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Scheibchenweise herantasten. So lautet die Devise im Ring – bis zum eleganten Abwurf braucht es nämlich viel Übung und Schwindelfreiheit.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Unser Zehnkampf vor der Leichtathletik-EM: Diskuswerfen: Wie Siegfried im Schwanensee

Beim Diskuswerfen lernt man etwas über Physik, Koordination und wie man geradeaus schießt.

Laufen, springen, werfen – die Disziplinen der Leichtathletik sind Sport in seiner klassischsten Form. Doch sie sind schwieriger auszuüben, als sie aussehen. Bis zur Europameisterschaft vom 7. bis 12. August in Berlin probieren wir in unserer Serie „Tagesspiegel-Zehnkampf“ zehn Disziplinen unter professioneller Anleitung aus und beschreiben, worauf es dabei ankommt.

Robert Harting habe ich knapp verpasst, informiert mich Trainer Markus Münch gleich am Anfang. Schade, so entgehen mir wertvolle Tipps von einem Olympiasieger im Diskuswerfen. Aber wahrscheinlich bin ich bei Münch, der die U16- und U18-Altersgruppen im Olympia-Stützpunkt Berlin trainiert, sogar besser aufgehoben. Denn für die ersten Schritte halte ich mich vielleicht lieber an einen ausgebildeten Jugendtrainer als an einen dreifachen Weltmeister, der seit 20 Jahren im Ring steht.

Dabei hatte Münch durchaus selbst Ambitionen auf die EM: Im vergangenen Jahr holte er noch Bronze bei den Deutschen Meisterschaften und wollte mit Harting im Kader für die Heim-EM stehen, dafür aber reichten die Leistungen nicht. Wer aber schon einmal 66,87 Meter weit warf, der muss wissen, worum es bei den Drehungen geht und wie man es hinbekommt, die Scheibe nicht ins Netz zu pfeffern. Der Sport, der immer ein bisschen wie Ballett für Wikinger anmutet, ist nämlich verdammt techniklastig.

Deswegen gewöhne ich mich erst einmal an den Diskus: Senkrecht nach oben werfen soll ich ihn und ihn dabei über den Zeigefinger rollen lassen, sodass er rotierend aufsteigt. Nach ein paar Versuchen perlt die metallbeschlagene Holzscheibe tatsächlich an meinem Zeigefinger ab und fliegt einigermaßen gerade nach oben – so soll sie es später auch im horizontalen Flug tun. Mit einer ähnlichen Bewegung kegele ich die Scheibe über den Schotter des Wurffeldes. Hier wird noch deutlicher, ob ich den Diskus gerade drehe. Immerhin, bestimmt 20 Meter weit rollt er, bevor er umkippt. Ein bisschen wie Bowling mit erhöhter Schwierigkeit.

Wie ein Ufo mit Antriebsschwierigkeiten

Als nächster Schritt folgt eine Physikstunde: Ich soll den Diskus im Halbkreis durch die Luft führen, nur umfasst von den obersten Fingergliedern. Ob er mir da nicht einfach aus der Hand fällt. Die Magie, die ihn in meiner Hand hält, heißt Fliehkraft. Tatsächlich kann ich den Diskus mit etwas Schwung einfach im Halbkreis hin- und herschwingen. Das fühlt sich schon ein bisschen professionell an und macht Lust auf den ersten Abwurf: Erst anschwingen, dann beim zweiten Schwung wieder mit dem Zeigefinger für den nötigen Spin sorgen, weist mich Markus Münch an. Etwas schräg fliegt die Scheibe über das Wurffeld, wie ein Ufo mit Antriebsschwierigkeiten. Nach ein paar Versuchen segelt sie aber einigermaßen gerade aus dem Ring heraus. Ich fühle mich ein bisschen wie einer dieser griechischen Athleten, die auf einer Vase ihren gestählten Körper zeigen. Die Scheibe auf den Orbit hinaus ins Wurffeld zu schleudern hat etwas Heroisches, wohl auch, weil die Disziplin wesentlich weniger kraftlastig ist als etwa das Kugelstoßen.

