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Pal Dardai weiß, wovon er spricht.

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Update

Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: Der Dardai, der Dardai, der hat immer Recht

Hertha BSC auf dem Weg in die Champions League. Außerdem: Schalke 04 sucht Konstanz, Wolfsburg bestraft Max Kruse, und Hannover 96 taumelt dem Abstieg entgegen.

16.00 Uhr - Hertha BSC: Wie die Champions. Habe gestern mal das Lied der Partei von Louis Fürnberg (Die Partei, die Partei...) mit einem zeitgenössischen Text versehen: Der Dardai, der Dardai, der hat immer Recht...
Vor der Saison hat man Pal Dardai ja eher für einen begabten Humoristen gehalten als für einen seriösen Fußballtrainer. Guter Witz, für Hertha BSC das Erreichen des Pokalfinales als Ziel auszugeben. Ein Brüller auch seine Prognose, dass Hertha, wenn alles nach seinem Plan laufe, zehn Punkte mehr holen werde als in der vergangenen Saison. Jetzt, acht Spiele vor dem Ende der Saison, kann man konstatieren, dass bei Hertha vermutlich nicht alles nach Plan laufen wird. Die Berliner haben schon jetzt zehn Punkte mehr als nach der kompletten Vorsaison, und es wäre schon eine ziemliche Überraschung, wenn in den nächsten acht Begegnungen nicht noch der eine oder andere hinzukommen würde. Hertha spielt immerhin noch gegen Hannover 96.
Mag sein, dass mancher die Berliner im Kampf um die Champions-League-Plätze bisher noch nicht richtig auf dem Schirm gehabt hat, dass viele gedacht haben, dem Fastabsteiger der Vorsaison werde schon noch die Puste ausgehen – mit dem überzeugenden Sieg gegen Schalke am Wochenende hat sich die Wahrnehmung komplett verändert. „Wie die Champions“ hat der „Kicker“ die Berliner am Freitagabend erlebt, „wach, entschlossen, passsicher, zweikampfstark, dominant, kreativ“. Das hat auch die direkte Konkurrenz inzwischen vernommen. In dem schon weiter unten zitierten „Königsblog“ heißt es fast ein bisschen sehnsüchtig: „Die Hertha ist vollkommen klar in ihrem Tun, hat eine für sich passenden Spielstil entwickelt, auf den sich tatsächlich aufbauen lässt.“ Im Unterschied zu den Schalkern.

Der FC Schalke 04 sucht die Konstanz

14.50 Uhr - Auf und nieder immer wieder. Ralf Fährmann, der Torhüter vom FC Schalke 04, ist eine stattliche Erscheinung mit einer klaren Meinung; dank seiner starken Leistungen haben seine Äußerungen inzwischen auch ein stattliches Gewicht. Gerade wenn es mal wieder nicht so gut läuft für sein Team. Fährmann stand also auch am Freitagabend ausdauernd Rede und Antwort, nachdem die Schalker das sogenannte Spiel um Platz drei in der Fußball-Bundesliga gegen Hertha BSC mit 0:2 verloren hatten. Warum es bei Schalke immer auf und ab gehe, wollte ein Journalist wissen. „Das ist kein Auf und Ab und auch kein Abfall oder so“, antwortete Fährmann.

Köpfe runter. Scheint, als suchten die Schalker Spieler auf dem neuen Rasen des Olympiastadions die Konstanz.
Köpfe runter. Scheint, als suchten die Schalker Spieler auf dem neuen Rasen des Olympiastadions die Konstanz.

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Eine gewisse Überspanntheit gehört bei Schalke einfach dazu. Jeder Sieg ist ein Triumph, jede Niederlage eine Krise. Dass die öffentliche Wahrnehmung zwischen den Extremen schwankt, liegt aber auch daran, dass die Leistungen der Mannschaft in dieser Saison zwischen den Extremen schwanken. „Auf zwei Schritte nach vorne folgt fast immer ein Schritt zurück: Es bleibt dabei, dass Schalke 04 keine Konstanz in seine Leistungen bekommt“, schreibt die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ in ihrer heutigen Ausgabe. „Nachdem in der Hinrunde schwankende Leistungen zumeist noch mit dem Verweis auf den Umbruch toleriert wurden, löst mittlerweile jede Niederlage grundsätzliche Debatten aus. Liegt es an der Mentalität der Mannschaft oder an ihrer Qualität? Ist Horst Heldt dafür der Alleinverantwortliche und Christian Heidel der Mann, der durch sein Erscheinen Wunder bewirken wird? Oder ist der Trainer überhaupt der Richtige? Schalke ist momentan kein einfacher Fußball-Standort.“

