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Sport: Vergangenheit, die vergehen soll

Nach dem Zweiten Weltkrieg verhalf Peco Bauwens als DFB-Präsident dem deutschen Fußball zu neuer Stärke. Er galt als Gentleman, obwohl er dem Nationalsozialismus nahe stand

Köln. Peco Bauwens gilt als Gentleman des Sports. Und das, obwohl der erste Nachkriegspräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) diese scheußlich nationalistische Rede im Münchner Löwenbräukeller hielt. Damals, nach dem WM-Sieg der Herberger-Elf 1954 hatte er im Siegesrausch das Führerprinzip und Großdeutschland beschworen. Der Bayerische Rundfunk unterbrach umgehend seine Live-Schaltung, und Bundespräsident Theodor Heuss beschwichtigte: „Der gute Bauwens, der meint offenbar, gutes Kicken sei schon gute Politik.“ Heuss befürchtete durch Bauwens nationalistisches Schwadronieren ernsthafte internationale Störungen.

Konsequenzen blieben dem feurigen Redner jedoch erspart. Und so gilt Bauwens heute noch als ein Gentleman, der sich mal einen verbalen Lapsus leistete. Als ein DFB-Präsident, der den deutschen Fußball wieder aus den Trümmern hob und mit seinem Tod 1963 einen prosperierenden Verband hinterließ.

Doch nie wurde seine Rolle im Nationalsozialismus ernsthaft hinterfragt. Dieses dunkle Kapitel wurde vom DFB auch im Fall Bauwens stets fein säuberlich ausgeblendet. Was nicht unwesentlich an der Herkunft seiner Frau lag. Sie war jüdischer Abstammung und beging in den Kriegsjahren Selbstmord – wahrscheinlich wegen Drangsalierungen der Nationalsozialisten. Somit galt auch Peco Bauwens als „politisch und rassistisch“ verfolgt. Schrieb er doch selbst an den Präsidenten des Fußball-Weltverbandes (Fifa), Jules Rimet: „Wäre ich nicht der schlechteste Mensch der Welt, wenn ich auch nur die kleinsten Handlangerdienste für diejenigen getätigt hätte, die meine Frau auf dem Gewissen haben?“ Heute – ein halbes Jahrhundert nach der WM-Rede – wurde eine erschreckende Antwort auf diese Frage gefunden.

Denn es ist bewiesen, dass Bauwens mehrere Handlangerdienste für das NS-Regime tätigte. Der Politologe Arthur Heinrich, der als Erster die Dokumente im Teilnachlass Bauwens studieren durfte, resümiert: „In den vorhandenen Unterlagen finden sich keinerlei Indizien, die zu dem von Bauwens nach 1945 gezeichneten Selbstbildnis führen.“ Vielmehr konstatiert er ein „hohes Maß an Identifikation“ mit Hitlers Regime. Der Kölner war also weniger Opfer als Nutznießer der NS-Diktatur.

Wie Bauwens tatsächlich Sportpolitik unter den Nationalsozialisten betrieb, zeigt sein von Heinrich entdeckter Plan, die Fifa in Hitlers Hand zu spielen. Mit einem diplomatischen Kunstgriff, so glaubte der Deutsche im Mai 1940, könnte er den faschistischen Achsenmächten die Kontrolle über den Weltverband sichern. Hitlers Truppen hatten in Blitzkriegen nicht nur Belgien, die Niederlande und Frankreich unterworfen, sondern scheinbar ganz Europa. So schrieb Bauwens in einem geheimen Brief: „Wenn wir geschickt vorgehen, so können wir die heutige Fifa ganz unter die Achse bringen und England noch mehr vereinsamen, wie es schon ist.“ Er sah die Gelegenheit gekommen, den Weltverband den Nationalsozialisten gefügig zu machen.

Seine Strategie war simpel. Viele Fifa-Mitglieder waren durch den Krieg nicht erreichbar. Die restlichen sollten zusammengetrommelt werden, um in Zürich, dem Sitz des Weltverbandes, eine Neubesetzung der Gremien zu wählen. Durch Manipulation und ein ohnehin schon verzerrtes Stimmvolk wollte das Kölner Exekutivmitglied die Kontrolle über den Weltverband erlangen. Bauwens trat nämlich dafür ein, die noch zu erreichenden Exekutivmitglieder zu versammeln, um ihnen die Leitung statt eines dreiköpfigen Dringlichkeitsausschusses zu übertragen.

Die Absicht war klar. Mit der Kapitulation Frankreichs hatte sich ein Ring um die Schweiz geschlossen. Reisen zum Fifa-Sitz in Zürich konnten nur über deutsches, von Deutschen kontrolliertes oder italienisches Territorium erfolgen und waren visumpflichtig. Die Reichsbehörden konnten die Sitzung durch eine kurzfristige Verweigerung der Visa manipulieren. Eine Stimmenverlagerung für die Faschisten war somit leicht herzustellen. Konnte man doch die unangenehmen Mitglieder bereits an der Grenze außer Gefecht setzen.

Dieser perfide Plan des Kölner Bauunternehmers Bauwens hätte auch funktioniert. Wäre nicht der „Widerruf der Travista-Genehmigungen zu spät erfolgt“, wie Bauwens in einem Brief befand. Aber auch der deutsche Fifa-Generalsekretär Ivo Schricker wehrte sich vehement gegen die Übernahmeversuche der Nationalsozialisten. Der Elsässer wollte nichts mit dem Regime zu tun haben. Schricker hatte ohnehin schon genug Erfahrung mit NS-Sportpolitik gemacht. Bereits 1940 hatte das Deutsche Nachrichtenbüro die Fehlmeldung verkündet, eine Fifa-Sitzung hätte ergeben, Deutschland sei Austragungsort für die Weltmeisterschaft 1942. Schon damals blieb die Fifa besonnen und dementierte.

Doch nicht nur sportpolitisch kooperierte Bauwens, der 1936 Schiedsrichter des Fußballfinales der Olympischen Spiele war, mit den Nationalsozialisten. In keinem Lebensbereich stand er den Machthabern fern. Bereits 1933 stellte Bauwens einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. Auch seine Baufirma profitierte vom NS-Regime. Sie zählt heute zu den 2500 Firmen, die als „Sklavenhalter im NS-Regime“ in einer Liste geführt werden. Die Baufirma unterhielt unweit Kölns ein Zwangsarbeiterlager mit 100 Insassen. Nur noch in einer Liste der Alliierten ist von diesem Arbeitslager zu erfahren. Alle anderen Unterlagen sind vernichtet, so sagt es zumindest die Gemeindeverwaltung, in der das Lager stand. Zudem erhielt Bauwens’ Baufirma militärisch relevante Bauprojekte von den Nationalsozialisten. Ein Gentleman war Bauwens wohl kaum.

Die Geschichte von Peco Bauwens ist nur eine weitere, welche die Vergangenheit des DFB zwielichtig erscheinen lässt. Bereits 1975 zum 75-jährigen Bestehen warf der Rhetorikprofessor und Fußball-Liebhaber Walter Jens dem Fußball-Bund vor, sich der Geschichte nicht stellen zu wollen. Damals brachte der DFB ein Jubiläumsbuch heraus, das in einem Kapitel zum Nationalsozialismus die eigene Vergangenheit nur unkritisch abhandelte, glaubte zumindest Jens. Auch 60 Jahre nach der Nazizeit scheint der DFB einige Antworten schuldig zu bleiben.

Christoph Bertling

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