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Michael Parensen, 33, ist Unions Spieler mit den meisten Einsätzen in der Zweiten Liga. Im Januar 2009 war er zum damaligen Drittligisten gewechselt.

© Reuters

Union-Verteidiger Michael Parensen: „Der wahre Gegenpol ist nicht Union – sondern die Basis“

Unions Abwehrspieler spricht über den Fan-Protest zum Auftakt gegen RB Leipzig, die Überhöhung von Fußballern und die Konkurrenz zu Hertha BSC.

Von David Joram

Herr Parensen, zum ersten Bundesligaspiel von Union am Sonntag gegen RB Leipzig wird zu Beginn ein 15-minütiger Stimmungsboykott von den Rängen erwartet. Wie groß ist die Macht der Fans?
Aktives Mitwirken und sich Gedanken machen sind ein gutes Zeichen einer gesunden Vereinskultur. Es geht darum, den Verein zu leben und sich auszutauschen. Die Fans sagen, dass sie den Protest gegen Leipzig durch den Stimmungsboykott ausdrücken möchten. Das ist ihr gutes Recht und keine Machtfrage.

Torwart Rafal Gikiewicz hat zuletzt geäußert, der Boykott sei nicht gut für die Spieler. Wie stehen Sie zu der Aktion?
Ich habe mir vorgenommen, darüber nicht mehr zu reden.

Warum nicht?
Wir sind Sportler, also geht es für uns darum, diese Aufgabe sportlich zu lösen und ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen. Alles andere sind Sachen, die uns zwar betreffen, die wir aber nicht zu wichtig nehmen sollten.

In der Mannschaft ist der Protest offensichtlich ein Thema. Das wird ja diskutiert.
Jeder darf sich dazu äußern, absolut. Nur ist für mich tatsächlich das Entscheidende – so haben wir das auch besprochen –, dass es ab jetzt – egal welche Meinung man dazu auch hat – erledigt ist. Wir schalten das nun aus, weil wir im Endeffekt dafür verantwortlich sind, dass am Sonntag die Punkte bei uns bleiben. Alles andere darf keine Rolle spielen.

Ihr Mannschaftskollege Neven Subotic hat sich mit den Fans solidarisiert. Präsident Dirk Zingler hat ebenfalls bekräftigt, dass der Verein hinter den Fans stehe.
Es gibt so viele Aktionen, die die Fans des 1. FC Union schon gestartet haben; ob die Aktion nötig ist, weiß ich nicht. Es ist hinlänglich bekannt, dass wir hier eine besondere Art von Fußball leben. Natürlich muss das immer wieder bestätigt werden, das tun die Fans auch. Aber am Ende sind wir Fußballer, die Fußball spielen müssen.

Sie haben kein Verständnis für die Fans?
Ich habe für viele Sachen Verständnis, ich bin aber nicht dafür verantwortlich, Verständnis für irgendjemanden zu haben. Ich bin dafür verantwortlich, im Verein gute Leistungen zu bringen.

Sie sind im Union-Stiftungsrat und seit über zehn Jahren im Klub. Wie betrachten Sie den Protest durch die Vereinsbrille?
Die Interessen des Vereins und meine überschneiden sich in sehr, sehr vielen Bereichen.

Also auch was Leipzig betrifft?
Gegen Leipzig geht es für mich rein ums Sportliche.

Wie lässt es sich erklären, dass RB Leipzig zehn Jahre nach der Gründung immer noch eine so starke Reibungsfläche darstellt?
So etwas wie RB gab es in Deutschland in dieser Form bis dahin einfach nicht. Ich glaube, alles was neu ist, was anders ist, ruft erst einmal verschiedene Gefühle hervor. Angst, Beklemmung, Komisch-sein. Und so lange RB kein Normalfall ist, wird es immer Menschen geben, die sich daran reiben. Das ist ganz normal. Und das ist ja auch gut. Jeder hat ein anderes Verständnis davon, wie Vereinskultur gelebt wird, wie Fußball gelebt wird. Es gibt eben Menschen, die einfach sagen: das ist nichts für uns, wir möchten Fußball und Verein anders leben.

Glauben Sie, die Anti-Haltung wird sich in zehn, 20 Jahren erledigt haben?
Das wäre jetzt ein Blick in die Glaskugel. Kommt auch ein bisschen drauf an, in welche Richtung der Fußball allgemein steuert. Wenn es nur darum geht, Gewinne zu maximieren, die Vereine immer größer werden zu lassen, dann wird sich die Leipzig-Geschichte bestimmt legen. Wenn es aber eine Umkehr gibt, ein Umdenken, und man dann doch nochmal nachfragt, wofür Fußballvereine oder Vereine im Allgemeinen stehen, dann kann es auch durchaus sein, dass RB in 15 Jahren immer noch ein Streitthema sein wird.