Im Kampf um die wertvollen Europapokalplätze stehen die Schalker mit ihrem Wankelmut allerdings nicht alleine da. Keiner der sechs Anwärter hinter Borussia Dortmund hat die vergangenen beiden Spiele gewonnen. Wenn man mal einen Blick auf die Rückrundentabelle wirft, fällt auf, dass sich alle Teams auf einem ähnlichen Niveau bewegen: Sie haben seit dem Winter zwischen elf (Wolfsburg) und sechzehn Punkte (Mainz) geholt. Die Wolfsburger, nach fünf Siegen aus den jüngsten sieben Pflichtspielen vermeintlich im Auftrieb, verloren am Samstag 0:1 beim Vorletzten Hoffenheim. Leverkusen mühte sich nach nur einem Punkt aus vier Spielen zu einem 1:0 gegen den HSV, und bei Borussia Mönchengladbach besteht eine auffällige Diskrepanz zwischen den Auftritten im eigenen Stadion und denen auf fremden Plätzen. Auswärts haben die Gladbacher zuletzt Ende Oktober gewonnen. Vier der jüngsten fünf Auswärtsspiele haben sie verloren. Zu Hause holten sie hingegen aus den letzten vier Begegnungen zwölf Punkte bei 13:1 Toren.

Am Freitag müssen die Gladbacher nun in Schalke antreten – was vor allem alle Anhänger von Hertha BSC freuen dürfte, die dank Schalker Unzulänglichkeiten schon am Freitag jede Menge Grund zur Freude gehabt hatten. Schalkes Torwart Fährmann beharrte nach dem Spiel darauf, dass die Berliner nur deshalb gewonnen hätten, weil die Schalker ihre vielen Chancen nicht genutzt hätten. Viele Chancen? Diese Einschätzung hatte Fährmann ziemlich exklusiv. Im Schalke-Blog „Königsblog“ heißt es dazu treffend, dass es Mode sei, „bei öffentlichen Statements mit Umständen zu hadern und alles irgendwie bemüht positiv zu sehen“. Und weiter: „Schalke liefert jede Woche unterschiedliche Leistungen ab, häufig genug auch unterschiedliche Herangehensweisen. Auf Schalke passt die Spielausrichtung keineswegs immer zu den Stärken der Protagonisten.“

Schalkes Trainer André Breitenreiter hatte zuletzt in einem Interview mit der „Sportbild“ gesagt: „Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit in der Bewertung meiner Arbeit.“ Die Bewertung seiner Arbeit kann vor allem nach der zweiten Halbzeit in Berlin allerdings nicht allzu positiv ausfallen. Nach dem 0:2 wechselte Breitenreiter sämtliche verfügbaren Offensivkräfte ein, um dem Spiel noch eine Wende zu geben. Es führte zu etlichen Torchancen – für Hertha. Die Idee „Viele Stürmer gleich viele Chancen“ ist ziemlich achtziger. Die Bälle kamen mangels Spielern im Mittelfeld nämlich gar nicht mehr dahin, wo Offensivspieler sie brauchen, und die Berliner dank Breitenreiters „Harakiri-Taktik“ („WAZ“) nicht mehr in Bedrängnis.

You'll never walk alone. Stilles Gedenken für den BVB-Fan, der am Sonntag im Stadion verstorben ist.
You'll never walk alone. Stilles Gedenken für den BVB-Fan, der am Sonntag im Stadion verstorben ist.

© REUTERS

12.50 Uhr - „Große intensive Momente". Warum gehen die Menschen zum Fußball? Man könnte diese Frage - wie so viele - mit Sepp Herberger beantworten: Weil man nicht weiß, wie es ausgehen wird. Aber das stimmt nicht. Allein der Spannung wegen muss man nicht ins Stadion. Die hat man auch zu Hause am Radio, in der Kneipe bei der Sky-Konferenz oder vorm Videotext. Ins Stadion geht man, um Teil einer gleichgesinnten Masse zu sein, für das Gemeinschaftserlebnis. Im Stadion kann man zusammen feiern, zusammen leiden - und, wie das vergangenen Wochenende in der Fußball-Bundesliga gezeigt hat, auch gemeinsam trauern.

