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Valentin Stocker, 25, gewann mit dem FC Basel sechsmal die Meisterschaft und wechselte im Sommer zu Hertha BSC. Für die Schweiz hat er 25 Länderspiele bestritten.

© imago

Valentin Stocker von Hertha BSC im Interview: „Ich weiß, dass ich nicht kaputtgehe“

Valentin Stocker kam im Sommer vom FC Basel nach Berlin - und läuft langsam auch für Hertha BSC zu Bestform auf. Ein Gespräch mit dem Schweizer über seine Erfolgsquote gegen Manuel Neuer, das Spiel heute gegen den FC Bayern München und seine schwierigen Anfänge in Berlin.

Herr Stocker, ist Manuel Neuer jemand, der Ihnen Angst einjagt?

Angst ist im Fußball fehl am Platz. Aber es ist schon, wie man so schön sagt, ab und an beängstigend, was er für Bälle hält.

Sie haben Neuer immerhin einmal bezwungen. Im Februar 2012 haben Sie für den FC Basel in der Champions League den Siegtreffer zum 1:0 gegen die Bayern erzielt. Sie wissen, was zu tun ist.

In einer solchen Situation überlegt man nicht viel. Das macht man vielleicht, wenn der Torhüter eine Schwachstelle hat. Aber das ist bei Manuel Neuer leider nicht der Fall. Ich hatte einmal die Möglichkeit gegen ihn, da ist es gut ausgegangen. Ob es beim zweiten Mal wieder gut ausgeht, das weiß ich nicht.

Sie haben also eine hundertprozentige Erfolgsquote gegen Neuer?

Ich glaube schon. Im Rückspiel ...

... beim 0:7 ...

... waren wir nicht so oft in der gegnerischen Hälfte. Die ersten Minuten durften wir noch ein bisschen träumen, aber eigentlich wussten wir von Anfang an, dass es für uns unmöglich ist, in zwei Spielen gegen Bayern weiterzukommen.

Diesmal ist es nur ein Spiel. Wie muss Hertha das im Olympiastadion angehen?

Groß motivieren muss man bei uns niemanden. Es werden fast 80 000 Zuschauer kommen. Ich hoffe, dass uns das beflügeln wird. Aber wenn Bayern München einen guten Tag erwischt, reicht es am Ende nicht – egal wie gut wir sind.

Was sagt Ihr Instinkt: Dass Hertha mitspielen wird, weil man nichts zu verlieren hat? Oder werden Sie sich instinktiv zurückziehen, um Schlimmeres zu verhindern?

So viele Gedanken mache ich mir eigentlich nicht. Der Schiri pfeift, dann geht’s los. Man spürt ziemlich schnell, ob man sich eher auf die Defensive konzentrieren sollte. Oder ob vielleicht was in der Luft liegt. Wir müssen das nehmen, was uns Bayern gibt. An manchen Tagen geben sie nichts. Dann wird es richtig schwierig.

Wie ist das generell bei Ihnen: Spielen Sie eher mit Instinkt oder mit dem Verstand?

Mit dem Instinkt, denke ich.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Valentin Stocker auf dem Platz, der instinktiv handelt, und dem, der gerade einen sehr überlegten Eindruck macht?

Bestimmt. Im Fußball herrschen andere Gesetze. Gesetze, die es sonst nicht gibt. Für mich ist der Fußball eine Bühne, auf der du mitspielen musst, wo du nicht so sein kannst, wie du sonst bist. Sonst machst du dich angreifbar. Ich glaube zum Beispiel, dass man im Fußball keine Schwäche zeigen darf.

Sie haben mal gesagt, Sie seien nicht der typische Fußballer. Was ist denn in Ihren Augen ein typischer Fußballer?

Moment, Sie müssen den Zusammenhang sehen, in dem ich das gesagt habe.

Nämlich?

Über Fußballer gibt es unglaublich viele Klischees und Vorurteile. Die Realität sieht ganz anders aus. Ich erlebe im Fußball viele verschiedene Typen und sehe, dass nur wenige die Klischees erfüllen.

Den typischen Fußballer gibt es also nicht.

Das ist so, ja.

Um mal bei einem Klischee zu bleiben: Wann haben Sie zuletzt ein Foto aus der Mannschaftskabine getwittert?

Ich habe kein Twitter.

Ihr letzter Post bei Facebook ist auch schon zwei Wochen alt.

Ja, da wurde ich ein bisschen gedrängt, was zu machen. Ich vergesse das oft.

"Fußball ist ein Geschenk"

Verfolgen Sie denn, was im Internet über Sie geschrieben wird?

Nein, ich bin nach wie vor der Meinung, dass einem die wichtigen Sachen immer zugetragen werden. Wenn irgendwo etwas über mich steht, was nicht so toll ist, kriege ich das schon mit.

Auch all die Gerüchte im Sommer, als Sie bei Hertha nicht gespielt haben?

Sie meinen, dass der Trainer nicht mit mir spricht?

Oder dass Sie Heimweh haben und deshalb Ihre Leistung nicht bringen konnten.

Nein, das hab’ ich nicht mitgekriegt. Aber sehen Sie, jetzt weiß ich das auch.

Und? War das der Grund für Ihre Anlaufschwierigkeiten bei Hertha?

Nein, natürlich nicht. Das war alles mit Jos Luhukay abgesprochen. Ich hatte eine harte Saison bei Basel hinter mir. Wir waren europäisch lange dabei, mussten unbedingt Meister werden, um es als erste Mannschaft in der Schweiz fünf Mal hintereinander zu schaffen. Das war ein großer Druck. Und dann kam noch die WM dazu. Danach war ich körperlich und mental einfach ausgelaugt.