Sind das die beiden Pole unserer Fußballzeit: Teams wie RB Leipzig auf der einen Seite. Und auf der anderen Klubs wie Union, die den Fußball noch möglichst eng mit der Gesellschaft verknüpfen wollen?
Grob beschrieben ist da was dran. Aber ich sage auch: Jede Mannschaft – Union eingeschlossen –, die im Profifußball mitwirkt, kann nicht als der ganz große Gegenpol gelten. Dafür sind wir schon viel zu sehr im System drin und davon auch abhängig. Sonst könnten wir keine Bundesliga spielen. Der wahre Gegenpol sind die wirklich kleinen Vereine, die Basis, wo ehrenamtlich gearbeitet wird, wo Kinder hingehen und beim Fußballspielen das erste Mal Gemeinschaft erfahren. Als Union können wir nicht sagen, dass wir das absolute Gegenbeispiel sind. Das ist faktisch einfach nicht so, sonst könnten wir keinen Profifußball spielen.

Sind Protestaktionen wie gegen RB also auch ein bisschen heuchlerisch?
Nein, überhaupt nicht. Bei dieser Aktion vertreten viele Menschen ihre Meinung – und das ist absolut in Ordnung.

Haben Sie das Gefühl, dass die Mehrheit der Union-Fans hinter der Aktion steht oder es eher um Interessen diverser Ultra-Gruppierungen geht?
Das weiß ich nicht, das wird man dann am Sonntag sehen.

Es gab einen Dialog mit den Fan-Initiatoren, an dem Sie auch teilnahmen. Wie darf man sich das vorstellen? [Anm. d. Red.: In der ursprünglichen Version lautete die Frage: "In der Union-Kneipe "Abseitsfalle" gab es einen Dialog mit den Fan-Initiatoren, an dem Sie auch teilnahmen. Wie darf man sich das vorstellen?". Der Autor hatte die "Abseitsfalle" lediglich als Beispiel genannt. Wo das Treffen tatsächlich stattfand, ist der Redaktion nicht bekannt.]
Man redet über die Themen und Dinge, bei denen zwei unterschiedliche Sichtweisen aufeinandertreffen. Als Spieler, als Profis, sind wir am sportlichen Erfolg interessiert, am sportlichen Weiterkommen. Die Unterstützung von den Rängen hilft da enorm. Aber die Fans haben eben noch weitere Ansichten, was ganz normal ist. Und dann tauscht man sich aus und findet im Optimalfall eine Lösung – und manchmal halt nicht, wenn es Themen gibt, bei denen das nicht möglich ist.

Wie in diesem Fall? Oder konnten Sie erreichen, dass statt 15 nur zehn Minuten geschwiegen wird?
Wir führen keine Verhandlungen, das wäre ja völliger Quatsch. Es geht darum, sich auszutauschen, zu fragen, was wir machen können, was wir gut und was wir nicht gut finden. Am Ende können wir nicht beeinflussen, ob jemand uns anfeuert oder nicht.

Das heißt, die Mannschaft teilt dann schon mit, dass ihr der Protest nicht passt – zumal ausgerechnet im ersten Bundesligaspiel und gegen einen so starken Gegner?
Es gibt ja ein Statement unseres Torwarts, das Sie gerade schon erwähnt haben.

Und es gibt das Statement von Subotic.
Wie gesagt: Bei diesem Thema eine einheitliche Meinung zu vertreten, ist nicht möglich. Das sehen wir jetzt gerade.

2015, bei Unions letztem Heimspiel gegen RB, gab es auch Proteste. Welche Erinnerungen haben Sie noch an das Duell?
(Lacht) Ich habe ein Eigentor gemacht!

Was haben Sie sonst noch im Kopf?
Das Spiel lief relativ gut für uns. Wir gingen sogar in Führung, Leipzig glich durch mein abgefälschtes Ding aus. Das war damals eines unserer besseren Spiele zum Saisonstart, der sonst eher schlecht verlief. Trainer Norbert Düwel wurde nach diesem Leipzig-Spiel entlassen.

"Es funktioniert nicht, immer klare Statements und Positionen zu verlangen"

Sprachrohr. Parensen sitzt beim 1. FC Union auch im Mannschaftsrat.
Sprachrohr. Parensen sitzt beim 1. FC Union auch im Mannschaftsrat.