Zuerst haben am Samstag die Darmstädter und Augsburger des Darmstädter Fans Johnny Heimes gedacht, der wenige Tage zuvor mit gerade 26 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung verstorben war. Ohne Johnny würden die Darmstädter aktuell vermutlich nicht in der Fußball-Bundesliga spielen. Er hat den Profis vorgelebt, dass es sich lohnt, auch aussichtslose Kämpfe zumindest zu kämpfen. Heimes hat seinen Kampf gegen den Krebs verloren, aber weil sich alle Darmstädter an ihn erinnern werden, war dieser Kampf nicht vergebens. Entsprechend emotional war es am Samstag während der Schweigeminute vor dem Bundesligaspiel der Darmstädter gegen Augsburg,

Wer einmal in einem Stadion eine solche Schweigeminute miterlebt hat, weiß, dass es jedes Mal aufs Neue ein Glücksspiel ist, ob es auch der letzte Schwachmat schafft, lächerliche sechzig Sekunden einfach mal die Klappe zu halten - oder sich nicht doch berufen fühlt, sich durch einen Wortbeitrag in den Vordergrund zu spielen. Angesichts dieser Erfahrungen ist es umso bemerkenswerter, was sich am Sonntag in Dortmund ereignet hat. Während des Spiels verbreitete sich auf den Rängen die Nachricht, dass ein Dortmunder Fan im Stadion verstorben war. Die Ultras rollten ihre Fahnen ein, holten die Banner vom Zaun - und schwiegen fortan. „Wie die 81.000 Stadion-Besucher auf die schreckliche Nachricht reagieren, ist einmalig und beweist auch, warum Borussia Dortmund weltweit beneidet wird“, schreibt „Focus online“.

Den Ultras wird oft vorgeworfen, dass sie sich für wichtiger nehmen als das Spiel selbst. Am Sonntag in Dortmund haben sie (gemeinsam übrigens mit den Anhängern aus Mainz) bewiesen, dass dies nicht so ist. Das Spiel ist wichtiger als die Ultras - und das Leben ist wichtiger als das Spiel.

„Ich muss sagen, was die Fans da zum Ausdruck gebracht haben und wie sie es zum Ausdruck gemacht haben, wie sie die Würde eines Menschen und den Respekt und die Trauer zelebriert haben, habe ich so noch nicht erlebt, das ist beispielhaft“, sagte Dortmunds Präsident Reinhard Rauball.

Bei „Zeit online“ heißt es zu den Ereignissen in Darmstadt und Dortmund: „Wieder einmal geriet der Fußball zur Parabel des Lebens. Große, intensive Momente, wenn es mehr als 100.000 Menschen schaffen, würdevolle Menschlichkeit vorzuleben.“

„11Freunde“ schreibt: „Ob Darmstädter, Augsburger, Dortmunder oder Mainzer: An diesem Wochenende zeigten Fußballfans mal wieder, dass sie nicht die brandschatzenden Radaubrüder sind, zu denen sie nur zu gerne von Polizei und Politik gemacht werden, sondern dass die meisten unter ihnen normale Menschen sind, die wissen, dass ihr Verein das Größte, aber nicht das Wichtigste ist. Daran sollten wir uns alle erinnern, wenn wieder versucht werden sollte, jene Fans an den Pranger zu stellen oder ihre Rechte mit den absurdesten Begründungen und Methoden zu beschneiden. Denn ohne sie ist Fußball zwar weiter ein Spiel, aber ein leider ein ziemlich graues.“

Wo habe ich nur meinen Kopf gelassen. Max Kruse war zuletzt ein wenig vergesslich.
Wo habe ich nur meinen Kopf gelassen. Max Kruse war zuletzt ein wenig vergesslich.

