der Höhepunkt für das junge Team von der Wuhlheide war jedoch der Gewinn der Berliner Meisterschaft.

Mit Wustwaren wurden Nationalspieler kurz nach dem Krieg zum FC St. Pauli gelockt

St. Pauli eilte der Ruf einer „Wundermannschaft“ voraus: Der Hamburger Nationalspieler Karl Miller hatte mit Wurstwaren aus der väterlichen Schlachterei und guten Kontakten einige Spieler ehemaliger Meistermannschaften gewinnen können. Wurst war eine begehrte Währung in der Nachkriegszeit. Zu den Stars am Millerntor zählten die Meisterspieler des Dresdner SC Heinz Hempel und Walter Dzur sowie der Berliner Hans Appel, der 1931 mit Hertha BSC Deutscher Meister geworden war. 1947 wurde St. Pauli Hamburger Meister und 1948 Norddeutscher Vizemeister. Mit ihren Erfolgen waren St. Pauli und Oberschöneweide für die erste Endrunde um die deutsche Meisterschaft nach dem Krieg qualifiziert.

Die Meisterrunde war jedoch nicht einfach zu organisieren im geteilten Deutschland. Die Ost-West-Konflikte in der Besatzungspolitik nahmen auf den Fußball keine Rücksicht. Aus jeder der vier Besatzungszonen sollten zwei Mannschaften im Juli 1948 um den deutschen Meistertitel spielen. Berlins Meister Oberschöneweide sollte auf den Zweiten der britischen Zone, den FC St. Pauli, treffen.

In himmelblauen Seidenhemden wollte Union den Favoriten bezwingen

Im Sommer 1948 verschärften sich jedoch die Spannungen zwischen der Sowjetischen Militäradministration und den West-Alliierten. Die drei Westmächte bauten ihre Besatzungszonen ohne Rücksicht auf die sowjetische Zone wirtschaftlich auf. Außerdem bereiteten die Westmächte die Währungsreform vor. Am 24. Juni 1948 verfügten die Sowjets eine Blockade aller Land- und Wasserwege zu den Westsektoren Berlins. Amerikaner und Briten versorgten West-Berlin über eine Luftbrücke. Die geplante Begegnung zwischen Oberschöneweide und dem FC St. Pauli im Olympiastadion drohte zu platzen. Als erste Reaktion auf die Währungsreform wetterte das ostdeutsche „Sport- Echo“: „Deutsche Fußballmeisterschaft nicht möglich. Wir sind füreinander Ausland geworden. Es sind Devisen notwendig geworden, wenn ein Deutscher zum anderen fahren will.“

An der Zonengrenze mussten die Spieler ihre Koffer auf Bollerwagen verladen

Der ehemalige DFB-Funktionär Carl Koppehel, der Berlin bei den Verhandlungen um den Modus für diese deutsche Meisterschaft vertrat, griff in dieser verzwickten Lage zum Telefonhörer, um den Kontakt zum FC St. Pauli direkt herzustellen und Lösungen für eine Anreise des Hamburger Vereins nach Berlin zu suchen. Der Kontakt blieb nicht erfolglos.

Trotz bestehender Blockade genehmigte die Sowjetische Militäradministration überraschend kurzfristig die Einreise nach Berlin. Sie wurde allerdings ziemlich mühselig. Die sowjetische Kommandantur hatte die Erlaubnis zu einem Kraftwagentransport gegeben, mit dem die Hamburger von der Zonengrenze nach Berlin gebracht wurden. An der Zonengrenze mussten die Spieler ihre Koffer auf Bollerwagen verladen, um einige Meter zu Fuß durch das Niemandsland zu gelangen.

Nie wieder kamen Union und St. Pauli dem Gewinn der Meisterschaft so nahe

Die früheren Unioner hatten sich für das Spiel herausgeputzt. In neuen himmelblauen Seidenhemden wollten sie die Favoriten aus Hamburg bezwingen. Doch daraus wurde nichts. Vor 70 000 Zuschauern siegte der Gast 7:0. Das „Sport-Echo“ titelte: „Das Lehrstück des FC St. Pauli“. Die Hamburger waren technisch und konditionell überlegen. Als ebenbürtig erwies sich bei den Berlinern allein Union-Urgestein Herbert Raddatz.

Der FC St. Pauli stieg mit diesem Sieg in den Kreis der Titelanwärter auf. Im Halbfinale unterlag er jedoch dem späteren Deutschen Meister 1. FC Nürnberg. Nie wieder sollten St. Pauli und Union Oberschöneweide der Meisterschaft so nahe kommen wie in jenem Sommer 1948.

Die Autoren leiten das Zentrum deutsche Sportgeschichte.

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