Müde und matt.

Das war genau zu dem Zeitpunkt, als für die Mannschaft die Saisonvorbereitung begonnen hat. Da ist es doch normal, dass du Defizite hast, wenn du zur Mannschaft stößt. Deshalb war es gut, dass der Trainer mir gesagt hat: Wir machen jetzt einen Aufbau für dich und lassen uns nicht von außen beeinflussen. Ich möchte dir die Zeit geben, damit du wirklich körperlich topfit zur Mannschaft stoßen und ihr auch helfen kannst.

Was intern besprochen wird, kommt aber nicht unbedingt außen an.

Das kann ich nicht beeinflussen, will ich auch nicht. Aber dass aus der Schweiz extremer Druck kam und gewisse Leute Stellung bezogen haben, das war nicht einfach für mich. Aber ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann meine Chance bekommen werde. Ich habe nicht gedacht, dass ich nach einem halben Jahr ohne Einsatz wieder abreisen muss. Dafür war ich, denk’ ich, zu teuer.

Das heißt, Sie sind sehr reflektiert mit dieser Situation umgegangen?

Das ist das Wichtigste. Als zur Debatte stand, ob ich für die U 23 spiele, hätte ich mich auch hinstellen und sagen können. Nein, darüber denke ich überhaupt nicht nach, das mache ich nicht, das will ich nicht. Das ist immer falsch, egal woher man kommt. Man sollte sich immer die Zeit nehmen, um sich selbst zu hinterfragen.

Wie groß ist die Gefahr, dass Selbstreflexion zu Selbstzweifeln führt?

Die besteht immer. Ich habe noch niemanden erlebt, der bei allem voller Selbstvertrauen sagt: Das kann ich.

Auch nicht bei Fußballern?

Klischee! (lacht)

Würden Sie sagen, dass Sie sensibel sind, sensibler, als es nach außen scheint?

Ja.

Ist das für einen Fußballer kein Nachteil?

Sensibilität ist ein Teil meines Ichs. Aber sie ist auch eine der Eigenschaften, die im Fußball wenig Platz haben. Es ist nicht so, dass ich extrem sensibel in die Umkleide komme. Im Fußball, um mal beim Klischee zu bleiben, braucht es halt verschiedene Sachen, um erfolgreich zu sein. Die muss man auf dem Platz hervorholen, andere müssen dahinter zurücktreten. Aber wenn abgepfiffen ist, probiert man das wieder auszugleichen. Das ist die Schwierigkeit.

Das bekommen Sie hin?

Ja, und das kann ich auch nur jedem raten.

Sie sind der Spieler, für den Hertha vor dieser Saison die höchste Ablöse bezahlt hat. Was macht dieses Wissen mit Ihnen?

Das zeigt mir, dass der Verein in den letzten Jahren gut gearbeitet hat (lacht). Nein, ich empfinde es einfach so, dass der Verein auch Punkte einkaufen wollte. Und ich setze mich natürlich auch in dem Sinne unter Druck, dass ich sage: Ich möchte diese Punkte bringen.

Was glauben Sie denn, warum Sie von so vielen Vereinen umgarnt waren?

Dieses Gefühl hatte ich gar nicht. Es ist ja nicht so, dass ich so lange in Basel geblieben wäre, weil ich weg nicht wollte. Es hat nicht an mir gelegen.

Sie gelten aber als große Begabung.

Ich fühle mich nicht als Begabung. Es gibt vielleicht ein, zwei Sachen, die ich besser kann als andere. Ich hatte die Gabe, mich im Fußball durchzusetzen. Deswegen sitze ich jetzt mit meinen Mannschaftskameraden bei Hertha in der Kabine. Das ist ein Geschenk. Aber ich habe genauso viele Fehler wie jeder andere Mensch auch. Oder andersherum: Jeder Mensch hat eine Begabung. Genauso kann es etwas Wunderbares sein, Koch zu werden. Oder Lehrer wie meine Eltern. Die haben sicherlich auch ihre Begeisterung dafür gefunden, Kindern etwas beizubringen.

Ihre Bescheidenheit ehrt Sie. Aber können Sie uns nicht wenigstens eine hervorstechende Stärke an ihrem Spiel nennen?
Was, glaube ich, sehr wichtig ist: Ich weiß, dass ich nicht kaputtgehe. Egal, wie es läuft. Nehmen Sie das Stuttgart-Spiel ...

... Ihr erster Startelfeinsatz für Hertha, bei dem Sie an allen drei Toren beteiligt waren.

Ich wusste, dass ich eines Tages wieder die Chance kriege zu spielen. Und ich wusste, dass ich dann auch gut spiele.

Da muss man aber schon sehr von sich und seinem Können überzeugt sein.

Man muss erst ziemlich viel auf die Fresse kriegen – dann ja. Das hat sich so durch meine Karriere gezogen. Es gab immer wieder Hochs und Tiefs. Aber ich habe immer probiert, das Positive zu sehen. Selbst bei meinem Kreuzbandriss war das so. Ich kann nicht sagen, dass ich da richtig viel dran zu beißen hatte. Ich bin oft vom Guten überzeugt. Ich weiß nicht wieso, vielleicht ist es naiv. Aber am Ende des Tages habe ich immer viel zurückbekommen für das, was ich geopfert und eingesteckt habe.

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