© Christophe Gateau/dpa

Herr Parensen, das Fußballgeschäft frisst immer mehr Geld. Inwiefern taugt eine dermaßen durchkommerzialisierte Sportart noch als gesellschaftliches Korrektiv?
Der Amateurbereich kann das noch leisten, der Profifußball nur noch bedingt. Nur auf den Rängen kann man sich vielleicht noch ein Bild der Gesellschaft machen. Aber Fußballspiele an sich in der Ersten oder Zweiten Liga oder auf internationaler Ebene sind nicht mehr Maßstab für gesellschaftliche Entwicklungen.

Andererseits werden Gesellschaftsthemen – nehmen wir die rassistischen Äußerungen des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies – im Fußball mit einem besonders großen Bohei begleitet.
Das hat mit einer gesteigerten Öffentlichkeit zu tun. Die Exponiertheit, die Fußballer mittlerweile haben, bringt es mit sich, dass jede Äußerung innerhalb von Sekunden vervielfacht wird und unheimlich an Gewicht gewinnt. Das wirkt dann sehr stark nach.

Sie stecken mitten in diesem System: Ist es gerechtfertigt, dass sich Fußballer, nur weil sie Fußballer sind, zu gesellschaftlichen Themen äußern sollen?
Wenn es nach mir ginge, sind wir Fußballer einfach Sportler und sollten uns deshalb zu unserem Sport äußern. Die Überhöhung der Fußballer bringt es mit sich, dass von uns Statements eingefordert werden. Man will alles von diesen Menschen wissen, auch, wo sie politisch stehen. Gerechtfertigt ist das nicht. Am Ende sind wir Fußballer, weil wir besonders gut gegen den Ball treten können. Und nicht, weil wir uns besonders gut zu gesellschaftlichen Themen äußern können. Deswegen finde ich es ab und zu einfach vermessen, Fußballern zuzuschreiben, dass sie sich positionieren sollten.

Andererseits ist der Fußball ja so groß, weil er so eine Massenwirkung hat – und damit eine hohe Verantwortung. Müssten die Klubs die Spieler dafür etwas stärker sensibilisieren?
Das ist schwierig. Es gibt so viele Charaktere in einem Team, die so verschieden sozialisiert worden sind – wo kommen wir denn da hin? Man kann ja nicht jedem die Haltung vorgeben, sagen wir mal beim Thema Flüchtlingskrise.

Freiburgs Trainer Christian Streich vermittelt solche Themen seiner Mannschaft.
Das ist ja grundsätzlich richtig, weil es darum geht, sich auch menschlich weiterzuentwickeln. Fußballer sind meist jüngere Menschen, die noch relativ viel vom Leben vor sich haben. Vermittlung finde ich entsprechend gut. Nur: Sich hinzustellen und Vorwürfe zu erheben, warum ein Fußballer zu Themen keine Meinung hat oder sich nicht äußert, das finde ich vermessen. Es funktioniert nicht, immer klare Statements und Positionen zu verlangen.

Herr Parensen, Union ist zuletzt auf rund 30.000 Mitglieder angewachsen. Freuen Sie sich schon, bald beim größten Berliner Verein Fußball zu spielen?
Wie viele Mitglieder hat Hertha nochmal?

Aktuell knapp über 36.000.
Wenn man unsere Wachstumszahlen bei den Mitgliedern zugrunde legt, werden wir bald die Nummer eins sein. Schöner wäre es natürlich, wenn wir auch sportlich über einen längeren Zeitraum mit Hertha rivalisieren könnten.

Union bleibt also erst mal Herausforderer?
Es wäre vermessen zu sagen, wir sind mit Hertha auf einer Stufe. Hertha spielt dauerhaft Bundesliga und schnuppert hin und wieder am europäischen Wettbewerb. Wir haben noch einiges aufzuholen. Unser Ziel muss sein, mal in die Regionen zu kommen, in denen wir Hertha Konkurrenz machen können.

Hat man denn bei Union den Eindruck, dass es bei dem einen Verein eher nach oben geht, während der andere stagniert?
Bei Union war die Entwicklung die letzten Jahre immer positiv. Es wird aber eine Zeit kommen, in der manches stocken kann. Das Stadion ist nun mal nur so groß wie es eben groß ist. Wirtschaftlich stößt man wahrscheinlich auch an Grenzen, die es schwierig machen, Jahr für Jahr nochmal einen draufzupacken. Hertha hat eine andere Ausgangslage und andere Probleme als wir. Sie spielen seit dem Aufstieg 2013 immer eine gute Rolle in der Bundesliga und haben viele gute Spieler entwickelt. Dass man das Stagnation nennt, finde ich ehrlich gesagt vermessen.

Zumindest wird das in der Stadt hier und da so gesehen.
Ich sehe das nicht so. Was stimmt: Wir haben nun die Möglichkeit den Abstand zu verringern. Und daran arbeiten wir jetzt gerade.

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