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Hat Wolfsburgs Max Kruse in einem Berliner Taxi seine EM-Teilnahme verspielt

11.50 Uhr - Am freien Tag bleibt das Telefon aus. Kurzer Nachtrag zum Thema „Schusseliger Profi“. Elias Kachunga vom FC Ingolstadt, früher auch mal kurzzeitig bei Hertha BSC unter Vertrag, hätte am Samstag eigentlich im Kader für das Spiel gegen den VfB Stuttgart stehen sollen. Also zunächst eigentlich nicht, aber weil Lukas Hinterseer wegen eines Magen-Darm-Infekts kurzfristig ausgefallen war, sollte Kachunga ebenfalls kurzfristig nachnominiert werden. Doch der Stürmer hatte das getan, was man an einem freien Tag schon mal macht: sein Handy ausgeschaltet. Nachdem er ausgeschlafen und ausgiebig gefrühstückt hatte (das ist jetzt nur eine Vermutung), rief Kachunga bei seinen Vorgesetzten zurück, aber da hatten sich die schon anderweitig beholfen, mit einem Spieler aus der Regionalliga-Mannschaft, der übrigens nicht eingewechselt wurde.

Kachunga wurde später von Sportdirektor Thomas Linke in Schutz genommen: „Er muss an seinem freien Tag nicht stündlich das Telefon kontrollieren.“ Kleiner Tipp für die Zukunft. Vielleicht mal über einen Festnetzanschluss nachdenken.

11.20 Uhr - Max Kruse verliert sein Geld und muss zahlen. Am Ende dieser Woche wird Bundestrainer Joachim Löw bekannt geben, mit welchen Spielern er Ende des Monats die Testspiele gegen England (in Berlin) und Italien (in München) zu bestreiten gedenkt. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren besitzt dieser Termin auch für die Fans von Hertha BSC eine gewisse Relevanz, die darauf hoffen, dass sich der Aufschwung ihres Teams auch in der Besetzung der Nationalmannschaft widerspiegeln wird. Die beiden Außenverteidiger Marvin Plattenhardt und Mitchell Weiser werden inzwischen zumindest dem Dunstkreis der Nationalmannschaft zugerechnet.

Viel spannender ist allerdings die Personalie Max Kruse und die Frage: Hat Kruse seine EM-Teilnahme möglicherweise an einem Oktobermorgen des vergangenen Jahres in Berlin verspielt?

Für alle, die es nicht mitbekommen haben, weil sie sich nur für Fußball interessieren und nicht das ganze Drumherum: Kruse soll Mitte Oktober in den frühen Morgenstunden mit einem Taxi in Berlin unterwegs gewesen sein. Warum und weshalb, darüber gibt es nur Spekulationen. Kruse selbst hat bisher nicht zur Aufklärung beigetragen. Als gesichert gilt nur, dass der Profi des VfL Wolfsburg beim Betreten des Taxis 75.000 Euro in bar dabei hatte - beim Verlassen des Taxis allerdings nicht mehr. Deswegen hat Kruse bei der Polizei umgehend Anzeige erstattet, bisher ohne den erwünschten Erfolg. Das Geld ist futsch.

Doof für Kruse, angesichts seines Jahresverdienst in Wolfsburg aber vermutlich zu verkraften. Genauso wie die Geldstrafe in mutmaßlich fünfstelliger Höhe, zu der ihn sein Arbeitgeber verdonnert hat. „Wir haben das intern in einem Sechs-Augen-Gespräch zwischen Max, dem Trainer und mir aufgearbeitet. Das wird von uns sanktioniert“, wird Klaus Allofs, der Manager der Wolfsburger, von der „Bild“-Zeitung zitiert.

Läuft also nicht wirklich gut für Kruse und den VfL. Erst wurde am Samstag die Geschichte mit der teuren Taxifahrt bekannt, dann verloren die Wolfsburger 0:1 beim Tabellenvorletzten Hoffenheim, wodurch der Abstand auf Hertha BSC und die direkte Qualifikation für die Champions League auf acht Punkte angewachsen ist. Und Kruses Ex-Klub Borussia Mönchengladbach auf Platz vier hat auch schon fünf Punkte Vorsprung. (In diesem Zusammenhang noch einmal ein Zitat des Nationalspielers, mit dem er seinen Wechsel von Mönchengladbach nach Wolfsburg begründet hat: „Über die Jahre hinweg bietet der VfL Wolfsburg einfach eine bessere Perspektive, oben mitzuspielen und langfristig in der Champions League vertreten zu sein.“) Im Moment würde es für den VfL als Achter nicht einmal für die Europa League reichen.

