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Sport: VfB Stuttgart: Die gespaltene Stadt

Eine Trainerseele braucht Ruhe. Wenigstens ein paar Stunden.

Eine Trainerseele braucht Ruhe. Wenigstens ein paar Stunden. "Ich spiele mit meinen Kindern", sagt Ralf Rangnick. Pause, ein Spielabend, etwas Erholung vom Arbeitsalltag. Das scheint das richtige Rezept, der stressigen Wirklichkeit zu entfliehen. Einmal keine Gedanken über den VfB Stuttgart, den Ärger mit Krassimir Balakow, den aufmüpfigen Kapitän Zvonimir Soldo, den Abstiegskampf, die aufgebrachten Zuschauer. Es ist ein Berg von Problemen, den Rangnick beiseite schiebt für solch einen unbeschwerten Familienabend.

Einem pedantischen Arbeiter wie ihm fällt es schwer, abzuschalten. 42 Jahre ist er alt und Fußballtrainer. Vor 19 Monaten betrat er mit vielen Träumen die Bühne Bundesliga. In Stuttgart begann er als Heilsbringer, inzwischen spaltet er eine ganze Stadt, einen Verein und eine Mannschaft. Freundschaften werden auf Eis gelegt. Lange haben ihm auch die Fußballfans in Schwaben zugejubelt. Jetzt pfeifen fast alle.

Rangnicks Welt hat sich in rasantem Tempo verändert. Sein ehemaliger Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder stattete seine Mission mit verlockenden Versprechen aus. Er könne Stars wie Bobic, Verlaat und Akpoborie behalten und 20 Millionen Mark investieren. Jetzt hat der Klub 30 Millionen Mark Schulden, steht auf einem Abstiegsplatz und der Trainer heute im Spiel gegen Borussia Dortmund mit dem Rücken zur Wand. Für manche ist er bereits gescheitert. Zu verbissen heißt es, zu unerfahren, weil der aktive Fußballspieler Rangnick nur als Mitläufer in Amateurligen eine Rolle spielte. Für andere tappte er in eine Falle und ist der Mann für die Erneuerung eines Vereins, der am Abgrund taumelnd, die eigene Jugend fördern soll. Endlich einer, der durchgreift.

Dafür scheint es vielen beim VfB Stuttgart zu spät. Nicht nur die Machtspiele mit älteren Spielern wie Balakow kosteten den Trainer Autorität. Die Fans stehen zu Balakow, für andere ist der alleinige Sündenbock gemacht, selbst jetzt, da Rangnick ihn begnadigen musste, weil die Mannschaft seine Rückkehr wollte. Balakows Gegner regen sich über die 5000 Mark Geldstrafe auf, die der Bulgare neben der Abmahnung für sein Verhalten bei der Auswechslung gegen 1860 München bekam. Lächerlich, schreien sie, bei sechs Millionen Gehalt.

Als jüngst Kapitän Zvonimir Soldo den Trainer scharf angriff, verschlechterte sich die Stimmung weiter. Ein ganzer Verein steht vor der bangen Frage: Endet dieser notgedrungen eingeleitete Wandel im Abstieg? "Dann", sagt Sportdirektor Karlheinz Förster, "ist der Verein kaputt." Ralf Rangnick aber kämpft. Er wirbt für seine Ideen und seine Ziele. "Ich werde mich nicht ändern. Ich werde meine Linie so lange durchsetzen wie der Verein der Ansicht ist, ich bin der richtige Mann", sagt Rangnick.

Dabei erscheint ihm gleichgültig, dass er für seine Methoden von vielen belächelt wird. Immer dann, wenn er in der Kabine Gedichte vorliest oder mit den Profis in Schwaben über Poeten und deren Gedanken spricht. Er erzählt von Christopher Reeves, dem Supermann-Darsteller, der nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt und nicht aufgibt. Er malt Bilder und führt sie vor. Botschaften an die Spieler. Er zündet Feuerwerkskörper. Der Knall soll aufwecken. Vor der Partie gegen Rostock verkündete er vor einem Bild eines Schiffes stehend, das sei die Hansa-Kogge und "wir Piraten", die das Schiff jetzt entern. Nach dem 1:0 stürmte Assistent Peter Starzmann mit einer weißen Fahne in die Kabine und rief "versenkt".

Rangnick könnte ebenso da sitzen mit der Gitarre und Lieder singen. Lieder gewürzt mit einer Prise Protest, ein paar Gramm Nachdenklichkeit und einem Hauch Pfadfinderromantik. Das tut zuweilen sein Assistent Starzmann, wenn ein netter Kreis im Mannschaftshotel zusammen sitzt. Manchmal erscheinen die beiden, als zögen sie aus, die Schattenseiten einer auf Profit und Ertrag ausgerichteten Branche umkrempeln zu wollen. Unermüdlich versucht Rangnick den Brückenschlag zu seinen Spielern. Er predigt Zurückhaltung beim Autokauf. Wenn große Wagen, dann bitte keine Breitreifen. Er lässt Alkohol aus den Hotelkühlschränken entfernen. "Es kann nicht jeder machen was er will." Auch das ist Teil seiner Philosophie im Fußball, eine Philosophie, die eine Mannschaft nicht als Konstruktion verschiedener Charaktere sieht, sondern als verschworenes Kollektiv. Von diesem Anspruch ist der VfB unendlich weit entfernt.

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