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Valentino Lazaro (l.), 21, ist im Sommer für sechs Millionen Euro aus Salzburg zu Hertha BSC gewechselt. Der österreichische Nationalspieler kommt bisher auf elf Pflichtspieleinsätze für die Berliner.

© AFP

Valentino Lazaro von Hertha BSC: „Wir waren alle Ronaldinho“

Valentino Lazaro von Hertha BSC spricht im Interview über das Idol seiner Kindheit, Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz und den deutschen Einfluss auf sein Spiel.

Herr Lazaro, verfolgen Sie noch, was Ronaldinho so treibt?

Ja, erst gestern habe ich etwas von ihm im Internet gesehen. Wie er über Messi redet. Das war interessant.

Wissen Sie, was er gerade macht?
Er ist für den FC Barcelona in den USA und in China als Botschafter unterwegs und tritt bei Charity-Veranstaltungen auf. Das seriöse Fußballspielen hat er hinter sich gelassen.

Ronaldinho hat in diesem Herbst noch in Indien in der Premier League Futsal gespielt – mit 37.
Und wie! Haben Sie das gesehen? Er hat alle auseinandergenommen.

Wann ist er zu Ihrem Idol geworden?
Das muss in der Zeit gewesen sein, als er aus Paris nach Barcelona wechselte. Ich war noch klein, sechs oder sieben. Wenn wir damals in den Hof zum Kicken gegangen sind, hat jeder probiert, von einem besonderen Spieler etwas nachzumachen. Bei Freistößen war es David Beckham, aber immer öfter fiel der Name Ronaldinho. Bis heute ist er für mich der Spieler, mit dem ich die meiste Freude verbinde.

Und am Ende wollten alle auf dem Hof Ronaldinho sein.
Ja, wir waren alle Ronaldinhos. Bei den Jungs, mit denen ich in Graz aufgewachsen bin, war er auf jeden Fall der Nummer-eins-Spieler.

Welchen Move von ihm haben Sie am besten hinbekommen?
Den Elastico: wenn er den Ball von innen nach außen zieht. Den haben alle versucht. Ronaldinho macht ihn einzigartig. Wie er kann es keiner auf der Welt.

Mussten Sie sich die Spielereien à la Ronaldinho abgewöhnen, als es mit dem professionellen Fußball angefangen hat?
Schwer zu sagen. Als ich mit 14 zu Red Bull Salzburg gekommen bin, wurde die Akademie von Ricardo Moniz geleitet, einem Holländer. Dadurch herrschte dort die holländische Schule. Die Trainer legten viel Wert auf individual-technische Sachen. Sie liebten Übersteiger und Eins-gegen-Eins-Situationen. Spieler, die das beherrschten, wurden entsprechend gefördert. Deswegen wurde ich von Moniz schon mit 15 in die erste Mannschaft geholt. Mit Ralf Rangnick kam dann die deutsche Schule zu Red Bull. Das Taktische und Läuferische wurde wichtiger. Für mich war das gut. Der Fußball hat sich ohnehin sehr in diese Richtung entwickelt. Die Brasilianer haben mit ihrer Technik in jedem Spiel gezaubert und dominiert. Der Knackpunkt war bei der WM 2014, als die Deutschen mit 7:1 über sie hergefallen sind. Da haben auch die Letzten gemerkt, dass sich der Fußball verändert hat. Heute müssen gute Spieler beides verbinden können, also spielerisch etwas Besonderes auspacken und das bei hohem Tempo.

Würden Sie sich trotzdem als Straßenkicker bezeichnen?
So hat es bei mir angefangen. Aber ich habe auch schon früh im Verein gespielt. Meine beiden älteren Halbbrüder waren bei Sturm Graz in der Jugend. Da wollte ich auch hin. Aber ich war erst fünf und sollte noch ein Jahr warten, also bin ich zum Grazer AK. Die haben mich sofort genommen. Neun Jahre habe ich dort gespielt. 2011 bin ich nach Salzburg. Da habe ich im November 2012 mit 16 in Österreichs Bundesliga debütiert. Und Sie kennen ja die Spielphilosophie von Ralf Rangnick. Ich musste mir die recht schnell aneignen, sehr viel läuferische Arbeit verrichten, offensiv und defensiv. Das habe ich jetzt ganz gut intus. Und wenn du dann auf engem Raum den Ball hast, ist immer wieder individuelle Klasse gefragt.