Man kann sich ungefähr ausmalen, wie die Nachricht von Kruses Ausflug nach Berlin und dessen Folgen am Standort Wolfsburg angekommen ist. Der Haupteigner des Klubs hat gerade bekanntlich ein paar gravierendere Probleme als die Frage, ob der VfL in der nächsten Saison international spielt oder nicht. „Was Max gemacht hat, passt nicht zu dem, wie wir den Verein aufstellen und darstellen wollen“, hat Trainer Dieter Hecking gesagt. Und Manager Allofs hat der Meinung, dass es niemanden etwas angehe, was Kruse in seiner Freizeit mache, im NDR widersprochen: „Als Fußballprofi ist man vielleicht Privatperson, wenn man im Bett liegt, ansonsten ist man zugleich auch Angestellter des Vereins.“

Ich würde mich sogar zu der Prognose hinreißen lassen, dass Kruse wie schon bei der WM 2014 im Sommer nicht bei der Europameisterschaft in Frankreich dabei sein wird. Zum einen sprechen seine sportlichen Leistungsdaten nicht zwingend dafür (sechs Tore, fünf Vorlagen in 24 Bundesligaspielen für den VfL); zum anderen hat der DFB in den vergangenen Jahren durchaus erfolgreich versucht, die Nationalmannschaft als gesellschaftliches Vorbild zu stilisieren. Mal eben 75.000 Euro im Taxi liegen zu lassen passt da nicht wirklich ins Bild.

Die Trauer über Hannovers Abschied aus der Bundesliga wird sich in Grenzen halten - auch wegen Präsident Martin Kind.
Die Trauer über Hannovers Abschied aus der Bundesliga wird sich in Grenzen halten - auch wegen Präsident Martin Kind.

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Hannover 96 oder das Scheitern eines Geschäftsmodells

10.25 Uhr - Die Stimmung kippt in Hannover. Bei Hannover 96 sind inzwischen sämtliche Symptome eines Absteigers zu erkennen. Erst hatten sie kein Glück, dann kommt auch noch Pech hinzu. Oder wie soll man das sonst nennen, wenn die beiden Tore für den Gegner ausgerechnet der Spieler erzielt, der in der vergangenen Saison noch für den eigenen Klub gespielt hat? Der zudem in einer Dreiviertelsaison noch nie für seinen neuen Arbeitgeber getroffen hatte. Leonardo Bittencourt ist im vergangenen Sommer auf die sportliche Führung der 96er zugekommen und hat gefragt, ob er trotz bestehenden Vertrags eine Freigabe für einen Wechsel zum 1. FC Köln erhalten könne. Nach eingehender Beratung wurde diesem Wunsch stattgegeben - nur eine von vielen zweifelhaften Personalentscheidungen auf allen Ebenen (Spieler, Trainer, Manager), die letztlich zum Absturz der 96er geführt haben.

Das Weitermachen, das Weiterhoffen ist bei 96 nur noch eine lästige Pflicht. „Es geht nicht darum, dass wir die Realitäten nicht erkennen oder die Situation verkennen oder schönreden wollen“, hat Sportdirektor Martin Bader in einem Interview mit dem „Kicker“ gesagt. „Aber keiner wird sich hinstellen und sagen: Das war’s, jetzt machen wir eine Abschiedstournee.“ Laut Bader gelten 90 Prozent der Spielerverträge auch für die Zweite Liga. Für Hannovers Manager, der schon mit dem 1. FC Nürnberg zwei Abstiege erlebt hat, ist das ein klares Signal: „Wenn wir absteigen sollten, kann nicht jeder sagen: Ja gut, dann bin ich weg. Nein! Dann wird die Suppe ausgelöffelt, die man sich auch selber eingebrockt hat. Und das tut weh.“ Erschwerend kommt in Hannover hinzu, dass die Stimmung immer stärker vergiftet ist. Es gibt Meldungen, dass die Ultras die Spieler nach der Niederlage gegen Köln gezwungen haben, ihre Trikots auszuziehen, weil sie es nicht wert seien, diese zu tragen. Unter anderem dieser Vorfall hat die „Bild“-Zeitung zu der Deutung veranlasst: „Nach Hannovers 0:2 tobte der Mob!“ Der Verein hat der Darstellung widersprochen. Hoffen wir einfach mal, dass er das nicht aus falscher Loyalität den Ultras gegenüber tut, weil man die in dieser schwierigen Situation jetzt nicht auch noch vergraulen dürfe.