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Das Schwierigste am Diskurswerfen aber ist wohl die Beinarbeit. Gut, dass ich tiefe Kniebeugen und halbe Drehungen schon aus dem Tanzunterricht kenne – hier muss ich sie mit einem Wurfgerät in einer Hand, das zum richtigen Zeitpunkt abgeworfen will, vollführen. Ähnlich wie beim Kugelstoßen mache ich erst einmal eine Vorübung, die mich auf den Abwurf vorbereitet: den Oberkörper nach hinten gedreht und den Diskus in der rechten Hand, hole ich Schwung, dabei verlagere ich das Gewicht vom rechten auf das linke Bein. Schon jetzt formt sich ein Knoten in meinem Hirn, muss ich doch einen Überblick über die Richtungen, die Verlagerung meines Schwerpunkts und den Diskus, der auch hier schön flach über meinen Zeigefinger rollen soll, behalten. Dass selbst die Profis mit dem Multitasking öfter mal Schwierigkeiten haben, erzählt mir Münch anhand einer Anekdote: Anstatt gerade über das Feld beförderte er den Diskus geradewegs in eine Fernsehkamera. Selbst Profis schießen also mal ins Netz oder eben im schrägen Bogen an den Feldrand.

Steife Büroschultern sind nicht von Vorteil

Durch diese Geschichte beruhigt, steige ich zum ersten Mal in den Wurfring. Erst einmal ohne Diskus, denn was jetzt folgt, ist wirklich wie Ballettstunde: Ich stehe am hinteren Ende des Rings und schaue ins Netz. Dann beginne ich mich nach links zu drehen, setze zur Vorübung den rechten Fuß außerhalb des Rings auf, drehe mich über den linken Fuß weiter, setze den rechten Fuß in der Mitte auf und stelle den linken nach vorne geöffnet an den vorderen Ringrand. Wie einem dabei nicht schwindelig wird und wie sich die – meist ja nicht gerade elfenhaft gebauten – Diskuswerfer dabei nicht die Knöchel verdrehen, ist mir schleierhaft. Münch etwa ist 2,07 Meter groß und demonstriert mir den korrekten Wurfablauf mit einer Eleganz, als tanzte er den Part des Siegfried im „Schwanensee“. Gelenkig muss man außerdem sein, merke ich: Die weiten Schritte erfordern dehnbare Oberschenkel-Innenseiten und beim Abwurf geht ein kräftiger Ruck durch die Körperseite des Abwurfarms, der anfangs noch weit nach hinten gestreckt ist – steife Büroschultern sind hier nicht von Vorteil. Bei den Praktikern des Sprungabwurfs käme an dieser Stelle noch ein Sprung in die Luft dazu, nachdem ich eine letzte Pirouette in der Luft drehen würde. Da ich aber nicht Robert Harting heiße, belassen wir es für heute beim einfacheren Stützwurf – bei dem darf ich auf dem Boden bleiben.

Ein paar Runden später lande ich zumindest in annähernd richtiger Fußposition am vorderen Ende des Rings, ohne mir die Beine zu verknoten. Jetzt kommt der Diskus ins Spiel. Mir bricht der Schweiß aus, und das nicht nur wegen der stechenden Mittagssonne. Sofort löscht mein Hirn die eben erlernten Schritte und fragt sich, wie ich den Diskus denn nun anfassen soll. Dementsprechend schwunglos fällt der erste Versuch aus. Gerader Abwurf? Fehlanzeige. Wieder eiert die Scheibe durch die Luft. Beim zweiten Mal läuft es schon ein bisschen flüssiger. „Jedes Mal ein halber Meter mehr, dann sind wir in 80 Würfen bei der 60-Meter-Marke“, scherzt Münch. Da müsste ich als Frau nämlich hinkommen, um mich für die EM zu qualifizieren.

Bisher erschienen: Dreisprung (20. Juli), Hürdenlauf (24. Juli), Kugelstoßen (26. Juli), Gehen (28. Juli), 100-Meter-Lauf (30. Juli), Staffellauf (31. Juli).

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