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Nur das Team zählt. Während Leverkusens Nationalspieler Havertz entnervt wirkte, feierten die Berliner.

© dpa

Unter Jürgen Klinsmann geht Pragmatismus vor: Als wäre Pal Dardai wieder Trainer bei Hertha BSC

Eigentlich wollte Hertha BSC mit schönem Fußball überzeugen, im Abstiegskampf aber sind andere Dinge wichtig. An den großen Plänen ändert das nichts.

In der Theorie war es ein nahezu planmäßiger Angriff, den Hertha BSC Mitte der ersten Halbzeit aufführte. Nach dem Ballgewinn ging der erste Gedanke von Vladimir Darida gleich nach vorne, mit einem flachen, vertikalen Pass bediente er den vordersten Angreifer seiner Mannschaft. Darida spielte den Ball genau in den Fuß von Davie Selke.

In der Praxis haperte die Fortsetzung des nahezu planmäßigen Angriffs daran, dass Herthas vorderster Angreifer ziemlich weit hinten stand. Den Ball bekam er am Mittelkreis, jedoch nicht in der Hälfte von Bayern Leverkusen, sondern am tiefsten Punkt der eigenen Hälfte. Viel weiter konnte das Tor des Gegners gar nicht entfernt sein.

Als Hertha BSC sich im Frühjahr dazu entschlossen hat, die Zusammenarbeit mit Trainer Pal Dardai nach viereinhalb Jahren vorzeitig zu beenden, lag dieser Entscheidung auch eine ästhetische Komponente zu Grunde. Der Trainerwechsel wurde mit dem Wunsch nach einer fußballerischen Wende begründet. Hertha, unter Dardai grundsolide, aber nur punktuell spektakulär, sollte künftig mutig, offensiv und dominant auftreten, um das Publikum zu begeistern. Im Moment aber erlebt Berlin unter Dardais Nachnachfolger Jürgen Klinsmann ein Roll-back. Wenn Dardai defensiv gedacht hat, dann denkt Klinsmann ultradefensiv. „Unser Fußball ist im Moment vielleicht nicht der attraktivste“, sagte Innenverteidiger Dedryck Boyata, „aber am Ende zählt das Ergebnis.“

Und die Ergebnisse sprechen eindeutig für Klinsmann und seine Herangehensweise. Das 1:0 bei Bayer Leverkusen am Mittwoch war für den Berliner Fußball-Bundesligisten der zweite Zu-Null-Sieg hintereinander. Auf sieben Punkte hat es Hertha in den bisherigen vier Spielen mit dem neuen Trainer gebracht. Sollte die Mannschaft auch zum Jahresabschluss am Samstagabend im Olympiastadion gegen Borussia Mönchengladbach gewinnen, hätte sie mit Klinsmann einen Punkteschnitt, der auf die Saison hochgerechnet zur Teilnahme an der Champions League berechtigte. Der Fußball aber, den die Berliner momentan spielen, ist alles andere als championsleaguewürdig.

„Zurzeit sieht unser Matchplan erst mal vor, kein Tor zu kassieren und dann auf unsere Chance zu lauern“, sagte Innenverteidiger Karim Rekik, der in Leverkusen das einzige Tor erzielt hatte. Auf gerade mal 29 Prozent Ballbesitz brachte es Hertha gegen Bayer 04. Statt spielerischer Leichtigkeit zeigten die Berliner „viel Leidenschaft, Aufopferungsbereitschaft und Energie“, wie Klinsmann sagte. Den Matchplan erfüllte die Mannschaft „mit sehr viel Disziplin“ und inzwischen auch zunehmend erfolgreicher. Seit 344 Spielminuten haben die Berliner keinen Gegentreffer mehr aus dem Spiel zugelassen. Die letzten Tore kassierten sie beim 2:2 gegen Eintracht Frankfurt jeweils nach Ecken.

Der Fußball ist nur Mittel zum Zweck

„Wir machen das, was der Trainer uns sagt – das ist im Moment unser Spiel und so holen wir auch die Punkte“, sagte Außenverteidiger Lukas Klünter. Die Defensive steht derzeit an erster, zweiter und vermutlich auch dritter Stelle. In Leverkusen zog sich Hertha weit zurück, attackierte erst hinter der Mittelinie. Die daraus resultierende Stabilität erinnerte durchaus an die Zeiten unter Trainer Dardai. Lass sie ruhig flanken, hat der Ungar immer wieder gesagt – weil er wusste, dass seine Mannschaft mit den kantigen Innenverteidigern und Torwart Rune Jarstein in der Luft nur schwer in Bedrängnis zu bringen ist.

Unter Dardai galt Hertha als extrem unangenehmer Gegner; auch für die Leverkusener hielt sich der Spaß am Mittwoch in Grenzen. Man musste nach seiner Auswechslung nur in das Gesicht von Nationalspieler Kai Havertz schauen, um zu sehen, dass Hertha ihn komplett entnervt hatte. Per Skjelbred, das Fleißbienchen der Berliner, folgte ihm stets auf dem Fuß und ließ ihn nie ins Spiel kommen.  

Klinsmanns defensive Grundhaltung manifestiert sich auch in seinen Personalentscheidungen. Marvin Plattenhardt erhielt hinten links erneut den Vorzug vor dem etwas offensiveren Maximilian Mittelstädt. Plattenhardt stand zum dritten Mal hintereinander in der Startelf, nachdem er zuvor in dieser Saison lediglich vier Mal von Beginn an hatte spielen dürfen. Das galt auch für Klünter auf der anderen Seite. Bei Klinsmanns Debüt hatte noch Marius Wolf hinten rechts verteidigt, der eigentlich offensiver Mittelfeldspieler ist. Ondrej Duda, potenzieller Fein- und Freigeist bei Hertha, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Bei drei der jüngsten vier Begegnungen schaffte es der beste Torschütze der Vorsaison nicht mal in den Kader.

Und was ist mit Mario Götze?

„Die Situation ist Abstiegsgefahr“, sagt Klinsmann, dessen Pragmatismus nur scheinbar im Widerspruch zu allem steht, was man bisher von ihm zu wissen glaubte. Als Bundestrainer ist er zwar als Verfechter eines mutigen Offensivfußballs bekannt geworden, aber auch damit folgte er vor allem pragmatischen Erwägungen. Klinsmann war – entgegen der damaligen Mode im internationalen Fußball – der Meinung, dass die deutsche Nationalmannschaft bei einer WM im eigenen Land gar nicht abwartend und auf Konter spielen könne, sondern selbst die Initiative ergreifen müsse, um das Publikum mitzureißen.

Natürlich passt der mutige Fußball von 2006 deutlich besser zum Naturell des ehemaligen Stürmers als die aktuelle Mauertaktik von Hertha BSC. „Dass wir irgendwann auch wieder schöner spielen wollen, ist klar“, sagte Karim Rekik. Die Defensivstrategie ist allenfalls Mittel zum Zweck. Klinsmann denkt auch weiterhin offensiv, in jeder Hinsicht. Als er nach dem Spiel in Leverkusen zu dem Gerücht befragt wurde, dass Hertha an Mario Götze interessiert sei, reagierte er nicht etwa abwehrend oder ausweichend. Dass Spieler mit großen Namen und vermutlich auch großen Gehältern mit dem Klub in Verbindung gebracht würden, „das wird jetzt ganz normal sein“, antwortete Jürgen Klinsmann. „Nach denen schauen wir uns um. Das ist der Anspruch von Hertha BSC.“ Der Fußball, den die Mannschaft spielt, wird diesem Anspruch noch nicht ganz gerecht.

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