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Sport: US Open: Angst nur vorm Zahnarzt - Der Koreaner Lee macht Schlagzeilen und trifft nun auf Sampras

Der Bursche mit dem kantigen Gesicht sieht aus wie einer, der die ganz harte Tour im Tennis gegangen ist. Und er hat sie auch wirklich hinter sich, die Brutalität und Unbarmherzigkeit der tausend kleinen Challenger-Turniere, jener Sprungbrett-Wettbewerbe, bei denen viele vom großen Wanderzirkus träumen, aber nur wenige ans Ziel finden.

Der Bursche mit dem kantigen Gesicht sieht aus wie einer, der die ganz harte Tour im Tennis gegangen ist. Und er hat sie auch wirklich hinter sich, die Brutalität und Unbarmherzigkeit der tausend kleinen Challenger-Turniere, jener Sprungbrett-Wettbewerbe, bei denen viele vom großen Wanderzirkus träumen, aber nur wenige ans Ziel finden. Vor zwei Wochen hat er noch einen dieser schmucklosen Events gewonnen, draußen in der Bronx, der hässlichsten Fratze des New Yorker Großstadt-Dschungels, weit weg vom verschwenderischen Luxus von Flushing Meadow, weit entfernt von dem 15-Millionen-Dollar-Preistopf der US Open.

Doch plötzlich und unvermutet, auch für sich selbst, ist er nun hier beim schrillsten und spektakulärsten Grand-Slam-Wettbewerb der Welt: Hyung-Taik Lee, ein Koreaner in New York, ein neuer, bunter Farbtupfer im immer größer werdenden Tennis-Kosmos. Einer, der am Montagabend als Qualifikant keinen Geringeren herausfordern wird als den amerikanischen Supermann und Grand-Slam-Rekordhalter Pete Sampras. "Angst habe ich keine", sagt der furchtlose Samurai. Letztes Opfer der Siegesserie von Lee: Der deutsche Daviscup-Spieler Rainer Schüttler, der in tropischer Gluthitze mit 2:6, 6:3, 4:6, 4:6 gegen die Nummer 182 der Weltrangliste unterging.

Eigentlich weiß keiner so genau, wie sich Lee seit Wochen im fremden Amerika durchschlägt. Er spricht kein Wort Englisch, hat keine Vertrauten an seiner Seite, kennt im Moloch New York nur einen einzigen Menschen, den Sohn eines koreanischen Reinigungs-Besitzers. Aber was Lee eben besitzt, ist der unbedingte Wille zum Sieg. Der treibt ihn zu seinen jüngsten Höhenflügen wie auch eine sympathische Unbeschwertheit, die vielen seiner Kollegen fehlt.

Der 24-jährige Himmelsstürmer stammt aus dem kleinen Örtchen Hang Sun in der Provinz Kang Won Do. "Bisher kannte man unseren Landstrich nur für seine guten Kartoffeln", sagt Lee, "jetzt bin ich die Attraktion." Und was für eine. Er ist ein Staatsereignis, der Star in den Nachrichtenprogrammen. Bald schon könnte Lee so populär sein wie der berühmte koreanische Baseball-Gastarbeiter Chan Ho Park, der bei den Los Angeles Dodgers unter Vertrag ist. Wie Park gehört auch Lee zur elitären Gruppe von Spitzensportlern, die in dem waffenstarrenden Land vom zweieinhalbjährigen Militärdienst befreit sind.

Seit Jahren hat Lee immer wieder verzweifelt und vergeblich versucht, sich für Grand Slams oder die Topturniere der ATP-Serie zu qualifizieren. Dass ihm bei aller Motivationskraft nicht doch der Atem und das Geld ausgingen, verdankt er dem Sponsoring des mächtigen Staatskonzerns Samsung, der seine Tennisreisen bezahlt. In New York hat ihm die Auto- und Elektronikfirma auch schon vor der US-Open-Qualifikation und dem Umzug in ein kostenloses Turnierhotel ein ordentliches Zimmer bezahlt, "weil guter Schlaf für mich total wichtig ist". Nun freut sich Lee darauf, mit seinem Idol Pete Sampras im Arthur-Stadion-Palast "richtig auf den Ball hauen zu können". Wenn volle Geschwindigkeit und Dynamik im Spiel sind, dann ist Lee in seinem Element. Lees Rückhand, lobt TV-Kommentator John McEnroe, "ist echt Weltklasse. Das ganze Spiel wird eine harte Nuss für Pete." Bammel vor Sampras, nein, den hat Lee nicht, den hat er nur vor dem Zahnarzt, den er dieser Tage in New York wegen Dauerschmerzen "leider immer wieder" aufsuchen muss.

Jörg Allmeroth

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