Wie war das damals auf dem Hof?
So wie bei ganz vielen vermutlich. Ich weiß gar nicht mehr, ob wir uns überhaupt verabredet haben. Ich glaube, wir sind einfach runtergegangen, haben überall kurz geläutet, und alle waren da. Dann hat man einfach gekickt, bis die Laternen angingen. Das war das Zeichen, dass wir nach Haue mussten.

Ihr Vater stammt aus Angola. Wann ist er nach Österreich gekommen?
Wenige Jahre vor meiner Geburt. Es gab zu dieser Zeit viele Probleme in Angola, Bürgerkrieg, Hungersnot.

Sprechen Sie Portugiesisch?
Ich verstehe es. Ähnlich wie Spanisch und Französisch. Ich komme durch.

Waren Sie mal in Angola?
Nein, aber ich habe es vor. Ich bin in Graz geboren und aufgewachsen, habe mich auch immer mehr österreichisch gefühlt. Meine Eltern haben sich früh getrennt, ich bin bei meiner Mama geblieben, habe aber ein gutes Verhältnis zum Papa.

Wie bewerten Sie mit Ihrem persönlichen Hintergrund das Flüchtlingsthema, das seit 2015 die Öffentlichkeit bewegt?
Ach, wissen Sie, da haben sich schon so viele zu geäußert. Ich kann beide Seiten verstehen, aber es ist sehr schwer, auf genau einen Punkt zu kommen, wie man das zu betrachten und zu bewerten hat.

In diesem Herbst hat Österreich eine Mitte-Rechts-Regierung gewählt. Haben Sie festgestellt, dass sich die Atmosphäre im Land verändert hat?
Es zeigt zumindest eine Richtung, in die sich das Denken der Menschen entwickelt. Nicht nur in Österreich. Man sieht es in Amerika, man sieht es in vielen Ländern. Sollte sich das weiter so entwickeln, muss man immer häufiger auch Zeichen setzen gegen Ausgrenzung, gegen Diskriminierung. So wie wir es bei Hertha mit dem Kniefall getan haben. Ich will aber gar nicht so viel drüber reden, ich kann nur sagen, was meine Sicht auf die Dinge ist. Wenn ein Mensch eine Meinung hat, kann man sich austauschen. Aber wenn der andere fest von seiner Meinung überzeugt ist, keine andere zulässt, wirst du sie nicht ändern. Du kannst ihm nur mitteilen, wie du denkst.

Haben Sie eigentlich die Matura, das Abitur, zu Ende gemacht?
Leider nicht, und das war hart. Ich war immer gut in der Schule, aber mit 15 wurde ich zur ersten Mannschaft hochgezogen. Das ging mit einer normalen Schule nicht mehr zusammen, weil wir auch vormittags trainiert haben. Ich habe es mit einer Abendschule probiert. Das hat auch eine Zeitlang funktioniert, bis die ganzen Profi-Trainingslager und Turniere anfingen. Ich hatte abends einfach nicht mehr die Kraft für drei oder vier Stunden Schule. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich gesagt habe: Nimm dich mal raus und konzentrier dich auf Fußball, damit es dort weitergeht! Die Abendschule kannst du immer noch machen.

Wie weit waren Sie da vor dem Ziel?
Ganz knapp. Zwei Semester haben mir gefehlt.

Was haben Ihre Eltern gesagt?
Eltern freut das natürlich nicht. Aber meine Mama hat mich in allem unterstützt, von Anfang an. Gerade wenn ich an die Zeit in Graz zurückdenke, wo wir nicht mal ein Auto hatten. Ich war sieben oder acht, und meine Mutter hat zu meinen Brüdern gesagt: „Wenn der Junge das machen will, fahre ich mit ihm eine Stunde mit dem Bus zum Training, und ihr passt auf euch auf.“ Am Abend hat meine Mutter dann noch einmal für alle gekocht.

Hat Ihre Familie da schon erkannt, dass Sie es ganz nach oben schaffen können?
Das weiß ich nicht. Es lag wohl daran, dass ich ständig davon erzählt habe. Ich habe gar nicht gewusst, dass es außer Fußball noch etwas anderes gibt (lacht). Ich habe im Fernsehen Fußballspiele gesehen und gedacht: Das will ich machen.