9.20 Uhr - Das Ende der Mathematik. Man kennt diese Sprüche ja zur Genüge. „Wir können auch die Tabelle lesen.“ Oder: „Solange rechnerisch noch was möglich ist...“ Sie kommen im Frühling so sicher wie die Krokusse aus der Erde und waren am Wochenende vor allem in Hannover zu hören, wo der örtliche Sportverein von 1896 0:2 gegen den 1. FC Köln verloren hatte (der übrigens aus den vier Spielen zuvor gerade mal einen Punkt geholt hatte). Es war für die 96 im dreizehnten Heimspiel dieser Saison die elfte Niederlage – und für den Trainer Thomas Schaaf die fünfte im fünften Heimspiel mit seiner neuen Mannschaft.

Rechnen wir also mal, was bei Hannover 96 noch möglich ist. In 26 Spielen hat die Mannschaft 17 Punkte geholt. Gehen wir mal (sehr, sehr, sehr) optimisch davon aus, dass man in dieser Saison mit 34 Punkten noch den Relegationsplatz erreicht: Das hieße, dass Hannover in den acht verbleibenden Spielen bis zum Saisonende noch einmal genau so viele Punkte holen müsste wie in den bisherigen 26 Begegnungen. Im Schnitt also mehr als zwei, was auf eine komplette Saison hochgerechnet für einen Platz in der Champions League reichen würde. Hannover müsste ab jetzt also mindestens jedes zweite Spiel gewinnen, und das obwohl der jeweils zweite Gegner Hertha (Dritter), Gladbach (Vierter), Schalke (Fünfter) und Bayern (Erster) heißt.

Hört auf zu rechnen, liebe Hannoveraner! Beschäftigt euch lieber mit der Realität, denn die wird ab Mitte Juli zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder Zweite Liga heißen.

Zumal der Absturz des Klubs ja nicht plötzlich gekommen ist, so wie Winnetou aus dem Nichts hinter einem Felsen hervorspringt; er hat sich über Jahre angeschlichen und folgt einer inneren Logik. Vier, sieben, neun, zehn, dreizehn – das sind die Platzierungen der vergangenen Jahre. In dieser Saison wird dann als Endpunkt Platz 18 hinzu kommen. Diese absteigende Bilanz verschleiert ein wenig, dass Hannover es eigentlich geschafft zu haben schien, zu einem etablierten Mitglied der Fußball-Bundesliga zu werden (was der Verein zuvor seit den sechziger Jahren nicht mehr war). Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit ein paar Mal richtig knapp war, ist das durchaus eine Leistung. Nur zur besseren Einordnung: Während Hannovers ununterbrochener Bundesligazugehörigkeit sind Vereine wie Borussia Mönchengladbach, der 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, Mainz 05 oder Hertha BSC mindestens einmal in die Zweite Liga abgestiegen.

Trotzdem wird der Abschied der 96er aus der Bundesliga kein nationales Wehklagen zur Folge haben; dazu ist der Klub anders als von seinem Präsidenten Martin Kind geplant, eben doch zu sehr regionale Marke geblieben. Gerade wegen Kind wird der Abstieg vermutlich sogar von den Traditionalisten unter den Fußballfans mit klammheimlicher Freude begleitet werden. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat sich der Unternehmer aus Großburgwedel und sein Gefolge den Klub in den vergangenen Jahren komplett unter den Nagel gerissen (gut, her hat auch ein paar Millionen dafür gezahlt). Der erhoffte Ertrag (sowohl finanziell als sportlich) wird sich allerdings erst einmal nicht einstellen. Hannover 96 ist inzwischen nichts anderes mehr als ein Investorenmodell im Gewand eines Traditionsklubs. Und wenn man schon solche Konstrukte wie Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen und demnächst Leipzig nicht mehr los wird, dann wenigstens die schlechte Kopie Hannover 96.

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