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Sport: Unser aller Uwe

Große Karriere mit kleiner Statur, Fußballheld und trotzdem bescheiden – heute feiert Uwe Seeler in Hamburg seinen 70. Geburtstag

Immer dann, wenn sich seine Gesichtshaut mit einem zarten Rotschimmer verändert, immer dann weiß die Umwelt Bescheid: Achtung! Der Blutdruck ist gestiegen. Die Stimme wird lauter. Das Lachen greller. Uwe Seeler verlässt seine hanseatische Stimmungslage und läuft zur Höchstform auf. Das war schon früher so, als er weltweit für den Hamburger SV und für Deutschland das Spiel Fußball arbeitete, und das ist auch heute noch so. Ohne Lederball. Wenn Freunde und Familie ihn respektvoll bewundern, wenn in der Ecke einer Kneipe ein Akkordeonspieler „Junge, komm bald wieder“ erklingen lässt und er, dieser Mann des Sports, der seit dem 1. April 1946 Mitglied im Hamburger SV ist, den Freundeschor dirigieren kann, mit einem Glas Rotwein in der Hand. Wenn alle seinen Texten lauschen und der Uwe-Bariton alle und alles übertönt.

Für gestern Abend hatte Uwe sie alle wieder eingeladen, zum Reinfeiern in seinen 70. Geburtstag: seine Familie, eine Hand voll Freunde und die Truppe der „Schneeforscher Obertauern e. V.“. Der Ort der Feier liegt Luftlinie nur fünf Kilometer entfernt von seinem Lehrlingsplatz im Hamburger Hafen, wo er bei der Speditionsfirma Schier, Otten & Co. zum Kaufmann ausgebildet wurde. Der damalige Tagesablauf: um fünf Uhr raus aus dem Bett, Bus, S-Bahn, um sieben beginnt der Arbeitstag, Schiffspapiere an Bord bringen, Kilometer von Pier zu Pier, Regen von vorn, Wind von achtern, Spott vom Chef: „Nur die Harten kommen durch.“ Um zwölf Uhr Mittagspause, 15 Minuten, anschließend Post, Registratur und so weiter. 16 Uhr Bus, S-Bahn, diesmal zum Training, bis… Uwe lacht. „Bis ich alles konnte. Aber ich konnte nie alles.“

Die Hafenzeit hat ihn geprägt. Ebenso das Elternhaus, das in Wirklichkeit eine winzige Wohnung im Stadtteil Eppendorf war, Unterkunft für zeitweise sieben Personen. Die Wohnung war so klein, dass Mutter Anni, eine ehemalige Leistungsschwimmerin, den Kochtopf vom Herd fingern konnte, ohne aufzustehen. Vater Erwin, schon in jungen Jahren „Old Erwin“ gerufen, ein knüppelharter Fußballspieler, verbrachte mehr Freizeit im nahen HSV-Klubheim als in den eigenen vier Wänden. „Ein Seeler zuckt nicht, zieht nie zurück. Ein Seeler kämpft, bis Blut im Schuh steckt“, lautete das Ausbildungsprogramm von Erwin Seeler für die beiden Söhne Dieter und Uwe. Und „der Dicke“, wie man Uwe Seeler liebevoll auch heute noch nennt, hat nie gezuckt, nie aufgegeben. Weder privat noch auf dem Fußballplatz. Den Konkurrenten um die Hand seiner Ehefrau Ilka, seinen Freund Klaus Stürmer, bootete er aus. Mit einer Tafel Schokolade schickte er ihn zum heiß begehrten Fräulein Buck aus der Handball-Mannschaft. Und er, Klaus, solle sagen: „Das Süße kommt von Uwe. Der wartet unten vor der Tür und fragt, ob du mit uns losziehst.“ Sie zog und blieb. Seit 47 Jahren spielen die beiden jetzt Doppelpass, erfreuen sich an sieben Enkeln von ihren drei Töchtern. Ihr größtes Vergnügen ist: Ilka telefoniert die Familien ab. Wie geht es den Enkeln? Was macht die Katze? Was der Hamster? Der Wellensittich und der Hund?

Ich bin seit 43 Jahren der Weggefährte von Uwe Seeler, diesem außergewöhnlichen Menschen. Bei drei seiner vier Weltmeisterschaften habe ich ihn journalistisch begleitet. Ebenso bei vielen seiner 239 Bundesliga-Einsätze und den 72 Länderspielen. Ich habe alle Festakte erlebt, die man ihm bereitet hat: Ehrenbürger der Stadt Hamburg, Ehrenspielführer der Nationalelf, dreimal Fußballer des Jahres, die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Und immer wieder sprachen die Laudatoren von seinem Kampfgeist, von seiner Fairness, vom Star ohne Starallüren.

Seit gestern ist Uwe Seeler 70 Jahre alt. Oder 70 Jahre jung? Ich habe ihn gefragt. Und er hat gesagt: „Ob man alt ist oder sich jung fühlt – das bestimmt jeder für sich. Ich fühle mich als junger Siebziger. Das Älterwerden kann ich eh nicht aufhalten. Ich bin für jeden Tag, den mir der liebe Gott schenkt, sehr, sehr dankbar.“ Ich auch.

Der Autor Roman Köster hat gemeinsam mit Uwe Seeler dessen Autobiografie „Danke, Fußball. Mein Leben“ verfasst. Sie ist 2003 im Rowohlt-Verlag erschienen.

Roman Köster

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