"Dietrich Mateschitz ist schon fast ein Freund"

Wie war es, als Sie mit 16 Jahren Ihren ersten Profivertrag unterschrieben haben?
Das war gar nicht so einfach, weil ich schon auf dem Absprung zum AC Mailand war, um dort zu unterschreiben. Aber da ich in Salzburg einen Jungprofi-Vertrag hatte, hätte der Verein meinen Wechsel zustimmen müssen. Dietrich Mateschitz persönlich …

… der Chef von Red Bull …
… ist auf mich zugekommen und hat sich mit mir und meiner Familie getroffen. Er hat gesagt, dass er meinen Wunsch verstehe, aber ich solle erst mal sehen, wie es in Salzburg bei den Profis sei und mich erst danach entscheiden. Ich wurde zu den Profis hochgezogen, und nach einer Woche hat Roger Schmidt, der Trainer, gesagt: „Ich will, dass der oben bleibt.“

Wie sehr hat es Sie beeindruckt, dass Mateschitz persönlich auf Sie zukam?
Das kann man sich ja wohl vorstellen. Du bist 15, kommst eigentlich aus dem Nichts, und dann setzt sich jemand, der einen Riesenkonzern aufgebaut und unendliche Möglichkeiten hat, mit dir hin und sagt: „Wir wollen dich unterstützen. Wir sehen, dass du Potenzial hast, das wollen wir fördern.“ Dafür bin ich ihm ewig dankbar. Ich bin froh, ihn als guten Bekannten, ja fast schon als Freund an meiner Seite zu wissen. Auch heute noch.

Als Freund?
Es ist jetzt nicht so, dass wir uns regelmäßig zum Essen treffen oder dauernd telefonieren. Aber gerade erst haben wir uns ein paar SMS geschrieben. Er hat mir auch zu meinem Wechsel zu Hertha BSC alles Gute gewünscht. Es ist schon eine Wertschätzung, für die ich dankbar bin. Mateschitz ist kein Mann, der im Vordergrund stehen muss. Er ist ein sehr bodenständiger und aufrichtiger Mensch.

Fühlen Sie sich durch die Zusammenarbeit mit Roger Schmidt und Ralf Rangnick gut vorbereitet auf die Bundesliga?

Ich glaube schon. Mit Schmidt und Rangnick ist ein anderer Fußball in mich reingekommen. Ich habe sehr wichtige Dinge gelernt, von denen ich jetzt profitiere.

Wo sehen Sie Unterschiede?
Die Bundesliga in Deutschland ist eine viel größere Bühne – von den Stadien her und auch medial. Es gibt mehr Fans, das Interesse ist viel größer und ausgeprägter. Man merkt, um wie viel das gesamte Produkt Fußball größer ist: mehr Geld, größere Vereine, bessere Spieler. Das Ganze wächst auch schneller als in Österreich. Allerdings könnten Mannschaften wie Salzburg oder Rapid und Austria Wien auch hier in der Bundesliga mithalten.

Was ist auf dem Rasen anders?
Das Spiel ist hier ein bisschen schneller, ein bisschen intensiver. Man kann sich keine Pause gönnen. Mit Salzburg konnten wir auch manches Mal einen Gang runterschalten, ohne dass es für uns gefährlich wurde. Das geht hier nicht, hier kann jeder Fehler bestraft werden.

Pal Dardai lobt Ihre Variabilität. Kann es auch ein Nachteil sein, wenn man kein Experte für eine feste Position ist?
Das bin ich schon oft gefragt worden, und ich antworte eigentlich immer das Gleiche: Unter Trainer Adi Hütter musste ich mit 17 oder 18 eine Weile hinten rechts aushelfen, sogar in der Europa League. Es funktionierte sehr gut, ich wurde sogar schon mit David Alaba verglichen, der auch ein gelernter Offensiver ist. Damals war ich froh, überhaupt Spielzeit zu bekommen, egal auf welcher Position. Aber wenn du ein wenig älter bist, denkst du dir schon, offensiv ist mehr deine Ausrichtung. Aber es kommt auch immer auf den Gegner an. Wenn der Trainer sagt, wir wollen mit einer Fünferkette spielen, und du kannst links oder rechts die ganze Seite beackern, dann mache ich das genauso gerne wie eine andere Position. Ich habe mehrere Positionen, auf denen ich mich auskenne und wohlfühle.

Als was sehen Sie sich unmittelbar vor dem Einschlafen?
Wenn ich ans Spiel denke, stelle ich mir lieber vor, wie ich den Gegner ausspiele und ein Tor mache, als dass ich einen Ball weggrätsche. Es ist schon schön, wenn man Lob für etwas bekommt, das man gar nicht gelernt hat. Aber ich habe mich gefreut, als ich wieder weiter vorn spielen und Tore schießen durfte.

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