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Sport: Verkehrte Revanche

Weltmeister Italien spielt gegen Finalist Frankreich und will Wiedergutmachung für Zidanes Kopfstoß – Materazzi erklärt sich

Gennaro Gattuso versteht die Welt nicht mehr. „Jetzt darf man wohl gar keinen Gegner mehr beleidigen, der einem auf den Wecker geht“, meckert Italiens Mittelfeldspieler, der nicht gerade für seine Feinfühligkeit bekannt ist. Er deutet an, dass er insbesondere die Franzosen für unerträglich hält, die „nicht verlieren können“, „übertreiben“ und „ungebetene Ratschläge erteilen“ – und das lässt nichts Gutes erwarten für das Spiel am Mittwochabend. Nicht einmal neun Wochen nach dem WM-Endspiel stehen sich Italien und Frankreich schon wieder gegenüber, und Gennaro Gattuso betrachtet die Begegnung in Paris als Revanche. Aber nicht die Frankreichs gegen Italien für das verlorene WM-Endspiel – sondern die Revanche Italiens gegen Frankreich. „Schließlich ist damals mehr über Zidanes Kopfstoß gesprochen worden als über unseren Triumph“, grummelt Gattuso.

Solche Bemerkungen verraten, wie frisch die Erlebnisse von Berlin noch immer im italienischen Fußballergedächtnis sind. Nicht nur der gewonnene Titel, sondern vor allem der Kopfstoß des Franzosen Zinedine Zidane gegen Marco Materazzi beschäftigt die Italiener. Dass auch das vermeintliche Opfer für zwei Spiele gesperrt wurde, das empfinden die italienischen Kicker als bodenlose Ungerechtigkeit.

Materazzi selbst, der nach dem „Gewaltakt der Fifa gegen mich“ wie vom Erdboden verschluckt war, hat sich am Dienstag in der „Gazzetta dello Sport“ zu Wort gemeldet: Er verlangt eine Entschuldigung von Zidane. Dann könne man einen „Männerfrieden“ schließen. Immerhin gibt Materazzi zu, auf Zidanes Provokation („Wenn dir mein Trikot so sehr gefällt, kannst du es nach dem Spiel haben“) Folgendes – vermutlich sinngemäß – geantwortet zu haben: „Deine Schwester wäre mir lieber.“ Zidanes Reaktion sei überzogen gewesen: Fußball sei eben Fußball, und auf dem Spielfeld würden noch viel schlimmere Sachen gesagt. Im Übrigen sitze er, Materazzi, jetzt schon „seit sieben Wochen auf meinem Sofa und nage an dieser Sache herum. Jeden Tag.“

Eine entschieden unbequemere Stellung und mindestens genauso viel zu nagen hat der neue Nationaltrainer Roberto Donadoni. Die Weltmeister, die ihm Marcello Lippi in die Hand gedrückt hatte, versagten im August schon beim ersten Freundschaftsspiel und verloren 0:2 gegen Kroatien. Und im ersten EM-Qualifikationsspiel am vergangenen Samstag kam die personell nahezu unveränderte WM-Elf in Neapel gegen Litauen nicht über ein 1:1 hinaus.

Donadoni begründet die Schwäche der Mannschaft mit ihrem schlechten „physischen Zustand“. In Italien habe sich bis auf eine einzige Begegnung im nationalen Supercup bisher keinerlei praktische Trainingsmöglichkeit ergeben. Dass der Grund dafür im hausgemachten Manipulationsskandal zu suchen ist, erwähnte Donadoni lieber nicht. Stattdessen erbat der 43-Jährige „noch zwei Monate Zeit: Dann sind wir wieder auf der Höhe und gewinnen ein Spiel wie das gegen Litauen“.

Vorsichtig bemerkt die Zeitung „La Stampa“, Frankreich sei „nicht gerade der ideale Gegner zur Überwindung unserer Identitätskrise“. Zwar muss der Gastgeber in Paris auf den zurückgetretenen Zidane verzichten, sein Nachfolger Franck Ribéry hinterließ beim 3:0 in Georgien jedoch einen starken Eindruck.

In Italien hat sich Francesco Totti, der zentrale Punkt des Teams, noch nicht entschlossen, ob er weiter für die Nationalelf spielen will. Der notorische Meckerer Gennaro Gattuso hat sich angesichts dieser Vakanz zu einer Art Klassensprecher gemacht. Die Weltmeisterschaft, sagt er, die hake man am besten ab. „Ich danke zwar dem Himmel jeden Tag, dass wir gewonnen haben, aber jetzt reicht’s.“

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