zum Hauptinhalt
Na bitte, geht doch. Den Weltrekord aus dem Jahr 1987 knackt unsere Autorin bei ihrem Selbsttest aber nicht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Unser Zehnkampf vor der Leichtathletik-EM: Kugelstoßen: Ein bisschen Kraftballett

Technik und Kraft – dies zu koordinieren, ist die große Kunst beim Kugelstoßen. Unsere Autorin hat es ausprobiert. Teil drei unserer Serie.

Laufen, springen, werfen – die Disziplinen der Leichtathletik sind Sport in seiner klassischsten Form. Doch sie sind schwieriger auszuüben, als sie aussehen. Bis zur Europameisterschaft vom 7. bis 12. August in Berlin probieren wir in unserer Serie „Tagesspiegel-Zehnkampf“ zehn Disziplinen unter professioneller Anleitung aus und beschreiben, worauf es dabei ankommt.

Den Kopf einfach ausschalten und den Körper machen lassen. Was so viele Menschen am Sport schätzen, kann man sich beim Kugelstoßen abschminken. Der römische Dichter Juvenal schrieb vor über 2000 Jahren bereits vom gesunden Geist im gesunden Körper, und den braucht man wahrlich, um alle Einzelheiten zu beachten, die es braucht, um die Kugel möglichst weit ins Wurffeld zu befördern. Dabei sind Wurftrainer Markus Münch und ich erst beim Aufwärmen.

Spielen soll ich mit der Kugel, Handgelenk an Handgelenk halten und den vier Kilogramm schweren Ball nur mit den Fingern hin- und herwerfen. Dann die Kugel in Achten durch die Beine reichen, in beide Richtungen. In meinem Hirn explodiert ein Feuerwerk, meine Finger brennen. Was soll erst werden, wenn die Beine noch dazu kommen? Die aber brauche ich, will ich auch nur ansatzweise in die Nähe der 17,50 Meter kommen. Mit dieser Weite wäre die EM-Qualifikation geschafft. 60 Prozent der Kraft komme aus den Beinen, sagt mir Münch.

Kugelstoßen nicht nur technisch anspruchsvoll

Deswegen gehe ich erst einmal in die Kniebeuge und drücke den Ball nach oben in die Luft, zugegebenermaßen noch etwas ängstlich. Was, wenn mir das schwere Ding auf den Kopf kracht? Hand-Auge-Koordination war meine Sache noch nie, wohlweislich wechselte ich mit zwölf Jahren vom Volleyball zum Reiten und blieb dabei. Das letzte Mal, als ich im Schulsport Kugeln gestoßen habe, endete mit einer Standpauke meiner Lehrerin, weil ich verträumt übers Wurffeld tapste.

Kugelstoßen ist nicht nur technisch anspruchsvoll, es kann auch verdammt gefährlich sein. Deswegen ist jetzt Konzentration angesagt: Markus Münch lässt mich zum ersten Mal in den Ring. Nur mit den Fingen soll ich die Kugel halten, dabei den Ellenbogen auf Schulterhöhe halten, die Hand parallel zum Boden. Irgendwie scheint die Schwerkraft aber gegen mich zu arbeiten, jedenfalls fühlt es sich an, als wollte die Kugel mir in jedem Moment entgleiten. Also schnell nach vorne durchgedrückt, die Kugel nach vorne geschleudert. Na bitte, geht doch. Mindestens fünf Meter! Der Weltrekord der Russin Natalja Lissowskaja aus dem Jahr 1987 ist gerade mal viereinhalb Mal so weit.

Markus Münch steht derweil wohlwollend daneben. Der 32-Jährige ist erst seit Januar Wurftrainer beim Berliner Leichtathletikverband, eigentlich sollte er bei der EM im Diskurswurf starten, tauschte dann aber den Athleten- gegen den Trainerjob. Die nötige Geduld für diesen Beruf bringt er auf jeden Fall mit. Mir erbämlicher Anfängerin sackt immer wieder der Ellbogen ab, so dass sich meine Hand aus der Horizontale in die Vertikale dreht – und das ist streng verboten. „Stoßen, nicht werfen“, mahnt Münch deshalb immer wieder.

Warum die Kugelstoßerinnen so muskulös sind

Nach ein paar halb geworfenen Stößen kommen die Beine dazu: Der linke Fuße steht jetzt parallel zum Balken, der rechte steht im Innern des Rings und zeigt nach hinten. Jetzt Gewicht nach rechts verlagern und aus dem angewinkelten Knie nach vorne drücken, den Oberkörper drehen. Gleichzeitig geht der linke Arm im schrägen Halbkreis nach oben, nach vorne, dann wieder nach unten und der Kugelarm zieht nach. Abdrücken. Den alten Griechen hätte das gefallen, ganzheitlich ist dieser Sport allemal: Ich muss sowohl ständig darüber nachdenken, was ich da gerade tue als auch meine Oberschenkel- und Schultermuskeln einsetzen.

Beim dritten Wurf merke ich, warum die Kugelstoßerinnen so muskulös sind: Ich drücke kräftig ab und meine Hals- und Schultermuskeln ziehen sich spontan zusammen. Ein paar Stunden im Fitnessstudio können natürlich nicht all das Grundlagentraining und die über 20 000 jährlich gestemmten Tonnen kompensieren, die ein Diskuswerfer wuppen muss. Ich muss ein bisschen vorsichtiger sein. Meine Taktik, die Kugel nicht so weit zu stoßen, hat zudem einen entscheidenden Vorteil: Ich muss nicht so weit laufen, um die Kugel in der stechenden Sonne aus dem staubigen Schotterbett zurückzuholen.

Komplizierte Technik ist viel effektiver

Neben einer schweren Kugel, viel Technik und den richtigen Winkeln beim Drehen und Abdrücken kommt jetzt auch die Beinarbeit hinzu: „Angleiten“ nennt sich die Technik, die männliche Kugelstoßer kaum noch nutzen, weil die etwas kompliziertere Drehstoßtechnik mittlerweile als effektiver gilt. Die beinhaltet aber eine anderthalbfache Drehung – ein bisschen viel des Kraftballetts, beschließen Markus Münch und ich.

Vom Gleichgewichtsvermögen aus meiner Tanzgrundausbildung profitiere ich trotzdem: Ich muss auf meinem linken Bein balancieren, die Kugel an den Hals drücken, mit dem rechten Bein nach hinten austreten wie ein Pferd, dadurch mit dem linken nach hinten gleiten und dann auf das rechte Bein wechseln. Dabei beuge ich die Knie und den Rücken und strecke den linken Arm nach vorne aus, um wieder ordentlich Schwung holen zu können, wenn ich mich nach vorne ausdrehe. Voilà, ich habe eine Kugel gestoßen, ohne mich und andere zu verletzen. Jetzt müssen Hirn und Körper aber erst einmal in die Eistonne.

Bisher sind schon zwei weitere Teile des Tagesspiegel-Zehnkampfs erschienen: Dreisprung (20. Juli) und Hürdensprint (24. Juli).

Zur Startseite